Die erste Woche der Bundesligazwangspause tat richtig weh. Statt für die ARD-„Sportschau“ in Dortmund das Revierderby gegen Schalke zusammenzufassen, litt Robert „Robby“ Hunke allein daheim in Köln. Ein Live-Kommentator in Zwangsquarantäne. Auch in Corona-Woche zwei und drei war Hunke noch auf Entzug, aber nicht mehr so schlimm. Er hatte ein Ventil für seine Passion gefunden: das Straßengeschehen vom Fenster aus kommentieren, als wäre es ein Spitzenspiel.

„Neun Sekunden gespielt. Hier an der Neusser Straße relativ viele Autos noch unterwegs. Aber Sie sehen das, mit relativ viel Sicherheitsabstand auch zwischen den Linien. Das ist gut...“ – aus Versehen landete dieser erste Clip mit Hunkes überpacenden Verbaldribblings im Netz. Als der alleinerziehende Vater von einer Radtour mit seiner Tochter zurückkehrt, hat er auf Instagram Tausende Follower mehr und zwei Dutzend Interviewanfragen auf der Mailbox. Und er legt nach unter #KommentatorInQuarantäne. Nachbars Mähroboter schießt ein „Tooooor“? Da macht auch Mats Hummels Hunkes Spaß mit und schickt ein Statement.

 

Die eigene Freundin, ARD-Korrespondentin Natalie Amiri, beim Yoga, Liverpools Kicker Mo Salah beim Spaziergang in München, die Weinlese, die Wolkenformation, wie zwei Tauben um ein Körnchen streiten – „man kann alles wie ein Fußballspiel kommentieren“, sagt Hunke, dessen sonore Stimme mühelos Wände durchdringt. Seine direkte Familienumgebung müsse schon seit Jahrzehnten darunter leiden. Mit drei fing er an, vor dem Fernseher Fußballspiele zu kommentieren, um seine Eltern zu bespaßen. Dass die „Lebenskommentare“, wie der inzwischen 37-Jährige seine Beschreibungen banaler Alltagssituationen nennt, auch andere Menschen interessieren, war ihm neu. Seit dieser Woche gibt es seine gesammelten Werke deshalb auch auf einem YouTube-Kanal: #Lifecommentary.

Produkt seiner von Corona entfesselten Kreativität ist auch das Format „Der Vorleser“. Bei den „Einschlafgeschichten für Fußball-Nerds“ über legendäre Matches zeigt Hunke seine leise Seite, länderübergreifend. Der Schweizer Sender Teleclub, wo Hunke gemeinsam mit Marcel Reif als Moderator und Kommentator der Champions League im Einsatz ist, schaltete den „Vorleser“ ein paar Mal on Air. Hunkes laute Seite in den „Fenster-Reportagen“ kommt allerdings bei seinen Fans deutlich besser an. Sie haben ihn zum bekanntesten Sportreporter Deutschlands gemacht. Sagt jedenfalls Steffen Simon über ihn. Der WDR-Sportchef, der sich selbst aus der Live-Kommentierung weitgehend herausgezogen hat, holte Hunke nach zwei Jahren Dienst bei Eurosport und DAZN im Februar zurück zur „Sportschau“ nach Köln, wo er 2009 seine TV-Karriere begonnen hatte. Der durcheinandergewirbelte Spielplan sieht nun Hunkes ersten Einsatz nach der Pandemie-Pause beim Zweitligisten Bochum gegen Heidenheim vor. Am Sonntag darf der „Kölner von Herzen“ vor Ort das Effzeh-Spiel gegen Herausforderer Mainz kommentieren.

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Ob nun auch sein Leben wieder einen Sinn hat? „Komisch“, antwortet Hunke, „ich dachte bisher, dass es das Wichtigste sei, regelmäßig über die Bundesliga zu berichten. Mittlerweile hat sich das verschoben. Es ist nach wie vor mein Beruf und auch Berufung. Aber in der Covid-19-Zeit haben sich bei mir, wie auch generell in der Gesellschaft, Prioritäten verschoben. Ich kann von mir nicht behaupten, ich könnte ohne Bundesliga nicht mehr leben. Ganz im Gegenteil.“ Den Re-Start der Bundesliga an diesem Samstag sieht er denn auch kritisch. Viele andere Dinge seien im Moment „deutlich wichtiger als Fußball“. Andererseits habe er Verständnis dafür, dass die Vereine auf eine Fortsetzung des Spielbetriebs drängen. „Sie brauchen das Geld. Und ich wäre der erste, der traurig wäre, wenn ein Traditionsverein Pleite gehen müsste, weil die Einnahmen aus der TV-Übertragung ausbleiben. Die Frage ist nur: Warum gibt es diese starke Abhängigkeit vom Fernsehgeld?“ Dieses System, und da ist Hunke auf Linie mit dem sich überraschend selbstkritisch hinterfragenden DFL-Boss Christian Seifert, „gilt es zu überdenken“. 

Aber erstmal geht es im alten System weiter. Sky überträgt die Konferenzen an den ersten beiden Spieltagen der Bundes- und der Zweiten Liga for free. Die ARD zeigt wie üblich in der „Sportschau“ die Zusammenfassungen. Kurz vor dem Fußball-Lockdown kommentierte Hunke für die „Tagesthemen“ als letztes die Partie Mönchengladbach-Köln. Es war das erste Spiel ohne Fans im Stadion. Ohne Jubel, Trubel, Heiterkeit. Ein Geisterspiel, wie es sie bis zum Ende der Saison geben wird. „Gar nicht so schlecht“ fand der jüngste Kommentator im „Sportschau“-Team die Sache. „Ohne Geräuschkulisse durch die Fans hört man die Anweisungen der Trainer und merkt, was für eine Wucht in einem Schuss ist.“ Was er hochspannend finde: „Schwalben, die Auf-dem-Boden-Liegerei, all die Dramen auf dem Rasen wird es vermutlich in der Form nicht mehr geben.“ Denn auch Schiedsrichter könnten jetzt genau hinhören, ob es ein Foul gab oder nicht. Eine Drama-Queen wie Cristiano Ronaldo, prophezeit Hunke, werde es schwer haben. „Ich glaube, dass der Fußball ein bisschen seine Bodenständigkeit zurückgewinnt.“

Die Frage ist, ob die Fans Fußball pur überhaupt so wollen. Und ob nicht gerade die Live-Kommentatoren jetzt in der Pflicht sind, im Off noch einmal mehr auf die Tube zu drücken, um ein bisschen Theater aus dem Rasenkick zu quetschen. Wer letzteres glaubt, ist nach Hunkes Meinung „auf dem Holzweg“. Fußballkommentatoren seien zwar jetzt die einzigen Mittler des Geschehens. Aber wo keine Stimmung sei, sollte man auch keine herbeireden. Von akustischer Simulation, sprich eingespielten Appläusen, wie sie im Showfernsehen eingeführt und von der DFL diskutiert, aber verworfen wurden, hält Hunke übrigens auch nichts. 

Schon früh fiel er, der in Köln Sportjournalismus studierte, in der ARD damit auf, hin und wieder auch mal zu schweigen statt permanent aufzublasen. „Lass die Leute auch mal Fußball schauen. Quatsch nicht alles tot. Man kann eine Zeitlupe auch mal freistehen lassen“ – so hielt er es bisher und will es auch weiter tun. Und wenn Corona auch etwas Positives gebracht haben sollte, dann wohl das: Es werde unter seinen Kollegen sicher ein Umdenken in punkto Lautstärke geben, glaubt Hunke, der ja durchaus auch sehr laut sein kann. „Man wird nicht mehr schon in Minute drei völlig emotional in den Himmel gehen, wenn es einen Einwurf auf Höhe der Mittellinie gibt.“ Natürlich müsse man im Champions-League- oder im WM-Finale Emotion transportieren, „aber ob man jetzt unbedingt am 27. Spieltag in der Zweiten Liga alles so hochjazzen muss, wie das früher war?“. 

Der Beweis in Bochum und Köln an diesem Wochenende steht freilich aus. Der „totale Vorbereitungsfetischist“, als der sich Hunke bezeichnet, hat seine Vorarbeit jedenfalls etwas umgestellt. Statistiken büffeln gehörte bisher zu seinem Beruf. Seit Corona frage er sich aber, ob man das überhaupt muss: „Ist es wirklich elementar zu wissen, wer in der Saison XY die beste Mannschaft bei Defensiv-Standards war?“ Er glaubt nein. Ihn interessiert jetzt mehr das Menschelnde. Von den Trainern und Spielern seiner Partien holte er sich vorab Hintergrund ein etwa über die Trainingsgepflogenheiten, um daraus Schlüsse ziehen zu können, warum der beste Torschütze der Mannschaft vor Covid-19 in diesem Match nicht zum Abschuss kommt.

Kontakt zwischen Spielern und Reportern ist verboten

Zur Vorbereitung gehörte auch: eine zweistündige Konferenz am Freitag zur Einweisung ins Sicherheitskonzept der ARD für ihre Fußballcrew. Es besagt unter anderem, dass das Stadion in drei Zonen eingeteilt wird. Kontakt zwischen Spielern und Reportern ist verboten. Kommentatoren verharren in ihrer Box auf der Tribüne und führen Interviews per Funk runter in die Flashzone. Vom Hygienekonzept der DFL ist Hunke übrigens fast rundum überzeugt: „Da haben sich ganz viele Menschen kluge Gedanken gemacht. Das ist deutsche Wertarbeit.“ Allerdings gebe es Dinge, siehe der Fall Dynamo Dresden, wo die komplette Mannschaft sich gerade in Quarantäne befindet, „die kann man nicht kontrollieren. Da stößt auch die DFL an die Grenzen der Virologie“.

Das Virus hat ihn selbst nicht an Grenzen geführt, jedenfalls nicht finanziell. Als Freiberufler habe er gelernt, in den fetten Jahren etwas zurückzulegen. Der Hype um den #KommentatorInQuarantäne schafft ihm außerdem auch völlig neue Perspektiven und Fans. Da wünschte sich zum Beispiel @is_this_patrick via Twitter „vom Weihnachtsmann, dass @robbyhunke zur Börse vor 8 wechselt und den DAX kommentiert“. Robby Hunke, der von sich sagt, „ich liebe es, Menschen zum Lachen zu bringen“, wird tatsächlich mit Angeboten überhäuft – aus der Unterhaltungsbranche. Im März klingelte sein Telefon von früh bis spät pausenlos, sodass er zweimal den Akku austauschen musste. Sehr spannende Ideen seien dabei, wo er auch mal die Rolle des Kommentators wechseln könne. „Ich muss noch genau sondieren, was genau zu mir passt.“ Es könnte sein, dass es im Herbst schon Neuigkeiten gibt.


Ausschließen kann er schon, dass es ein gemeinsames Projekt mit seiner Lebensgefährtin Natalie Amiri geben wird. Amiri, die auch die iranische Staatsbürgerschaft besitzt, musste nach einer Warnung des Auswärtigen Amts zum 1. Mai ihren Posten als Leiterin des ARD-Büros in Teheran aufgeben. Kurz darauf im Podcast des BVB plauderten sie und Hunke über ihre „Iran-Bubble“ und seine Sehnsucht nach „Rasen und Bratwurst“. Ob da noch mehr kommt? „Natalie und ich werden durchaus weiter punktuell gemeinsam auftreten, wenn es passt“, sagt Hunke, „wir planen aber Beruf und Privates zu trennen und keine Sendung zusammen zu moderieren. Unsere beruflichen Themen sind zu weit voneinander entfernt, als dass man sie verbindet.“

Konkreter wird er nicht. Dann schiebt Robby Hunke, der Entertainer, den abgemodelten Satz eines früheren Chefs hinterher: You never know in football – and in entertainment.