Das europäische "House of Content" bei Discovery ist das jüngste Beispiel eines bemerkenswerten Trends: Immer mehr Konzerne kehren zurück zu einer stärker paneuropäischen Strategie - auf den ersten Blick also jener Philosophie mit der sich US-amerikanische Medienkonzerne in den 90er Jahren ursprünglich dem Fernsehmarkt in Europa angenähert haben. Die damals von NBC, Discovery, Disney und Co. gestarteten Sender waren zunächst Abspielstationen der eigenen US-Programmware, anfangs selten oder gar nicht angereichert mit lokalen Produktionen. Mehr noch: Es gab englischsprachige Sender, die europaweit das gleiche Programm ausstrahlten.

Der Kleinteiligkeit des europäischen Marktes mit seiner Sprachenvielfalt setzten die Konzerne zunächst plump die Strahlkraft ihrer Marken entgegen. In den USA war man von seinen Marken so berauscht, dass es die Statthalter in deutschen wie anderen europäischen Märkten über Jahre in Verlegenheit brachte: Sie mussten den Hauptquartieren drüben in den Staaten immer wieder schonend vermitteln, welche kaum wahrnehmbare Rolle die großen Marken Hollywoods beispielsweise in Deutschland spielten, was einerseits dem im Vergleich zu den USA noch weit unterentwickelten Pay-TV-Markt geschuldet war - und einem Programm, das oft an lokalem Interesse vorbei sendete.

Die Erfolgsgeschichte des deutschen Pay-TV begann erst in jenen Jahren, in denen einige amerikanische Medienkonzerne ihren deutschen Dependancen mehr Freiheiten gewährten und Budgets frei gaben für die Entwicklung eigener Programme, die mehr waren als kleine Pausenfüller. So erhielt beispielsweise der paneuropäisch auf englisch ausgestrahlte Sender Turner Classic Movies (TCM) zunächst eine deutschsprachige Schwester, die dann 2009 in TNT Film umbenannt wurde - in jenem Jahr, in dem wenig später übrigens auch aus Premiere Sky wurde. Bei Turner Broadcasting (heute WarnerMedia) und Sky wurde in lokale Strukturen investiert.

Der Erfolg kam mit den lokalen Strategien

Auch in anderen Häusern wurde zu dem Zeitpunkt längst lokal geplant, produziert und realisiert. Discovery, traditionell ein Medienkonzern der im Pay-TV zuhause ist, ging in Deutschland seit 2006 mit dem Free-TV-Sender DMAX sogar einen ganz eigenen Weg. Bei NBC Universal wurden Sender wie 13th Street und Syfy inhaltlich an die Interessen des deutschen Publikums angepasst - und unterscheiden sich bis heute oft vom Programmangebot ihren Namensvettern in Nachbarländern. Die frühen 2010er waren die große Wachstumsphase des deutschen Pay-TV und das Urteil einhellig: Der Erfolg kam mit den lokalen Strategien.

Die Zeit, in der Programm zentral aus den USA heraus oder zumindest paneuropäisch geplant und realisiert wird, schien vorbei. So als wäre es eine Entwicklungsstufe gewesen, die man hinter sich gelassen habe. Doch jetzt, im Jahr 2020, sieht so aus als wenn auch hier jene Plattitüde gilt, die Fernsehmacherinnen und -macher so gerne bemühen: Alle Trends sind Wellenbewegungen und kehren irgendwann zurück. Nicht erst seit der Corona-Pandemie merkt man diese Retro-Entwicklung: Die paneuropäische Idee kehrt zurück, angetrieben einerseits durch die Verlockung finanzieller Einsparungen und die heute problemlosere Zusammenarbeit über Standorte hinweg, wie man durch das HomeOffice-Jahr 2020 noch einmal vor Augen geführt bekam.

Den Anfang machte Sky: Durch die Integration von Sky Deutschland wurde der britische Pay-TV-Anbieter im Sommer 2014 zusammen mit seiner Präsenz in Italien zum paneuropäischen Anbieter, der in den Folgejahren die Verantwortlichkeiten immer stärker in London bündelte. Zahlreiche Führungskräfte haben die Unterföhringer Deutschland-Filiale darauf hin verlassen. Es folgten andere Pay-TV-Konzerne, die ihr Europa-Geschäft wieder in zunehmend zentraler Verantwortung bündelten, oft sogar in den Händen der deutschen Managerinnen und Manager. Bei NBC Universal erhielt Katharina Behrends beispielsweise in den Jahren vor ihrem jüngsten Ausscheiden die Verantwortung für die Geschäfte in Osteuropa hinzu.

Verantwortung wird wieder gebündelt

Bei Turner übernahm Hannes Heyelmann zusätzlich Verantwortung für Osteuropa und Benelux, ist kürzlich beim gerebrandeten WarnerMedia weiter aufgestiegen und verantwortet das Programm aller Sender und Streamingdienste in Europa, dem Nahen Osten und Afrika. Aus deutscher Sicht waren es in diesen Fällen die persönlichen Karrieren, die Schlagzeilen machten und doch bedeuteten sie auch ein mehr an zentraler Steuerung. Ein Trend, der bei der aktuellen Discovery-Meldung jetzt stärker ins Auge fällt, weil hier die Verantwortung - auch fürs deutsche Programm - künftig in den Händen einer im deutschen Markt bislang unbekannten Niederländerin liegt. Nicht nur bei Discovery in München fühlt man sich laut Flurfunk ein bisschen an Zeiten erinnert, in denen dort vornehmlich umgesetzt wurde, was woanders entschieden wurde.

Bei Disney wiederum ist zwar nichts von einer organisatorischen Neuordnung des Deutschlandgeschäfts bekannt, aber der erklärte Fokus des US-Konzerns auf den Ausbau des neuen Streamingdienstes Disney+ bedeutet ebenso eine Verlagerung von strategischen Entscheidungen weg vom Standort München. Wie einst das Pay-TV-Geschäft des Mickey Mouse-Konzerns wird jetzt auch Disney+ wieder sehr zentral aus Hollywood gesteuert. Anders als bei den schon länger im Markt agierenden Konkurrenten Netflix und Amazon gilt bei Disney+ derzeit noch, was stark an jenen Kultur-Imperialismus amerikanischer Medienkonzerne bei der ersten Eroberung internationaler Märkte in den 90er Jahren erinnert: Eine Strategie für die ganze Welt.

Einmal lokal und zurück - und doch gibt es entscheidende Unterschied zu früher. Anders als in den 90er Jahren, damals noch weitgehend ohne Internet, ist die Welt heute viel unmittelbarer miteinander vernetzt und nicht zuletzt die Corona-Pandemie mit der im Rekordtempo erzwungenen Digitalisierung vieler Arbeitsabläufe hat dafür gesorgt, dass Distanzen eine weniger große Rolle spielen als früher. Noch dazu sind vielerorts profilierte Führungskräfte am Werk, die aus eigener Erfahrung um die Bedeutung lokaler Identitäten wissen. Und in Zeiten des allgegenwärtigen Home Office stellt sich im Ergebnis gar die Frage: Spielt es noch eine Rolle, wer wo sitzt? Operativ hat es aber in jedem Fall Auswirkungen auf bestehende Strukturen und mitunter Arbeitsplätze.

Am Mittwochnachmittag spricht Susanne Aigner, Geschäftsführerin Discovery GSA & BNLX, übrigens bei den Medientagen München zum Thema "Herausforderungen der (digitalen) Transformation in Umbruchzeiten" - und das zusammen mit Jessica Peppel-Schulz, der Deutschlandchefin von Condé Nast. Der internationale Verlag machte gerade erst vergangene Woche Schlagzeilen - mit einer angestrebten Zusammenlegung des europäischen Geschäfts in den Märkten Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Spanien und Italien unter einem zentralen Managing Director.