Hape Kerkeling © MG RTL D / Felix Rachor Hape Kerkeling
Stück für Stück wird sichtbarer, vor was für einem gewaltigen Wandel der größte deutsche Privatsender steht: Als DWDL.de Mitte Februar das Projekt "RTL United" enthüllte, waren noch keine Personalien bekannt. Es schien, als ginge es um ein Marketing-Projekt: Ein neuer Anstrich, ein Rebranding. Also eine Frage der Unternehmenskommunikation ohne viel Auswirkungen aufs Inhaltliche.

Es folgte zunächst eine Personalrochade auf Führungsebene, die Verantwortlichkeiten für RTL sowie den Streamingdienst RTL+ (noch TVNow) neu sortierte. Wenig später die Trennung von Dieter Bohlen, kurz darauf die Ankündigung einer neuen wochentäglichen Nachrichtensendung mit Jan Hofer und jetzt Hape Kerkelings TV-Comeback. Und in Produktion ist eine Serie über die Hitler-Tagebücher des "Stern" und eine Neuverfilmung von "Sisi".

Manch einer wertet sogar Gottschalks Einspringen bei "DSDS" - so als hätte er nicht ohnehin eine RTL-Show mit "Denn sie wissen nicht was passiert" - und die Verpflichtung von Uli Hoeneß als Signale in die gleiche Richtung, wenn gleich sie weniger relevant sind. Geunkt wurde in den sozialen Netzwerken jedenfalls schnell: RTL setze bei seiner Erneuerung ja auf alte Bekannte, wobei die Betonung auf dem Adjektiv liegt.

Und genau das ist durchaus Strategie. RTL will ohne Lautsprecher wie Bohlen nicht nur freundlicher, sondern älter werden und das aus naheliegendem Motiv: Es geht ums Geld, verdient durch Fernsehwerbung. Jahrzehnte fokussierte sich das Privatfernsehen und allen voran RTL auf die berühmten werberelevanten Zuschauer im Alter von 14 bis 49 Jahren. Hier proben alle Privatsender seit Jahren nun schon die passende Strategie im Kampf gegen die wachsende On-Demand-Nutzung der Streamingdienste und Mediatheken. 

Von der Defensive in die Offensive

Aus dieser Defensive zu verteidigen, was man mal hatte, geht RTL jetzt in die Offensive und will andere Felder (zurück) erobern. Es ist ein Angriff auf ARD und ZDF bzw. ein Werben um ihr Publikum. Mit Formaten wie "Wer wird Millionär?", "Let's dance" oder "Denn sie wissen nicht was passiert" ist das Programm der Kölner ohnehin schon oft generationsübergreifend. Ein Dieter Bohlen war zwar bekannt bei allen, aber verschreckte als Galionsfigur des schrillen RTL genau das Publikum, was man jetzt in den Fokus nehmen will. 

Wer wird Millionär? © TVNOW / Guido Engels Günther Jauch
Wenn "Tatort" oder Krimi-Reihen bei ARD und ZDF laufen, dann ist ein überwältigender Teil des Publikums älter als 50 Jahre. Von sieben oder gar zehn Millionen Zuschauern ist RTL weit entfernt, wenn selbst Jauchs "Wer wird Millionär" nicht mal mehr vier Millionen erreicht und Unterhaltungsshows der Öffentlich-Rechtlichen vorbeiziehen. Fast vier Jahrzehnte lang war RTL, Sat.1 und Co. das noch relativ egal, weil man sich für die Werbewirtschaft an den Erfolgen beim jungen Publikum orientierte. Doch die Schere geht immer weiter auseinander: Immer weniger Junge, immer mehr Ältere schauen linear fern.

Die jüngeren Zielgruppen verlagern ihre Mediennutzung aus dem linearen Fernsehkonsum seit Jahren schneller als alle anderen. RTL macht ihnen deshalb mit TVNow bzw. RTL+ auch ein On-Demand-Angebot, will sie auch künftig nicht links liegen lassen. Im Linearen setzt der neue RTL-Geschäftsführers Henning Tewes aber auf eine neue Strategie: Es geht um nicht weniger als den Versuch, eine private Alternative für Milieus zu werden, die seit Jahren verschreckt von manchen RTL-Programmen und den Schlagzeilen dazu, allein bei den Öffentlich-Rechtlichen zuhause waren. 

Das war schließlich mal anders. Heute ist der Sender zwar vielen der Inbegriff von laut und derbe - eben das RTL der Bohlen-Jahre. Aber es war einst auch mal der Sender von "Dr. Stefan Frank" oder erfolgreichen und prämierten Krimiserien wie "Doppelter Einsatz". Rückblickend vielleicht altbacken wirkende Programme, dabei in ihrer Zeit durchaus progressiv u.a. durch die Besetzungen und erzählten Figuren und Geschichten. Für diese Programme wechselten auch Zuschauer vom Ersten oder ZDF rüber.

Älter werden, die Zweite

Einschaltquoten © DWDL.de
Älter werden - war da nicht mal was? Schon vor vielen Jahren versuchte die Mediengruppe RTL Deutschland zusammen mit anderen Marktteilnehmern eine erweitere werberelevante Zielgruppe der 14- bis 59-Jährigen im Markt zu etablieren. Den Diskurs begleitete DWDL.de auch jahrelang mit einer Ausweisung dieser neuen Zielgruppe. Doch rückblickend war es Sender-seitig nur halbherzig. Intern blieben die Verantwortlichen bei der Betrachtung der 14- bis 49-Jährigen, mühten sich in offiziellen Veröffentlichungen mit der Policy, dort dann Werte für die 14- bis 59-Jährigen nennen zu müssen.

Aufgeben wird man die werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen in Köln trotz der neuen Strategie dennoch nicht so schnell. Das einst von Helmut Thoma erhoffte Narrativ funktioniert schließlich immer noch insofern als dass es den Privatsendern beim jüngeren Publikum leichter fällt, führend zu sein - und natürlich viele Werbekunden auch genau darauf schauen. Und im durch Social Media veröffentlichten Diskurs generiert die junge Zielgruppe den oft von Marken gewünschten Buzz. Auch das hat weiterhin seinen Wert.

Aber anders als damals in den 80er Jahren ist das ältere Publikum eben inzwischen eine ebenso begehrte Zielgruppe geworden: Handelte es bei dieser Zielgruppe in der Frühphase der kommerziellen Privatfernsehens noch um die Kriegsgeneration, sind heutige 60-Jährige in den goldenen Zeiten der Bundesrepublik Deutschland und des Konsums groß geworden, sind mit Innovationen ganz anders vertraut und aufgeschlossener. Wer diese Zielgruppe mit Werbung im TV erreichen will, ist im Ersten und beim ZDF limitiert.

Scheckbuchfernsehen für die Neupositionierung

Henning Tewes © MG RTL D / Marina Rosa Weigl Henning Tewes
Hier sieht RTL-Geschäftsführer Henning Tewes - und mit ihm Vermarktungskollege Matthias Dang von der Ad Alliance - offenbar Chancen. Weiterhin wird es auch jünger ausgerichtete Programme bei RTL geben, aber wenn personell mit Allstars, die über Generationen hinweg bekannt sind, und Produktionen, die ohne Skandalschlagzeilen auskommen, mittelfristig in einem eher älteren und sonst öffentlich-rechtlich sozialisierten Millieu der Eindruck gefestigt wird, dass RTL wieder guckbarer geworden ist, dann ist viel Publikums-Potential gehoben. 

Es ist eine Strategie mit hohem Einsatz: Begehrtes Personal zu verpflichten, kostet. Scheckbuch-Fernsehen für die Neupositionierung. Manch einer fühlt sich erinnert an die Zeiten von Fred Kogel bei Sat.1 Mitte der 90er Jahre. Und dann bleibt die enorme Herausforderung mit allem, was man neu probiert, erst einmal die immer noch sehr verlässlichen Reichweite zu erreichen, die zum Beispiel Dieter Bohlen zuletzt an sehr vielen Abenden im Jahr gesichert hat. Es ist die zweite große Wette der Mediengruppe RTL Deutschland neben dem andauernden Versuch, einen eigenen Streamingdienst zu etablieren.

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