Friedlich, aber gespenstisch. Ruhig, aber langweilig. Dunkel, aber eben privat. Die Nacht hat viele Facetten. Die einen schlafen tief und fest, die anderen drehen erst so richtig auf, wenn die Sonne am Horizont verschwunden ist. Zur letzteren Sorte gehört Ben Streubel, der trotz regelmäßiger Sendezeit von null bis fünf Uhr, also fernab jeglicher Radioprimetime, einer der bekanntesten Radiomoderatoren Deutschlands ist. "Die Nacht ist der bessere Tag. Die Nacht ist in jedem Fall wesentlich stressfreier, da kann ich mich freier bewegen", sagt Streubel zu DWDL.de.

Seit 2002 nun moderiert Streubel "SWR 3 Luna", eine interaktive Radiosendung, die weit über die Grenzen Baden-Württembergs und Rheinland-Pfalz‘ bekannt ist, was nicht zuletzt daran liegt, dass sie regelmäßig innerhalb der "ARD-Popnacht" auch in vielen anderen Bundesländern des Landes zu hören ist. Somit ist Streubel auch einer von ganz wenigen Radiomoderatoren, die Programm nicht nur für die eigene Region, sondern das ganze Land machen. Für ihn kein Problem. "Ich habe keine Grenzen im Kopf. Ich kann Radio machen für alle Menschen in ganz Deutschland. Es gibt da keinen Unterschied in der Ansprache. Wie weit die Menschen räumlich auseinander liegen, ist da egal. Allein von den Themen her wird man nie alle Menschen gleichermaßen erreichen, darin liegt aber der Reiz", sagt er.

Dass die Nachtsendung einen derartigen Reiz entfaltet, wusste der von manchen liebevoll "Bennibär" gerufene Hörfunkmann freilich nicht immer. Ende der 90er wechselte Streubel von seinem damaligen Sender Antenne1, bei dem er die Morningshow präsentierte, zu SWR3. Das Programm war noch recht frisch, entstanden aus der Fusion von SDR3 und SWF3 – und zu Beginn war Streubel auch am neuen Arbeitsplatz die Stimme der Morningshow für Baden-Württemberg. Nach der Fusion gab es zunächst aber noch eine weitere Morningshow, die für Rheinland-Pfalz hergestellt wurde. Erst nach und nach wurde das Programm zusammengelegt. Die Folge: Plötzlich gab es mehr Moderatoren als Sendungen. "Die Nacht war dann für mich eine Möglichkeit, da ich nie ein Springer sein wollte. Ich wollte etwas Eigenes haben. Also habe ich die Nacht ausprobiert und habe festgestellt, dass das genau mein Ding ist. Die Nacht zu moderieren war quasi mein Kindheitstraum, weil ich mich da am Radiomikro etwas mehr ausleben kann. Die Abläufe sind mehr auf mich zugeschnitten, was mir mehr Gestaltungsraum gibt", erinnert sich Streubel.

 

"Wenn ich eine Radiosendung mache, dann habe ich viele Bilder in meinem Kopf. In dem Moment, in dem ich das mit sieben Leuten teilen muss, gehen mir diese Bilder verloren." Ben Streubel

 

Gestaltungsspielraum braucht der Radiomann, der sich bezogen auf seinen Beruf als "Einzelkämpfer" bezeichnet. "Wenn ich nachts im Studio stehe und mir die Lichter schön gedimmt habe, dann ruhe ich förmlich in mir. Wenn der Security-Mann dann mal durch die Gänge läuft und deshalb das Licht angeht, geht sofort eine kurze Unruhe auf mich über", erzählt er. Menschen würde er freilich lieben, gibt er an – und mag wohl recht haben. Wer Streubels Sendungen hört, der spürt, dass sie ohne Empathie und Liebe so nicht möglich wären. Ein Einzelkämpfer bleibt er im Studio aber trotzdem. "Wenn ich eine Radiosendung mache, dann habe ich viele Bilder in meinem Kopf. In dem Moment, in dem ich das mit sieben Leuten teilen muss, gehen mir diese Bilder verloren." Entsprechend sei es gut, dass nachts eben keiner zu ihm ins Studio komme, fünf Zettel in der Hand halte und ihm sage, dass wir "schnell das noch haben und hier noch was brauchen."

Einfach füreinander da

Allein ist Streubel dennoch nicht. "Manche nennen es Nacht-Community, andere liebevoll Therapiekreis. Die Menschen rufen mich im Studio an, wir sind dann einfach füreinander da. Da sind viele Stammhörer dabei, einige davon rufen seit 20 Jahren eigentlich jede Nacht an", sagt Streubel. Das Spektrum ist riesig. Zu den Hörern der Sendung zählen, eben wegen der Ausstrahlung innerhalb der "ARD-Popnacht", sowohl Menschen, die gerade vor dem Brandenburger Tor stehen, aber auch jene, die gerade beim Fischen an der Nordsee sind. "'SWR 3 Luna' wird weltweit gehört," fügt Streubel an, "wir haben also Anrufer, die uns auf einem Highway in den USA hören, wenn sie gerade auf dem Weg in den Feierabend sind. Wir haben Hörer in Japan, die rufen vom Frühstückstisch im Hotel an. Es gibt keine Grenzen."

Sich wirklich Zeit für Hörerinteraktion zu nehmen, ist im Radio keineswegs mehr selbstverständlich. Mainstreamprogramme unterliegen seit Jahren strengen Formatregeln. Eine davon ist, nur nicht zu viel zu reden, um den Menschen vor dem Empfänger nicht über Gebühr zuzuschwätzen. Doch die Nacht hat, im echten Leben wie im Radio, andere Regeln. "Radio funktioniert nachts auch deshalb anders, weil die Menschen, die meine Sendung hören, genauso wie ich quasi in dieser Sendung drin liegen und sich dabei wohlfühlen. Wir sind da in einer ähnlichen Situation. Mal ehrlich: Nachts sind wir alle in einem Boot, während es tagsüber so ist, dass jemand Radio beim Autofahren hört und genervt ist, weil er im Stau steht. Oder er ist bei der Arbeit oder kümmert sich um die Kinder. Da gibt’s unendlich viele Situationen, nachts ist alles ruhiger", sagt Streubel. Moderatoren im Tagesprogramm müssten die Menschen ganz anders abholen, "viel mehr beruhigen". Die Nacht sei es, die allen mehr Freiräume biete. "Viele gehen Hobbys nach, schrauben also in ihrer Garage. Es gibt natürlich auch die Nachtarbeiter, aber jeder ist nachts im individuellen Bereich unterwegs. Mich rufen manchmal Polizisten an, die gerade auf Streife sind. Das würde tagsüber einfach nicht passieren", behauptet Streubel.

 

"Von Biorhythmus muss man sich bei vier Sendungen in der Nacht jede Woche aber absolut verabschieden. Aber wenn dir etwas Spaß macht, dann zerbrichst du daran auch nicht." Ben Streubel

 

In aller Regel moderiert Streubel vier Sendungen pro Woche – von Montag bis Donnerstag. Wenn andere morgens aufstehen, legt er sich schlafen – und ist dann erst nachmittags wieder erreichbar. "Von Biorhythmus muss man sich bei vier Sendungen in der Nacht jede Woche aber absolut verabschieden. Aber wenn dir etwas Spaß macht, dann zerbrichst du daran auch nicht. Ich ziehe viel positive Energie aus dieser Sendung. Es macht mir auch nach all den Jahren noch viel mehr Freude als es mich letztlich Energie kostet. Ich freu‘ mich auf jede Nacht", sagt Streubel. Ins Sendestudio zu gehen, sei für ihn auch nach all den Jahren noch so, als würde man nach einer kleinen Reise zurück zu seiner Familie kommen.

Kleine Reisen unternimmt Streubel übrigens wirklich gerne. In normalen Jahren ist er am Wochenende, also von Donnerstag bis Sonntag, viel unterwegs. 40 Auftritte im Jahr kämen bei ihm schnell zusammen. Auf der Bühne steht er mit dem bekannten Programm "SWR 3 Live Lyrix", in dem bekannte Rock- und Popsongs als kleine Theaterstücke auf der Bühne präsentiert werden. Die Songs sind so nicht nur zu hören, sondern zu fühlen und schließlich zu begreifen. Das bedarf intensiver Vorbereitung und ist ebenfalls eine Menge Arbeit. Allzu viel Ruhe gibt es bei Streubel also nicht – und wenn doch profitiert er von einem Umstand: "Ich habe die Gabe, dass ich wirklich zu jedem Zeitpunkt und an fast jedem Ort schlafen kann. Ich kann mich in den Zug setzen und direkt schlafen. Das geht auch am Flughafen, wenn es denn sein muss", erzählt er mit einem Grinsen.

Züge, Flughäfen, sie sind Streubel gut bekannt als jemand, der viel und gerne unterwegs ist. "Berlin, Hamburg, Mallorca, für mich gibt es keine räumlichen Beschränkungen", sagt der Nachtmoderator – und das Motto gilt für ihn nicht nur beim Reisen.