Kein Jubel-Tweet, keine Pressemitteilung. Als am vergangenen Sonntag zwischen 8 und 9 Uhr die "Supertalent"-Quoten eintrudelten, dürfte so mancher Verantwortliche bei RTL für einen kurzen Moment in Schockstarre verfallen sein. Kein Platz unter den fünf meistgesehenen Sendungen des Tages, meilenweit hinter dem über vier Jahrzehnte alten Klassiker "Verstehen Sie Spaß?" und sogar noch geschlagen vom ZDF-Samstagskrimi. Rückwirkend wurde der Zielgruppen-Marktanteil sogar noch leicht nach unten korrigiert, auf 9,2 Prozent. Es ist, wenn man so will, das Tief nach dem Tief.

Um es auf den Punkt zu bringen: RTL läuft gerade Gefahr, dass ihm eines seiner stärksten Show-Zugpferde wegbricht. Zählte die Show in ihren besten Jahren, als sich RTL sogar traute, mit ihr gegen das bis dato unantastbare "Wetten, dass..?" in den Kampf zu ziehen, im Schnitt fast sieben Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer und Marktanteile von weit mehr als 30 Prozent in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen, so wirkt "Das Supertalent" jetzt wie ein Schatten seiner selbst. Keine zwei Millionen schalteten am vorigen Wochenende ein. Das Projekt Neustart, die Hoffnung auf "Veränderung und Weiterentwicklung", die Unterhaltungschef Kai Sturm noch im Frühjähr äußerte, all das droht zu versanden, noch bevor es richtig losgegangen ist.

Der Zauberformel, mit der es in der Vergangenheit auf bemerkenswerte Weise immer wieder gelang, das Format neu zu erfinden, scheint dieses Mal nicht zu zünden. Nun gehört es freilich auch zur Wahrheit, dass RTL und die Produktionsfirma UFA Show & Factual zu Beginn dieser "Supertalent"-Produktion vom Pech verfolgt waren. Weil der neue Hoffnungsträger Lukas Podolski wegen einer Corona-Infektion ausfiel, musste kurzfristig Ersatz gefunden werden. Die Folge ist, dass RTL nun auf wechselnde Jury-Mitglieder setzt, was es quasi unmöglich macht, ein eingespieltes Team zu formen. Das aber wäre wichtig gewesen, um Dieter Bohlen und Bruce Darnell einigermaßen adäquat zu ersetzen. RIchtig ist eben auch: Die beiden drückten der Show über Jahre hinweg ihren Stempel auf, und wer "Das Supertalent" mochte, schaltete auch wegen ihnen ein. 

Das Supertalent © RTL / Stefan Gregorowius "Supertalent"-Jury ohne Bohlen und Darnell: Die Ehrlich Brothers, Chantal Janzen, Andrea Kiewel und Michael Michalsky.

Vor dem Hintergrund des jüngsten Quoten-Tiefs ist es beinahe schon ein Wunder, dass sich Bohlen noch nicht selbst zu Wort meldete, um über die Talfahrt zu lästern. Vielleicht hat sich der frühere Jury-Chef seinen Angriff aber auch nur aufgehoben, bis "Das Supertalent" vollends am Boden liegt. Und das könnte, so befürchten es nicht wenige in Köln-Deutz, schon an diesem Wochenende so weit sein. Dann muss "Das Supertalent" nämlich erstmals gegen "The Masked Singer" antreten. Nur allzu gerne hätte auch RTL die Rechte an der Musik-Rateshow erworben, die zum weltweiten Hit avancierte und sich auch in Deutschland seit ihrem Start vor zweieinhalb Jahren mit Marktanteilen rund 25 Prozent am Entertainment-Himmel fest etablieren konnte.

Dass schon vor dem Duell entschieden ist, wie der Sieger heißen wird, belegt eindrucksvoll, wie sehr sich die Machtverhältnisse auf dem Markt der TV-Unterhaltung verändert haben. Und womöglich auch die Ansprüche des Publikums: Zwar pries RTL die vergangene "Supertalent"-Folge als Familienshow an, doch dann trat eben doch wieder ein Kandidat auf, der ein Bild mit seinem Penis malte. "The Masked Singer" verspricht dagegen tatsächlich große Familienunterhaltung zu werden - ganz ohne Genitalien-Gefahr zur besten Sendezeit.

Es fehlt an Alternativen

Was nun? Sollte "Das Supertalent" nicht die Kurve kriegen und zu Jahresbeginn auch der Versuch scheitern, "Deutschland sucht den Superstar" in der Nach-Bohlen-Ära neue Impulse zu geben, wird RTL dazu gezwungen sein, den Samstagabend komplett neu zu denken. Das Dilemma: Es fehlt an echten Alternativen, die das Zeug dazu haben, die beiden langjährigen Casting-Dauerbrenner, die bislang im Alleingang gut 30 Abende pro Jahr füllten, zu ersetzen. Und sollte "The Masked Singer" sich auch auf dem neuen Sendeplatz bewähren, dürfte es für den Kölner Marktführer auf absehbare Zeit nicht leichter werden, das verlorengegangene Publikum zurückzugewinnen.  

Nun aber gilt es erst einmal, die nächsten Wochen möglichst schadlos zu überstehen. Keine leichte Aufgabe, denn während mit "The Masked Singer" der erste "Supertalent"-Gegner bereits in den Startlöchern steht, droht Anfang November schon die nächste Katastrophe - verursacht ausgerechnet durch jene Show, gegen die die RTL-Castingshow einst antrat, um sie vom Samstagabend-Thron zu stoßen: "Wetten, dass..?". Gut möglich, dass Dieter Bohlen an diesem Abend ausnahmsweise seinem Erzfeind die Daumen drücken wird.

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