In der TV-Branche ist Christian Franckenstein nicht als jemand bekannt, der Konkurrenten mit Missgunst begegnen würde. Im Gegenteil: Sein langjähriges Engagement für die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Produzenten, nicht zuletzt im Vorstand der Produzentenallianz, kommt auch direkten Mitbewerbern zugute. In diesem Sommer allerdings wird die Generosität des gebürtigen Westfalen und Wahl-Münchners auf eine harte Probe gestellt.

Vom 25. Juli bis 12. August muss eine seiner wichtigsten Ertragsperlen in eine dreiwöchige Zwangspause, damit Eckart von Hirschhausen mit seiner neuen Produktionsfirma Hirschhausen Media sein neues Format "Team Hirschhausen" ausprobieren kann. Die ARD räumt dafür den werktäglichen 15:10-Uhr-Sendeplatz frei, den seit 17 Jahren die von Bavaria Fiction produzierte Telenovela "Sturm der Liebe" bespielt. Sommerpausen gab es für sie zwar auch in früheren Jahren, dann jedoch stets mit eigenen Wiederholungen, nicht mit einer anderen Sendung.

Dass Franckenstein über die drei Testwochen hinaus um "Sturm der Liebe" zittern muss, hat ARD-Programmdirektorin Christine Strobl schon im vergangenen Dezember im Zuge der möglicherweise letztmaligen Verlängerung des Produktionsauftrags bis Herbst 2023 klar gemacht: "Wir müssen angesichts unserer begrenzten Ressourcen überlegen, ob wir uns am Nachmittag noch ein fiktionales Angebot leisten können", sagte sie damals im DWDL.de-Interview. Welches wirtschaftliche Risiko dem Bavaria-Film-Konzern daraus erwächst, lässt sich aus dessen Lagebericht für das Geschäftsjahr 2020/21 ablesen: Dort wird die tägliche ARD-Serie als "wesentliche Säule des Unternehmens" bezeichnet, und es bestehe das "wesentliche Risiko, dass im Falle der Beendigung langlaufender Formate (Serien oder Reihen) eine solche Verringerung des Auftragsvolumens nicht zeitnah durch neue Akquisitionen ersetzt" werden könne.

Einstweilen können sich Franckenstein und seine CFO Iris Ostermaier immerhin damit trösten, dass es ihnen gelungen ist, die Bavaria aus dem zwischenzeitlichen Corona-Tief zu hieven. Im Geschäftsjahr 2021/22, das am 31. Januar endete, kletterte der Konzernumsatz um 21,5 Prozent auf 305,6 Millionen Euro, die Gesamtleistung um 13,4 Prozent auf 305,7 Millionen Euro. Das Wachstum sei auch mit Nachholeffekten aus dem durch Lockdowns beeinträchtigten Corona-Jahr 2020 zu begründen, teilt das Unternehmen mit. Hinzu komme die Akquisition der Story-House-Gesellschaften, die im Berichtsjahr erstmals vollständig konsolidiert wurden. Das EBITDA sprang um 82,1 Prozent auf 28,4 Millionen Euro, das Betriebsergebnis (EBIT) verzweieinhalbfachte sich auf 18,8 Millionen Euro. Der in den vergangenen Jahren realisierte Konzernumbau habe "Fokussierung gebracht und gleichzeitig zielgerichtetes Wachstum ermöglicht", resümiert Franckenstein das erfreuliche Zahlenwerk.

Über die Bavaria Film

  • Mit 305,6 Millionen Euro Umsatz im Geschäftsjahr 2021/22 hat sich die Bavaria Film spürbar vom Corona-Tief erholt.

  • Die Unternehmensgruppe mit Hauptsitz in Geiselgasteig bei München ist in den Geschäftsfeldern Content, Rights & Distribution, Studios & Services sowie Immobilien tätig.

  • Sie gehört zu einem Drittel der WDR Mediagroup sowie zu je einem Sechstel der Bavaria Filmkunst, der LfA Gesellschaft für Vermögensberatung, der MDR Media und der SWR Media Services.

  • Christian Franckenstein führt die Konzern-Holding seit 2014 als CEO. Iris Ostermaier steht ihm seit 2019 als CFO zur Seite.

Von DWDL.de nach den weiteren Aussichten befragt, gibt der CEO an, "aufgrund gut gefüllter Auftragsbücher" im laufenden Geschäftsjahr mit leicht steigenden Umsätzen zu rechnen, also erneut die 300-Millionen-Euro-Schwelle zu überspringen. Für die Zeit ab 2023 jedoch fällt Franckensteins Prognose weniger rosig aus: "Zum einen könnten die aktuellen Entwicklungen zu einer rückläufigen Konsumhaltung in Deutschland führen, mit der Rückgänge bei den Werbeerlösen und vielleicht sogar bei den VoD-Abonnements verbunden sein könnten. Aus früheren Krisen wissen wir, dass Sender und Auftraggeber bei sinkenden eigenen Einnahmen ziemlich schnell bei den Programmausgaben auf der Bremse stehen. Erste Anzeichen hierfür sind die aktuellen Meldungen von Magenta TV und HBO Max aus dieser Woche. Gleichzeitig führen die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auch bei uns zu erheblichen Kostensteigerungen, insbesondere im Bereich von Energie, Materialbeschaffung und Reisen. Personalengpässe in vielen Funktionen werden sich kurzfristig nicht entspannen. Trotz gut gefüllter Auftragsbücher müssen wir im laufenden Geschäftsjahr daher mit einer rückläufigen Ergebnisentwicklung rechnen." Die Aufstellung der Gruppe mit ihrer Bandbreite von Fiction über Show und Factual bis zu Dokumentation sei aber dazu geeignet, auf Nachfrageveränderungen "schnell und differenziert" zu reagieren.

Spätestens mit der Übernahme der renommierten Produktionsfirmen Story House Productions und Story House Pictures im Februar 2021 wurde klar, dass die Bavaria eine erhebliche Lücke in ihrem Portfolio konsequent schließen will. Innerhalb des Geschäftsbereichs Content dominiert bislang die Fiction, repräsentiert durch Joint Ventures wie Bavaria Fiction (mit ZDF Studios), Saxonia Media (mit MDR Media), Pro Saar (mit Werbefunk Saar) und Satel Film (mit Satel Privatstiftung).

Trucker Babes © Kabel Eins Mehr Doku: Mit Story House kamen die "Trucker Babes" zur Bavaria
Strategisches Ziel ist es laut Geschäftsbericht, den Anteil nicht-fiktionaler Programme am Umsatz des Geschäftsbereichs Content von bisher zehn auf mindestens 25 Prozent zu steigern. Grund seien die am Markt feststellbaren "Verschiebungen aus budgetären Gründen von fiktionalen zu nicht-fiktionalen Programmen". So wie sich die verschiedenen Fiction-Macher im Konzern seit jeher interne Konkurrenz machen, dürfen das künftig auch die Doku-Macher: Hier überschneiden sich die Portfolios von Story House und Bavaria Entertainment – und seit März baut auch noch Bavaria Fiction eine eigene Unit für hochwertige Dokumentationen unter Leitung des früheren A+E-Programmchefs Emanuel Rotstein auf. 

Als sich Anfang Mai rund 80 Führungskräfte der Bavaria zu einer dreitägigen Klausurtagung in Weimar trafen, standen dem Vernehmen nach die bevorstehenden "weitreichenden Veränderungen unserer Arbeitsweisen" auf dem Programm. Man verordnete sich neue Zielsetzungen wie etwa eine erhöhte Risikobereitschaft bei der Entwicklung von Ideen, einen stärkeren Fokus auf Diversität und Inklusion sowie die sichtbare Förderung und Beförderung von weiblichen Führungskräften. Aus den intern "Weimarer Verständnis" genannten Beschlüssen sollen nun gemeinsame Führungsleitlinien für die ganze Gruppe entstehen.

Fragt man Christian Franckenstein nach den wichtigsten Produktionen des zweiten Halbjahrs, so zählt er zunächst eine ganze Reihe auf, die vom Biopic "Der Kaiser" für Sky über die zweite "Sisi"- und die vierte "Das Boot"-Staffel bis zur "Giovanni Zarrella Show" reicht. Es sei schließlich die Vielfalt des Portfolios, die "bereichernd ist und bleiben wird". Doch dann entschließt er sich, die "Leistung des gesamten Teams" von "Sturm der Liebe" als "besonders erwähnenswert" hervorzuheben. "Auch vor dem Hintergrund der Ankündigung der ARD, die Daily Soap über das Jahr 2023 möglicherweise nicht mehr fortzusetzen", so Franckenstein, "gelingt es auch im laufenden Jahr, sehr stabile Zuschauerquoten zu generieren, die deutlich über dem ARD-Senderschnitt liegen." Dies gelinge nur durch hohe Kreativität gepaart mit wohldosierter Innovation. Auch in der Mediathek erfreue sich das Programm hoher Beliebtheit. Das Lob mag dem Team gelten, doch es versteht sich von selbst, dass der Bavaria-Boss es auch in den Ohren der ARD-Entscheider platzieren möchte.

Produktionsriesen im Umbruch – bisher erschienen