Die nackten Zahlen sind in Großbritannien ähnlich ernüchternd wie in Deutschland: Erreichte Samstagabendunterhaltung bei BBC und ITV vor zehn Jahren im Schnitt sieben Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer, sind es in diesem Jahr noch 3,8 Millionen. Verloren gegangen ist dabei insbesondere eine Zielgruppe, die 16- bis 24-Jährigen: Machten Sie 2012 noch 20 Prozent des Publikums am Samstagabend aus, sind es heute 12 Prozent. Stirbt sie also langsam aus, die Tradition der großen Samstagabendunterhaltung, die deutsches und britisches Fernsehen so sehr verbindet wie sonst sehr wenig im TV-Geschäft? Dieses Thema diskutierte Richard Osman, selber Produzent und Moderator diverser britischer Unterhaltungsformate, beim Edinburgh TV Festival „in einem wesentlich kleineren Raum als die Netflix-Präsentation nebenan“, wie er festhielt.


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Diese Klarstellung zielte in Edinburgh inbesondere in die Richtung von Joe Mace, der als Commissioning Editor bei ITV zuständig ist für die großen Showformate. „Ich würde morgens nicht aufstehen und zur Arbeit gehen, wenn ich keine Zuversicht hätte“, sagte er zur Perspektive für die klassische Samstagabendunterhaltung. Sein Argument: Zwar würden neue Plattformen und Social -Media-Apps Zeit vom Medienkonsum mancher Zielgruppen abziehen, doch inhaltlich seien gut produzierte Shows ein anderes Level. „Sind Katzen, die von Kühlschränken fallen, wirklich Konkurrenz? Wir können in unseren Shows das große Drama des FA Cup-Finals mit dem Spektakel eines Westend-Musicals verbinden.“ Von Katzenvideos ist das Spektakel von MrBeast auf YouTube jedoch weit entfernt.
Von einer Vergleichbarkeit mit TV-Produktionen allerdings auch, denn Alex Piper räumt beim Edinburgh TV Festival ein: Die „Squid Game“-Gameshow von Mr. Beast sei produziert worden, ohne sich um vorher die Rechte an der Marke zu scheren. Man habe einfach mal gemacht und der Erfolg habe die Rechteinhaber dann zu Fans gemacht - und Netflix offenbar dazu inspiriert, selbst auch eine Gameshow basierend auf dem Serienerfolg zu realisieren. „Das wird furchtbar“, rutscht es Natalka Znak, CEO der britischen Banijay-Tochter Remarkable, heraus. Selbst erschrocken über den Impuls, hat ihr Einwand doch einen konkreten Grund: Das enorme Tempo und eine ganz andere Erzählweise. „Wir werden bald alle für Mr. Beast arbeiten“, sagt Znak. Man hört dabei keinen Sarkasmus raus.
In der 26-Minuten-Show von Mr. Beast auf YouTube wird wahrlich keine Zeit verschwendet für Eliminierungen. Auch gibt es keine minutenlang aufgebaute Spannung vor finalen Entscheidungen. Den Sehgewohnheiten junger Zielgruppen kommt das entgegen. Wenn Netflix die Idee jetzt auswalzen will und Fernsehen nach alter Geschwindigkeit plant, könne das kaum besser werden. Damit ist übrigens nicht einmal der Trend zu XXL-Shows gemeint, der schon sehr deutsch ist - sondern die z.B. von Castingshows und bei uns insbesondere Marco Schreyl bekannten, ewig gezogenen Bekanntgaben der Zuschauerabstimmungen. Jüngere Zuschauerinnen und Zuschauer, die gewohnt sind per Swipe auf dem Smartphone ihr Entertainment zu beschleunigen, empfinden das, was das lineare Fernsehen bietet, eben oft als Entertainment einer anderen Generation.

Und Produzentin Natalka Znak wirft ein: Die großen Shows, die schließlich immer noch ein breites Millionenpublikum erreichen, seien das letzte Genre, an das sich die Streamingdienste nicht herantrauen würden. Nun ist „LOL: Last one laughing“ nicht die große klassische Show, aber man merkt, dass Amazon dieses Format bislang noch nicht in Großbritannien adaptiert hat, sonst hätte die Argumentation zu mehr Diskussion geführt. Stattdessen gab es jedoch auch Zuversicht für die große Samstagabendunterhaltung, von der in Edinburgh niemand so überzeugend schwärmen konnte wie Joe Mace von ITV. „It’s a night out in“, sagt er. „Wir bringen die größten Stars und besten Formate mit - und das Publikum den Wein und die Snacks.“

Die große Showbühne, bekannte Gesichter und leichte Unterhaltung bei dem Spektakel, das gute Samstagabendshows sein können, bestehe für Familien mehr Gelegenheit zusammen zu kommen als etwa bei komplexen Drama-Serien, die eher individuell aber seltener in Gemeinschaft gestreamt werden. Nur nutzen müssen die Sender diese Chance, mahnt Alex Piper von Night Studios. Allein die gerade auch in Großbritannien rollende Retro-Welle könne da nicht helfen. Zumindest nicht um jüngere Zuschauerinnen und Zuschauer auch über einen harten Winter hinaus für die Tradition des Samstagabend-Fernsehens zurück zu gewinnen.