Als der beißend lustige, qualvoll scharfsinnige Funny van Dannen 1999 sang, "auch lesbische schwarze Behinderte können ätzend sein", war die Welt noch in weißer, heterosexueller, voll funktionsfähiger Ordnung. Serien und Filme stammten von Männern, die Frauen als hellhäutige, junge, attraktive Accessoires ähnlich gestalteter Helden in führender Funktion besetzt haben. Buch und Regie, Produktion und Schauspiel, selbst die Gewerke abseits dekorativer Elemente: von der hörbaren Sprechrolle bis zur sichtbaren Technik waren Filmsets fest im Griff europäisch verwurzelter Kerle.

Eine Zahl, die Stacy Smith Mittwochabend ins Online-Symposium "Diversität vor und hinter der Kamera bei Netflix" wirft, besteht daher nicht nur aus drei Ziffern, sondern drei Revolutionen: 54,7 Prozent der US-Serien des Streamingdienstes 2021, referiert die renommierte Kommunikationswissenschaftlerin an der University of Southern California via Zoom, enthalten ganz oben auf der Besetzungsliste Women of Colour. Gut die Hälfte der Hauptrollen also in Schwarzer Frauenhand – das sind nicht nur zwei Zehntel mehr als vier Jahre zuvor, sondern Quantensprünge auf dem Weg zu wahrer Emanzipation da, wo sie uns täglich stundenlang ins Auge fällt: am Bildschirm.

Shonda Rhimes © IMAGO / NurPhoto Shonda Rhimes
Den hat Prof. Smith, Kopf und Gründerin der USC Annenberg Inclusion Initiative auf alles durchforstet, was vom heteronormativ männlichen, makellos weißen Netflix-Mainstream abweicht. Nun stellte sie die Resultate vor, um mit Fachleuten zu diskutieren. Und was für welche! Shonda Rhimes war zugeschaltet, als Produzentin populärer Serien von "Grey’s Anatomy" bis "Bridgerton" eine der einflussreichsten PoC im US-Unterhaltungszirkus. Dazu ihr Schwarzer Kollege Tyler Perry, dessen Filmstudio am Rande Atlantas mit "Black Panther" 2018 das Superhelden-Fach diversifizieren half.

Gemeinsam mit Netflix-CCO Bela Bajaria und ihrem Spielfilmbeauftragten Scott Stuber diskutierten die zwei Großkaliber über Smiths Studien zweier Vergleichszeiträume. Beide hatten schließlich noch mehr Umwälzendes hervorgebracht als den steigenden Anteil schwarzer Heldinnen. Seit 2018 zum Beispiel ist der Anteil weiblicher Hauptfiguren in Netflix-Spielfilmen um 20 Prozent auf gut zwei Drittel gestiegen, während er bei Serien um sechs Punkte auf mehr als die Hälfte wuchs.

Auch hinter der Kamera verändert sich etwas

Hinter der Kamera zog die Präsenz geschlechterbedingt Unterrepräsentierter an. Stammten vor fünf Jahren noch drei Viertel aller Serien-Originale von Männern, waren 2021 bereits für 36 Prozent der Formate Regisseurinnen verantwortlich. Und so ging es weiter auf der Diversitätsskala. Nichtweiße Hauptfiguren gab es 2018 in einem Viertel aller Serien, drei Jahre später lag der Anteil bei 47,2 Prozent. Auch die Lead genannten Toppositionen aus dem LGBTQ+-Spektrum entsprechen fiktional zusehends der Realität: Von 2,9 Prozent 2018 auf zuletzt 7,7 der Filme und von kaum zwei Fünftel auf gut ein Drittel aller Serien.

Er könne kaum sagen, "wie glücklich ich über diese Entwicklung bin", schwärmt Produzent Perry angesichts dieser Zahlen. Nicht nur, dass sich Schwarze wie er "endlich auch in Film und Serie sehen und gesehen fühlen". Stories mit diversen Casts oder Crews reisen aus ihrer Film- und Fernsehnische "auch noch ich Echtzeit um die Welt". Dass ihm seine Kollegin Shonda Rhimes dabei zustimmt, war schon am Grinsen bei Cyril Smiths Datensatz zu sehen. Zugleich aber beklagt sie das Veränderungstempo und verweist dabei auch aufs eigene Fach.

"Leute stellen Leute ein, die ihnen ähnlich sind", mahnt das Mitglied der American Academy of Arts and Sciences. Die "Überrepräsentation der Überprivilegierten" müsse daher von oben nach unten beseitigt werden. Denn die Unterrepräsentation der Unterprivilegierten, sekundiert Studienleiterin Smith, sei kein Problem von Publikum oder Teams, "sondern der Executives", wie Produzierende in Hollywood heißen. Sie nämlich stellen Crews nach ihrem Ebenbild zusammen, weshalb die Zahl nichtmännlicher, nichtweißer, nichtheterosexueller, also nichtdiverser TV-Schaffender wachse, sobald die Produktionsseite schwarz, queer, weiblich ist.

Beef © Netflix/Andrew Cooper Die schwarzhumorige Dramaserie "Beef" ist seit Anfang April bei Netflix verfügbar.

Dummerweise verharrt ihr Anteil trotz Steigerung unter 20 Prozent. "Wenn wir Frauen den Schlüssel zur Burg geben, öffnen sie es für andere Frauen", so Stacy Smith. Dass "POCs andere POCs besetzen oder LGBTQs andere LGBTQs", bleibe aber folgenlos, falls in den Besetzungsbüros vor allem Ottonormmänner sitzen. Und zwar zum Leidwesen aller – Netflix inklusive. Scott Stuber, seit 2017 für Filmproduktion und Akquise zuständig, betont da zurecht, Diversität sei kein quantitativer, sondern qualitativer kreativer Aspekt. "Sie erweitert unsere Möglichkeiten, gute Geschichten zu erzählen." Geschichten wie "Beef" zum Beispiel, pflichtet ihm seine Content-Chefin Bela Bajaria bei.

Ziel: Über Storys reden, nicht über deren Diversität

Wer die Drama-Serie über koreanische Subkulturen aufmerksam verfolge, "sieht ja kein Format über asiatisch-amerikanische, sondern menschliche Befindlichkeiten". Für deren Welterfolg war jedoch der Regisseur und Producer Lee Sung-Jin verantwortlich, geboren in Seoul und offenbar herkunftsbewusst bei der Auswahl seiner Geschichten, Charaktere, Besetzungen. Vor der Bugwelle des K-Pop katapultieren Formate wie dieses den Anteil fernöstlicher Hauptfiguren bei Netflix-Serien auf erstaunliche 41,5 Prozent, aber das – da machen sich die Teilnehmer des Symposiums keine Illusionen – ist nur ein winziger Sprung inmitten vieler Trippelschritte auf dem Weg zur Gleichberechtigung.

Schließlich bleibt Diversität auch beim fortschrittlichen Branchenprimus, dessen Fund for Creative Equity Nachwuchsvielfalt bis 2026 mit 100 Millionen Dollar fördert, oft ausbaufähig. Die 546 Fiktionen seit 2018 sind vornehmlich frei von Frauen oder Mädchen aus Nahost, Nordafrika, dem Feld der Native Americans. Die Regisseurinnen-Quote verharrt seit 2018 auf geringem Niveau und ist – wie so viele Wachstumskurven – zu Beginn der Pandemie gar gesunken. Und da sind wir noch nicht mal bei der dritten Gruppe in Funny van Dannens lustigem Lied: Der Hauptrollenanteil von Menschen mit Behinderung beträgt in Serien genau null und ist generell kaum messbar. Da dürfte es noch dauern, bis Shonda Rhimes‘ Wunsch in Erfüllung geht: "Dass wir von Storys reden, nicht deren Diversität."