Angesichts zahlreicher Talkshows, in denen Politikerinnen und Politiker zu den Stammgästen zählen, tut das deutsche Fernsehen gut daran, auch mal das "ganz normale Volk" zu Wort kommen zu lassen - und zwar nicht etwa am Katzentisch, sondern auf der großen Bühne. Mit seinem "Bürgerparlament" hat der Norddeutsche Rundfunk (NDR) zuletzt einen Versuch in diese Richtung unternommen. Das erklärte Ziel: "Scharf und respektvoll" sollten Bürgerinnen und Bürger miteinander diskutieren - "statt mit Polemik".

Für das Format wurde das Fernsehstudio in Hamburg dem britischen Unterhaus nachempfunden. Das sah sieht vor, in jeder Ausgabe rund 20 Menschen "quer durch die gesellschaftlichen Schichten" an der Diskussion zu beteiligen. "Tagesthemen"-Moderator Ingo Zamperoni gab im Zuge dessen den "Parlamentsvorsitzenden" und lenkte die Diskussion, bei der die "Parlamentarier" schließlich maximal eine Minute Zeit bekamen, ihr Argument passgenau und konzentriert zu platzieren. 

Zwei Ausgaben ließ der NDR produzieren - eine zum Thema Verzicht, eine andere zum Gendern. Herausgekommen ist ein recht wilder Ritt, der bisweilen an den misslungenen "Bild"-Talk "Hier spricht das Volk" erinnerte, den der frühere "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt einst schnappatmend zu moderieren versuchte. Der ganz große Erkenntnisgewinn blieb letztlich auch deshalb auf der Strecke, weil zwar viele Meinungen gehört, diese aber wenig strukturiert geäußert wurden. Und ganz sicher hätte eine Art "Faktencheck" dem "Bürgerparlament" nicht geschadet. Klar ist aber auch: Die Idee ist es wert, weiterentwickelt zu werden.

Neues Format von NDR & WDR in Arbeit

In Hamburg gibt man sich daher zufrieden. "Der NDR zieht eine positive Bilanz der Sendung 'Das Bürgerparlament'", teilte eine Sendersprecherin auf DWDL.de-Nachfrage mit. "Es gab viel Zuspruch und Berichterstattung zu dem Format, in dem Bürgerinnen und Bürger direkt zu Wort kommen und ihre Meinung äußern." Doch die Ausstrahlung beider Folgen liegt nun schon ein halbes Jahr zurück und seither ist es erstaunlich ruhig geworden um eine mögliche Fortsetzung. In der Sendungsübersicht auf der NDR-Website ist das "Bürgerparlament" gar nicht gelistet, was wenig Hoffnung auf eine Fortsetzung macht.

Tatsächlich aber hat sich der NDR bislang schlicht noch nicht dazu durchringen können, ob es weitergehen wird. Eine Entscheidung ist auch deshalb noch nicht getroffen, weil der Sender bislang noch andere Ideen hat, die Zuschauerinnen und Zuschauer zu Wort kommen zu lassen. "Wir werden weitere Formate mit Publikumsbeteiligung ausprobieren", erklärte eine NDR-Sprecherin. So sei für Ende des Jahres eine neue Sendung geplant, die gemeinsam mit dem WDR produziert werden soll. "In die Konzeption fließen auch Erkenntnisse aus dem 'Bürgerparlament“ ein."

Klar ist aber schon jetzt, dass es dann nicht nur um die Meinungen von Bürgerinnen und Bürgern gehen wird, sondern auch "um journalistisch recherchierte Fakten zu gesellschaftspolitischen Themen, die dann von Bürgerinnen und Bürgern eingeordnet und bewertet werden sollen", wie es von Seiten des NDR heißt. "Wir sind gespannt darauf zu sehen, wie dieses Format ankommt und werden dann entscheiden, ob wir beide oder nur eines der Formate weiterführen."

Juliane von Schwerin © NDR/Christian Spielmann Juliane von Schwerin
Juliane von Schwerin, Programmbereichsleiterin "Gesellschaft", glaubt indes fest an die Notwendigkeit solcher Konzepte. "Corona, Gendern, Klimakleber – viele gesellschaftspolitische Themen führen zu aufgeheizten Kontroversen und haben hohes Spaltungspotential", sagt sie zu DWDL.de. "Wir wollen Formate schaffen, in denen Raum ist für Debatten auf Augenhöhe und die Menschen aus verschiedenen Lebenswelten und mit unterschiedlichen Sichtweisen miteinander ins Gespräch bringen. Kontrovers, aber nicht konfrontativ, faktenbasiert, aber nicht belehrend." Gewiss kein einfacher Spagat - aber ganz sicher ein wichtiger, der dem Fernsehen gut zu Gesicht steht.

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