Die Zuschauerinnen und Zuschauer des SWR Fernsehens müssen sich auf Veränderungen einstellen: Ab Anfang Juli greift beim Sender ein neues Programmschema am Vorabend. Die "Landesschau"-Ausgaben starten dann schon um 18:15 Uhr, also direkt im Anschluss an die regionale "SWR Aktuell"-Ausgabe. Die Sendezeit wird um satte 30 Minuten auf dann insgesamt 75 Minuten ausgedehnt, andere Formate werden eingestellt (DWDL.de berichtete). 

Interessant ist, wie der SWR die bevorstehenden Veränderungen begründet. Daten der Medienforschung hätten gezeigt, dass "das klassische Fernsehen am Vorabend immer mehr zum Nebenbei-Medium wird", heißt es vom Sender. Das Fernsehen läuft also im Hintergrund, während die Menschen gänzlich andere Dinge erledigen, wie zum Beispiel das Abendessen. Auf Rückfrage von DWDL.de konkretisiert der Sender, was man ab Juli vorhat. Die verschiedenen Beiträge in den "Landesschau"-Ausgaben sollen in einer kürzeren Taktung gesendet werden. Das ermögliche es dem Publikum, an vielen Stellen einzusteigen und jederzeit in die Sendung hineinzufinden, hofft der SWR. 

Der Umbau am Vorabend ist für das SWR Fernsehen auch eine Wette, schließlich holt man zwischen 18 und 20 Uhr schon heute hohe Quoten. Die "Landesschau" sowie "SWR Aktuell" erreichen regelmäßig die höchsten Marktanteile des Senders, nach SWR-Angaben macht man 40 Prozent der gesamten TV-Reichweite am Vorabend. Der SWR agiert also aus einer Position der Stärke - doch wenn sich der Trend des Nebenbei-Sehens gerade am Vorabend verstärkt, könnte das zu einem Problem für den Sender werden. 

DWDL.de hat sich bei einigen anderen ARD-Anstalten umgehört. Von ihnen will niemand den Begriff des "Nebenbei-Mediums" wiederholen, gleichzeitig heißt es bei vielen aber auch, dass im Jahr 2023 anzunehmen sei, dass Teile des Publikums parallel etwas anderes tun. "Der Vorabend ist im Vergleich zum Nachmittag aber schon eher wieder Aktualität- und Informationsgetrieben und bekommt folglich mehr Aufmerksamkeit der Zuschauerinnen und Zuschauer", heißt es vom Hessischen Rundfunk (HR). 

Investitionen vor allem in den Vorabend

Eine WDR-Sprecherin sagt, Publikumsgespräche zur "Lokalzeit" hätten gezeigt, dass "das Fernsehen am Vorabend für viele Menschen wie ein Ankommen, eine TV-Zeit nach dem Tageswerk ist". Dabei würden sie sich auf den neuesten Stand bringen. In der Primetime sei die Rezeption noch konzentrierter, "aber auch bei den Informationsformaten am Vorabend bleiben die Menschen länger am Stück dran". Also genau das, was beim SWR-Publikum offenbar anders ist. Lange am Stück dran bleiben müssen die Zuschauerinnen und Zuschauer auch zwangsläufig beim BR, das mit "Dahoam is Dahoam" als einziger Sender der ARD Dritten eine eigene Serie am Vorabend zeigt - und das mit einem anhaltend großen Erfolg. 

Im Etat liegt das Hauptaugenmerk gegenüber der Primetime deutlich auf dem Vorabend
WDR-Sprecherin


Fast alle von DWDL.de befragten ARD-Anstalten verweisen auf den hohen Zuspruch ihres Publikums im jeweiligen Sendegebiet, die sie auch mit vielen Informationsprogrammen erreichen. Und die hohen Quoten der Dritten gerade am Vorabend sind ja tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Der RBB bezeichnete seinen Vorabend zuletzt als "Primetime" und hat, auch notgedrungen durch den harten Sparkurs, angekündigt, einen Fokus auf diese Zeit legen zu wollen. In der eigentlichen Primetime soll vorrangig für die Mediathek produziert werden. Zum Vergleich: Das Budget für die Primetime soll ab 2024 im RBB nur noch 8,5 Millionen Euro pro Jahr betragen - aber 28 Millionen für den Vorabend. Ein reduziertes Vorabend-Programm bezeichnete RBB-Programmdirektorin Martina Zöllner zuletzt als "Schreckensbild". 

Auch die meisten anderen ARD-Anstalten erklären gegenüber DWDL.de, mehr Geld in den Vorabend zu investieren als in die Primetime. Das trifft auch auf Radio Bremen zu, das mit "buten un binnen" das erfolgreichste aller ARD-Regionalmagazine am Vorabend gestaltet. Für den BR gilt es ohnehin, weil "Dahoam is Dahoam" eine ordentliche Stange Geld kostet. "Im Etat liegt das Hauptaugenmerk gegenüber der Primetime deutlich auf dem Vorabend", heißt es vom WDR und auch der HR bestätigt, dass mehr Geld in den Vorabend fließt. "Im Rahmen der digitalen Transformation im HR hat die Geschäftsleitung schon 2019 beschlossen, dass für die lineare Formatentwicklung der Fokus auf der Vorabendschiene liegt", so ein HR-Sprecher gegenüber DWDL.de. 

Wie hat sich die Bedeutung des Vorabends verändert?

Nicht festlegen will sich in der Frage, in welche Zeitschiene mehr Geld fließt, der SWR. Diese Zeitschienen seien "sehr durchlässig", sagt eine Sendersprecherin. "Was für den Vorabend produziert wird, wird auch zum Beispiel als Doku im Hauptabend oder als digitales Angebot ausgespielt und umgekehrt." Die Rede in Bezug auf das Vorabendprogramm ist von einer "nach wie vor wichtigen Investition in den Programmauftrag".

Auch auf die ganz grundsätzliche Frage, wie sich die Bedeutung des Vorabends in den vergangenen Jahren verändert hat, hat der SWR einen etwas anderen Blick als die anderen ARD-Anstalten. In der modernen Medienlandschaft würden die Nutzerinnen und Nutzer regionale Infos und Unterhaltung nicht nur im linearen TV-Vorabend finden, sondern auch im Netz. "Der Alleinstellungsfaktor ist also verloren gegangen", heißt es vom Sender. Man bereite die Inhalte also nicht nur für den linearen Sendern, sondern auch für den digitalen Abruf auf. "Das SWR Fernsehen bleibt jedoch ein zentraler barrierearmer Kanal und ein verlässliches Angebot: Von Montag bis Samstag bekommt das Publikum Informationen, Unterhaltung und emotionale Geschichten aus den Regionen, aus einer leicht auffindbaren Quelle."

Der Alleinstellungsfaktor ist verloren gegangen.
SWR-Sprecherin über die veränderte Bedeutung des Vorabends im SWR Fernsehen

Ist das lineare Fernsehen also nur noch der barrierearme Kanal, bei dem die Menschen, die ihn nutzen, nebenbei die ganze Zeit abgelenkt sind? Beim WDR sieht man es anders. "Die Bedeutung des Vorabends hat sich in den letzten Jahren nicht geändert, er war und ist das Fundament des WDR Fernsehens". Während der Pandemie hätten sogar noch mehr jüngere Zuschauende das lineare Programm genutzt. Auch vom HR heißt es: "Die Bedeutung des Vorabends für das HR Fernsehen hat sich nicht wesentlich verändert". Und ein BR-Sprecher sagt: "Das Bedürfnis nach regionalen Informationen, Kultur und Unterhaltung ist nach wie vor hoch und in den vergangenen Jahren nochmals gestiegen. Auch das sieht man an den Reichweiten der regionalen Vorabendprogramme der Dritten."

Beim MDR ist schon die Definition ganz anders

Noch weiter geht man beim NDR. Dort heißt es gar, der Vorabend sei in den vergangenen Jahren "noch wichtiger geworden". Die Zeitzone zwischen 18 und 20 Uhr bezeichnet man daher als "die elementare, neben dem Hauptabend wichtigste Zeitzone". Das NDR Fernsehen erreiche am Vorabend regelmäßig die höchsten Marktanteile und Reichweiten - auch bei jungen Zuschauerinnen und Zuschauern - das sei auch mit Blick auf die nachwachsenden Zielgruppen wichtig. Zum Vergleich: Der Vorabend zwischen 18 und 20 Uhr steuert mehr 35 Prozent zum Gesamtmarktanteil des NDR Fernsehens bei, der Hauptabend zwischen 20 und 22 Uhr macht dagegen nur 26,1 Prozent aus. 

Und dann wäre da auch noch der MDR, der in Sachen Vorabend völlig aus der Reihe tanzt. Dort definiert man den Begriff "Vorabend" nämlich gänzlich anders als andere Dritte - und auch sonst alle anderen TV-Sender in Deutschland. Beim MDR ist der Vorabend die Zeit zwischen 18 und 19 Uhr, die Primetime dauert dementsprechend von 19 bis 22 Uhr. Daher heißt es auch, im MDR Fernsehen habe die Primetime Priorität - dahin fließe mehr Geld. Den Vorabend bezeichnet man als "relevanten Programmabschnitt", dennoch setze man hier mit Ausnahme der Samstage vor allem auf Wiederholungen. Am MDR-"Vorabend" ist montags bis freitags in der Regel eine "Brisant"-Wiederholung zu sehen.