Als die Series Mania am Freitagabend ihr 15. Festivaljahr mit der Europapremiere der Netflix-Serie "3 Body Problem" eröffnete, wirkte fast alles wie immer. Eine der teuersten und aufwendigsten Serien des Jahres – das neue Fantasy-Abenteuer der "Game of Thrones"-Macher David Benioff und D.B. Weiss, das auf einer chinesischen SciFi-Romanreihe basiert – sorgte nicht nur für Andrang am Roten Teppich in der Altstadt von Lille, sondern auch für lebhafte Debatten unter den Gästen.

Es fühle sich ein bisschen so an, als ob "Lost" wieder von vorn losgehe, ließ sich "Sam – Ein Sachse"-Hauptdarsteller Malick Bauer – dieses Jahr Mitglied der Series-Mania-Jury – vom US-Fachblatt "Variety" zitieren. Damit meinte er die ebenso langsame wie komplexe Erzählweise der Serie, die ihr Publikum mit zahlreichen Figuren und Andeutungen fordert. Während manche mit euphorischem Echo auf die Saga vom Erstkontakt mit einer außerirdischen Zivilisation reagierten, verließen andere nach einer Episode den Saal.

Andrang und Gesprächsstoff – das sind bekanntlich zwei der wichtigsten Zutaten für ein erfolgreiches Festival. Die Zahlen deuten nicht gerade auf Krise hin: Um das Programm mit insgesamt 52 Serienpremieren aus 21 Ländern zusammenzustellen, hatte das Team um Series-Mania-Direktorin Laurence Herszberg 369 Einreichungen aus 60 Ländern gesichtet. Zur dreitägigen Fachkonferenz Series Mania Forum, die am Dienstag beginnt, werden knapp über 4.000 Branchenbesucher erwartet – ein neuer Allzeitrekord. Und das in Zeiten, in denen laut Marktforscher Ampere Analysis zwischen 30 und 40 Prozent weniger Serien produziert werden als noch vor zwei Jahren.

Laurence Herszberg © Series Mania Festivalchefin Laurence Herszberg
Dass die Branche dennoch in den äußersten Norden Frankreichs pilgert, dürfte mit der zunehmenden Internationalisierung der Serienproduktion zu tun haben. Während die Streaming-Märkte in Nordamerika und Westeuropa vergleichsweise saturiert sind, verzeichnen Lateinamerika sowie etliche afrikanische und asiatische Märkte noch immer kräftiges Wachstum. Entsprechend verlagern sich auch die Investitionen, ganz abgesehen davon, dass US-Produktionen aus Kostengründen zunehmend ins Ausland verschoben werden. Bis 2028 prognostiziert Ampere einen Rückgang der Content-Investitionen im US-Markt um 20 Prozent, während die außeramerikanischen Ausgaben im selben Zeitraum um 40 Prozent wachsen.

Auch die Tatsache, dass große Streaming-Plattformen weniger Geld für Buyouts ausgeben und daher Koproduktions- und Weltvertriebsmodelle Auftrieb erleben, spielt Festivals und Märkten in die Karten. Dort können sowohl neue Projekte in einem frühen Entwicklungsstadium entdeckt als auch Lizenzen an fertigen Serien erworben werden. "Wir sehen zunehmend Einkäufer und Vertriebe, die zur Series Mania kommen, um ganz am Anfang eines Projekts einzusteigen und die so entstehende IP mitzufinanzieren", sagt Herszberg, die in den nächsten Tagen besonders starke Delegationen aus Brasilien, Südafrika, Südkorea und Taiwan erwartet. Das Budget der Series Mania liegt bei über vier Millionen Euro und wird maßgeblich von der Region Hauts-de-France, der Stadt Lille, der nationalen Filmförderung CNC und der Genossenschaftsbank Crédit Mutuel finanziert.

Inhaltlich registriert die Festivaldirektorin nach eigenen Angaben verstärkt Stoffe, die "eine Form der Loslösung von der Realität und sozialen Interaktionen" anbieten, mutmaßlich aus "Verzweiflung über die Spannungen in unserer heutigen Welt". Auffällig ist zudem eine Häufung von Familiendramen im mittelbaren Fahrwasser von "Succession": Wettbewerbstitel wie "After The Party" (ITV Studios), "Apples Never Fall" (Peacock), "Bouchon" (Arte), "Hotel Cocaine" (MGM) oder "Ourika" (Prime Video) behandeln allesamt die Fragen von Abstammung und Erbe. "Geschwister versuchen oft, sich zu lösen, um ihren eigenen Weg zu gehen", so Herszberg. "Wenn sie jedoch mit unerwarteten Schwierigkeiten konfrontiert werden, schließen sie sich zusammen. Was sie verbindet, sind ihre familiären Wurzeln, die in diesen unsicheren Zeiten wertvoller sind denn je."

Beim Festival schlagen sich die unsicheren Zeiten dadurch nieder, dass die Zahl der Einreichungen aus Israel und der Ukraine stark gesunken ist. Da in Israel viele laufende Projekte gestoppt wurden, hat die Series Mania erstmals in ihrer 15-jährigen Geschichte keine einzige israelische Produktion im Programm. Infolge der Hollywood-Streiks von Autoren und Schauspielern sank wiederum die Zahl der US-Erstaufführungen in Lille. Umso mehr freue man sich, so Herszberg, über "die Beiträge aus Newcomer-Ländern, die sich der Herausforderung gestellt und uns mit Inhalten überrascht haben, deren Qualität der Kreativität der vorübergehend abwesenden Länder entspricht".

Aus Deutschland dürfen vier Produktionen auf Preise hoffen: "Herrhausen – Der Herr des Geldes" (ARD Degeto/Sperl Film) im offiziellen Wettbewerb der Series Mania; "30 Tage Lust" (SWR/Trimafilm) in der Kategorie "International Panorama"; "Player of Ibiza" (NDR/Pyjama Pictures), die neue Mockumentary der "Discounter"-Macher Kleine Brüder, in der Comedy-Kategorie; und Maria von Helands "Slava der Hund" (NDR/Red Balloon Film) im Shortform-Wettbewerb.