Ziemlich genau 25 Jahre ist es dieser Tage her, dass "Big Brother" in Deutschland startete. Die Realityshow sorgte seinerzeit beim Publikum für Furore und bei vielen Politikern für erhöhten Puls. Doch was damals aufregend und skandalös erschien, dürfte bei den meisten heute kaum noch für ein müdes Schulterzucken sorgen. Erhöhten Puls haben in Realityshows heutzutage jedenfalls meist die Kandidaten selbst, die mit mit schlagzeilenträchtigen Turteleien und Keifereien versuchen, sich im Gespräch zu halten - um auch künftig einen Platz im Cast weiterer Formate zu finden.
In einem Vierteljahrhundert hat sich das Genre also erkennbar gewandelt professionalisiert - was nicht zuletzt für die Protagonisten, für die gar ein neuer Berufsstand erfunden wurde: der des Realitystars, so wie Matthias Mangiapane einer ist. "'Big Brother' war das erste Reality-Format, das ich als Jugendlicher geschaut habe. Ich habe mir damals immer nur gedacht: 'Wie können die so verrückt sein und da rein gehen?'", sagte er jüngst, angesichts seiner bevorstehenden Gastauftritts in der neuen Staffel von "Big Brother". "Heute", schob er fast schon ungläubig hinterher, "verdiene ich selbst mein Geld damit!"
Dass selbst der Klassiker unter den Realityshows nicht mehr ohne den Besuch bewährter Realitystars auskommt, ist bezeichnend, wirkt "Big Brother" in seiner Ursprungsform angesichts der immer schrilleren Konkurrenz-Formate doch beinahe aus der Zeit gefallen. Gleichzeitig verfolgt "Big Brother" derzeit mit seinen (noch) unbekannten Bewohnern auch das Ziel, für eine Art Selbsterhalt des Genres zu sorgen, indem am Ende idealerweise das Realityshow-Personal von morgen gefunden ist.
Unter diesem Aspekt ist vermutlich auch die neue RTL+-Show "Das Sommerhaus der Normalos" zu sehen, die anstelle der üblichen Verdächtigen ebenfalls auf unverbrauchte Gesichter setzt und damit gewissermaßen eine späte Antwort auf "Big Brother" ist. Schon die ersten Minuten der gerade angelaufenen Staffel zeigen allerdings eindrucksvoll, dass es den Kandidaten (aber wohl auch dem Streamingdienst) vorwiegend darum geht, in die Fußstapfen berühmter Vorgänger zu treten. Wie sie mit hochhackigen Stilettos oder weißen Sneakern durch den Matsch stiefeln, sich schon nach wenigen Augenblicken argwöhnisch beäugen und Allianzen schmieden, legt ein intensives Studium früherer "Sommerhaus"-Staffeln nahe. Und wenn sich die Paare ausnahmsweise mal nicht gegenseitig beschimpfen, dann machen sie es einfach untereinander.
Hoffen auf den "Star"-Status
Wer auf echte Normalos hoffte, wird jedenfalls enttäuscht. Vielmehr agieren die Bewohner der Bocholter Ferienhütte vom ersten Tag an wie Möchtegern-Realitystars – einige von ihnen machen noch nicht einmal einen Hehl daraus. "Das war doch schon immer mein Traum, hier dabei zu sein!", sagt irgendwann eine der Kandidatinnen zu ihrem Freund, und bringt damit zugleich das kleine Dilemma des Formats auf den Punkt. Denn alles folgt dem prominenten Vorbild; Tränen, Streit und Lästereien - das ist zwar über weite Strecken hinweg zweifellos ziemlich unterhaltsam; merklich anders und neu ist es nicht, überraschend schon gar nicht. Und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, sähe man einige der Protagonisten nicht schon bald in anderen Shows, dann vielleicht schon in den "Star"-Status erhoben.
Nach den ersten Minuten der aktuellen "Sommerhaus"- und "Big Brother"-Staffeln bleibt vor allem eine Erkennntnis: Die Zeit der echten Normalos in Realityshows ist schlicht vorbei. Zu bekannt sind die Mechanismen, zu groß die Erwartungen des Publikums an ständige Eskalation. Wer im Reality-Reigen nicht auffällt, bleibt auf der Strecke. Einer wie John, der Gewinner der ersten "Big Brother"-Staffel, hätte im Fernsehwahnsinn von heute vermutlich keine Chance mehr.
"Das Sommerhaus der Normalos", montags bei RTL+; "Big Brother", montags bis freitags bei Joyn und Sixx