Die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen ist medienpolitisch noch immer nicht verabschiedet; auch die geforderte Reduktion des linearen Programmangebots ist noch nicht definiert. Und doch ist die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien in diesem Sommer - anders als vor einem Jahr - nicht das große Thema, das die Branche beschäftigt. Leider auch nicht die Perversion, dass Werbekunden und Media-Agenturen, die sonst so gerne nach Brand Safety schreien, mit ihren Geldern ohne Skrupel weiter Hass und Diskriminierung bei „Social“ Networks von Konzernen wie Meta mitfinanzieren, nachdem diese erklärtermaßen ihrer Verantwortung für die eigenen Angebote nicht mehr nachkommen wollen. Es war ein kurzer Aufreger zu Jahresbeginn, der weitgehend verpuffte.
Die Konsequenzen daraus beschleunigen allerdings eine Entwicklung, bei der sich heute noch nicht absehen lässt, ob wir sie später einmal rückblickend als Aufbruch oder eher Umbruch beschreiben werden. In den kommenden zwölf Monaten steht der deutsche Medienmarkt jedenfalls vor den größten Veränderungen der vergangenen gut zwanzig Jahren, konkreter: seit dem Zusammenbruch des Kirch-Imperiums. Diese Aussage lässt sich auch schon heute treffen, selbst vorbehaltlich einzelner Entscheidungen der Wettbewerbshüter, weil die anstehenden bzw. ausstehenden Veränderungen in der Branche gerade so zahlreich sind. Und genau das sorgt auch dafür, dass wir den Sommer der Fragezeichen erleben.
© RTL / Sky
Nur gut sechs Wochen ist es her, dass die geplante Übernahme von Sky Deutschland durch RTL Deutschland wie die größte Story dieses Sommers wirkte. Ein Deal, der so viel Aufmerksamkeit weckte, dass es selbst für die „Tagesschau“ zu den wichtigsten Themen des Tages zählte. Die Ankündigung sorgte für helle Aufregung - und viele Detailfragen wurden verfrüht gestellt. Eine Freigabe zur operativen Umsetzung des Deals wird von beiden Parteien erst im Laufe des kommenden Jahres erwartet. Effekte hat es aber jetzt schon, positiv wie negativ. Synergien sollen genutzt werden, was auch mit Stellenabbau einher gehen wird. Daraus machte RTL Deutschland keinen Hehl.
© Bertelsmann
Gleichzeitig ist die Rückendeckung aus Gütersloh für diesen Deal auch ein wichtiges Bekenntnis von Bertelsmann zum TV-Geschäft. Nicht wenige Branchenbeobachter hatten zuvor in Frage gestellt, ob die Coesfeld-Brüder nach einem Führungswechsel an der Bertelsmann-Spitze überhaupt noch Lust haben auf den Geschäftsbereich. Der Sky-Deal ist ein Bekenntnis, hilft auch RTL-CEO Stephan Schmitter. Praktisch ist die Übernahme von Sky auch aus einem anderen Grund: Das seit Jahren erklärte Ziel der Profitabilität von RTL+ bis Ende 2026, woran man weiter festhält, wird bei der Sky-Übernahme aufgehen im Investitionsbedarf im Rahmen der Zusammenführung der Unternehmen und Positionierung seiner Angebote.
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Für 2026 hat man sich bei RTL Deutschland also ein spannendes Großprojekt vorgenommen. Jetzt muss man nur noch 2025 überstehen. Der schwache Werbemarkt trifft alle, also auch RTL Deutschland, wie die aktuelle Quartalszahlen gerade erst belegt haben. Noch dazu aber musste RTL bei den 14- bis 49-Jährigen im Juli den schwächsten Monat im linearen Wettbewerb seit fast 37 Jahren verkraften. Und da lässt sich nicht der neue non-lineare Wettbewerb als Argument anführen. In Köln heißt es: Ein bewusst provoziertes Ergebnis, weil man gezielt Programmbudgets in anderen Monaten konzentriert. Eine Strategie, die schon länger bei mehreren Marktteilnehmern zu beobachten ist, aber nie so auffällig spürbar wurde.
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Auch bei ProSiebenSat.1 muss man schließlich nicht nur mit dem knapperen Budget haushalten, sondern jetzt noch italienisch lernen. Spätestens Anfang der nächsten Woche werden wir wissen, wie erfolgreich die Offerte von MediaForEurope an die Aktionäre von ProSiebenSat.1 war und ob die Übernahme bereits gelungen ist oder die 14-tägige Nachfrist zur Annahme des Angebots noch dafür sorgen könnte. Und dann? Vollintegriert werden soll ProSiebenSat.1, teilte MFE vergangenen Woche mit. Vor ziemlich genau zehn Jahren ereilte übrigens die Straße runter Sky Deutschland das gleiche Schicksal, wurde in die britische Mutter integriert.
© MFE
Wird nach Sky jetzt auch ProSiebenSat.1 in Unterföhring zur bayerischen Filiale eines ausländischen Medienkonzerns degradiert? Ein weiterer Bedeutungsverlust für die S-Bahn Haltestelle im Norden Münchens? Mitten in den bayerischen Sommerferien fällt die Entscheidung über die Zukunft des zweitgrößten deutschen TV-Konzerns. Man kommt nicht um den Eindruck herum, dass man dort sich seinem Schicksal ergeben hat. In der Belegschaft dürften gerade viele Urlaube von Fragezeichen geprägt sein, aber auch darüber hinaus wird die Entwicklung von Medienpolitik und Branche besorgt beobachtet.
© Sport1
Unsicherheit herrscht aber auch eine S-Bahn-Station weiter nördlich: Bei Sport1 in Ismaning kam es in der vergangenen Woche zu einem Führungsbeben. Robin Seckler, Matthias Kirschenhofer und Matthias Reichert haben ihre bisherigen Posten geräumt, Acunmedya will jetzt, offenbar mit Segen von Highlight Communications, durchregieren: Tufan Özkul ist der neue Mann an der Spitze von Sport1 Medien und Sport1. Er findet einen Sender vor, der sich mitten in einem strategischen Wendemanöver befindet. Belegschaft wie Branche stehen hier vor großen Fragezeichen: Sieht sich Acunmedya mit der Entertainment-Strategie noch auf Kurs? Und wie lang ist der Atem?
© Warner Bros. Discovery
Weit weniger dramatisch und trotzdem ungewiss geht es etwas südlicher in Schwabing an der Münchener Freiheit zu: Bei Warner Bros Discovery steht bekanntlich der Launch von HBO Max bevor. Doch parallel zu den Vorbereitungen rätselt das Team dort über die in den USA angekündigte Trennung von Warner Bros. und Discovery nach nur drei Jahren des gemeinsamen Weges. Im US-Markt will der Konzern das für sich bereits sauber aufgeteilt haben, doch in den internationalen Dependancen bleibt die Frage mit üblichem Zeitverzug im Raum stehen: Wie wird sich diese Trennung hier in Deutschland auswirken? Wie sinnvoll ist es, wenn lineare Sender und Streamingdienst, trotz teils gleicher Inhalte, nicht mehr aus einer Hand gemanagt werden?
© RTLzwei
Reisen wir nochmal weiter südlich, ins gediegene Grünwald vor den Toren Münchens, dann finden sich die nächsten Fragezeichen bei RTLzwei. Dort ist Geschäftsführer Andreas Bartl nach elf Jahren vor wenigen Wochen kurzfristig von Bord gegangen, die Nachfolge bislang nur provisorisch geregelt. Nicole Glatzmaier, CFO/COO von RTLzwei, führt die Geschäfte bis zur Bestellung einer Nachfolge. Immerhin: Die Vermarktung von El Cartel Media soll zum kommenden Jahr mit der von Warner Bros. Discovery verschmelzen - grünes Licht dafür gab es jetzt. El Cartel Brothers kann also kommen. Eine wichtige Partnerschaft für den Einzelkanal, dessen Positionierung für die Zukunft an der noch ungeklärten Führungsfrage hängt.
© Tower Productions
Was für ein Sommer! Selbst wenn man sich jeglicher Bewertung all dieser Veränderungen enthält, bleiben extrem viele Fragezeichen und das eben nicht nur in einem Haus. Betroffen sind ProSiebenSat.1, RTL Deutschland, Sky Deutschland, Sport1 Medien, Warner Bros. Discovery und RTLzwei. Wir reden also von tausenden Beschäftigten, die viele Fragen umtreiben. Mal in freudiger Erwartung, oft mit Sorgen. Ganz zu schweigen von der Produktionsbranche, bei der konsolidiert wurde: Tower Productions und Cheerio Entertainment aufgelöst, Bildergarten in ITV Studios aufgegangen. Bavaria Film will sich grundlegend umstrukturieren, um sich für Investoren zu öffnen. Die Fragezeichen summieren sich gerade, wie noch nie zuvor in den 24 Jahren, in denen DWDL die Branche begleitet.
© TikTok
Mit einer guten Portion Optimismus könnte man von spannenden Zeiten sprechen. Die Transformation gewinnt an Tempo, wird in Monaten statt Jahren gemessen. Dabei wurde insgesamt nie mehr Bewegtbild konsumiert als heute, doch wer produziert, wo wird es konsumiert und wer vermarktet es? Die Creator Economy sehen Einige als New Normal. Doch während diese gewiss am Zeitbudget knabbert, ersetzen Creator nicht im Alleingang den Bedarf nach ganz großem Storytelling, fiktionalen Welten oder kostspieligem Journalismus. Manche/r fragt sich: Impodiert das alles? Und warum jetzt auf einmal gefühlt so schnell? Genau diese Fragestellung ist aber im Grunde das Problem. Denn es hat sich schon längst viel mehr geändert als die Branche wahrhaben wollte.
© DWDL.de / Tilman Schenk
Helmut Thoma wurde einst gefeiert für den Spruch „Der Köder muss dem Fisch schmecken“. Doch genau damit hat sich die Fernsehbranche viel zu lange selbst belogen. Es hat irgendwann vor mehr als zehn Jahren angefangen, dass in der Branche die Bekenntnisse zunahmen, selbst kaum noch lineares TV zu gucken. Man käme halt einfach nicht dazu - und erklärte sich selbst damit zur Ausnahme einer angeblich weiterhin treu linear konsumierenden Masse der Menschen da draußen. „Der Köder muss dem Fisch schmecken“ wurde zur fatalen Ausrede, das eigene, sich ebenfalls längst veränderte Medien-Nutzungsverhalten, ignorieren zu können. 2025 ist nicht das Jahr der Transformation. Die ist schon lange im Gange.
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2025 ist das Jahr, in dem die Branche diese Entwicklung ernsthaft (und schmerzhaft) realisiert. Trotz eingeführter Mediatheken- und Streaming-Angebote sind mindestens die Werbegelder nicht im gleichen Maße gefolgt. Wohl auch, weil im Wettbewerb mit Podcasts, YouTube und TikTok noch immer keine brauchbare konvergente Währung vorliegt. Das Fernsehen steht im öffentlichen Diskurs ständig als Verlierer da, weil im Digitalen die flotte Nettoreichweite regiert und diese Zahlen viel schneller viel höher ausfallen als die durchschnittliche Sehbeteiligung der linearen TV-Welt. Auch deshalb erklärten dieses Jahr alle großen Marktteilnehmer Im Dialog mit DWDL, dass es eine umfassendere weil zusammengeführte Ausweisung der eigenen Reichweite linear und on-demand geben müsste.
Bitter, denn viele TV-Marken sind im Wettbewerb der Medienangebote stärker als sie aktuell ausgewiesen werden. Aber beispielsweise LinkedIn trieft seit geraumer Zeit vor völlig haltlosen Reichweiten-Vergleichen zwischen Views auf TikTok oder Podcast-Abrufen einerseits und der Sehbeteiligung im TV andererseits. Nicht, dass dort in der Eigenlob-Hölle das Schicksal eines Mediums entschieden werden würde, aber es dokumentiert den Imageschaden des Fernsehens. Eine einst so wertvolle, weil harte Währung, wird oft nicht verstanden und sieht sich dem Netto-Reichweiten-Rausch ausgesetzt. Und ein konvergenter Standard als Ersatz für die Quote vom Vortag fehlt weiterhin. Dabei wäre das längst keine Dringlichkeit mehr, sondern pure Not.
Dieser Sommer sollte allen eine Mahnung sein, wie schnell sich der Markt verändert; dabei auch immer unkonventioneller denkt. Dazu muss man nicht einmal nach Frankreich reisen und den TF1/Netflix-Deal anführen. In Deutschland kauft gerade einer der größten Werbetreibenden, die Schwarz Gruppe, rund 42,5 Prozent am Sportstreamer Dyn. Wozu noch Spots kaufen, wenn man gleich den Werbeträger kriegen kann? Was in den vergangenen Wochen angekündigt wurde, wird die deutsche Branche in den kommenden zwölf Monaten auf den Kopf stellen wie seit Jahrzehnten nicht. Manchem wird dieser Kopfstand gelingen, anderen hingegen Schmerzen bereiten. Wer in welche Gruppe gehören wird? Das ist eines dieser großen Fragezeichen.