Zuerst die schlechten.
Was ist nun tatsächlich eingetreten?
Im Juli schrieb ich zur Nicht-Verlängerung der „Late Show“ mit Stephen Colbert: „What’s next? Wird als nächster jetzt Jimmy Kimmel bei ABC nicht verlängert? Oder John Oliver bei HBO gefeuert?“ Nun, ersteres ist jetzt eingetreten. Sogar noch dramatischer. ABC hat „Jimmy Kimmel Live!“ am 17. September auf unbestimmte Zeit aus dem Programm genommen („preempted indefinitely“). Auslöser war ein Kommentar Kimmels zum tödlichen Anschlag auf den rechts-extremen Aktivisten Charlie Kirk. Vorangegangen war, dass Nexstar (größter Betreiber von ABC-Affiliates) die Sendung auf seinen Stationen ebenfalls unbefristet abgesetzt hatte. Die Entscheidung fiel mutmaßlich vor dem Hintergrund regulatorischen und politischen Drucks. So äußerte sich der FCC-Vorsitzenden Brendan Carr: „Wir können das auf die einfache oder auf die harte Tour machen. Disney muss hier eine Veränderung sehen … es ist an der Zeit, dass [die lizenzierten Sender] vorangehen und sagen, dieser Müll dient nicht den Bedürfnissen unserer lokalen Gemeinschaften.“ Trump jubelte und forderte als nächstes die Absetzung von den verbliebenen Late-Night-Hosts Jimmy Fallon und Seth Meyers bei NBC. Man stelle sich einmal vor, es gäbe in Deutschland eine der Bundesregierung hörige, zentrale TV-Regulierungs-Behörde (zum Glück gibt es eine solche nicht), deren Leiter in einem Podcast eine solche Bemerkung zur „heute-show“ machte. Das ZDF würde daraufhin die Sendung aus dem Programm nehmen, und Bundeskanzler Merz würde dann noch die Absetzung von „extra 3“ von der ARD fordern. Klingt absurd, aber genau dies ist die Situation in den USA. Und das sollte uns alle sehr nachdenklich machen.
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Was bereitet mir außerdem Sorge?
Der TV-Werbemarkt springt nicht wie erhofft an - und das ist für nahezu alle Stakeholder in der deutschen Fernsehbranche wahrlich keine gute Nachricht. Diese Woche veröffentlichte die ProSiebenSat.1 Media SE ad-hoc eine Prognoseanpassung (aka Gewinnwarnung) für das laufende Geschäftsjahr. Grund: „(…) die zuvor von Forschungsinstituten prognostizierte wirtschaftliche Erholung wird nun wahrscheinlich nicht eintreten. Daher geht ProSiebenSat.1 davon aus, dass die wirtschaftliche Lage in der DACH-Region im vierten Quartal, dem für das Unternehmen wichtigsten Quartal, schwierig bleiben wird.“ In Zahlen heißt das: für den Umsatz werden jetzt €3,65–3,80 Mrd erwartet (vorher: ca. €3,85 Mrd +-€150 Mio), und das bereinigte EBITDA wird mit €420–470 Mio (vorher: ca. €520 Mio +-€50 Mio) angegeben. Besonders ärgerlich: durch das niedrigere Ergebnis erhöht sich auch der Verschuldungsgrad, trotz rückläufiger Nettofinanzverschuldung, auf 3,0x-3,5x (bisheriges Ziel: 2,5x-3,0x) zum Jahresende 2025 (Vorjahr: 2,7x). Nun, wenn die Annahmen von ProSiebenSat.1 stimmen, müsste dies nicht auch in gleichen Maßen die RTL Group betreffen? Im August hielt man dort mit Veröffentlichung der Halbjahreszahlen noch an dem Outlook 2025 fest, aber mit diesem interessanten Zusatz: „Das bereinigte EBITA für das Gesamtjahr soll auf rund 780 Mio. € steigen, vorausgesetzt – wie derzeit erwartet – dass die TV-Werbeerlöse im 2. Halbjahr 2025 um 2–3 % wachsen.“ Nun, wenn sich RTL nicht in einem anderen Werbemarkt befindet, als seine Wettbewerber, würde ich sagen, das Guidance-Risiko ist auch dort hoch. Ich hoffe, ich irre mich.
Und nun zu den besseren Nachrichten.
Was halte ich für eine echte Revolution?
Die diese Woche in New York von CEO Neal Mohan vorgestellte YouTube-Roadmap. Aus der ehemaligen Video-Abspielplattform soll nichts anderes werden als das alleinige „Betriebssystem für moderne Medienunternehmen.“ YouTube nutzt dabei KI als Hebel für nachhaltige Creator-Geschäfte und rückt so näher an einen vollständigen Media-Stack (Creation -> Distribution -> Commerce) heran. Zu den rund 30 Updates, die Mohan vorgestellt hat, gehören u.a. das bisher größte Live-Update (mehr als 30 % der täglich eingeloggten Zuschauer schauen Live und mit KI können jetzt während des Streams Shorts zur späteren Verwendung erstellt werden). Mit der Bereitstellung von Veo 3 Fast & Edit with AI für Shorts müssen Creator jetzt YouTube nicht mehr verlassen, um andere Tools wie CapCut oder DaVinci zu benutzen, sondern erstellen ihre Shorts in YouTube. Darüber hinaus können Audio-Podcasts zu automatisch generierten Video-Versionen werden. Am coolsten aber für deutsche Creator ist vielleicht die Funktion Auto-Dubbing mit Lip-Sync. Nimm einfach drei deiner erfolgreichsten Videos, aktiviere Auto-Dubbing und Lip-Sync für Auto-Dubs in YouTube Studio, wähle eine Zielsprache aus, z.B. Deutsch -> Englisch, und fertig ist das lippensynchrone Video mit lupenreinem Englisch mit deiner Stimme, und die Chance für ein globales Publikum ist da. Letzte Woche hatte ich hier noch prophezeit, es wird keinen deutschen MrBeast geben. Tja, die deutsche Sprachbarriere als Ausrede gilt dann jetzt ab sofort nicht mehr.
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Welches neuartige Studio werde ich weiter beobachten?
Angel Studios. Nicht aus Hollywood, sondern Provo, Utah. Es bringt ein Geschäftsmodell mit, das die Branche nachhaltig herausfordern könnte. Während klassische Studios mit Budgets, Gremien und Marktforschung arbeiten, hat Angel ein System geschaffen, das Kapital, Daten und Leidenschaft bündelt. Fans investieren vorab in Projekte oder ins Unternehmen, sie sind also nicht nur Zuschauer, sondern Miteigentümer. Die sogenannte Angel Guild liefert durch Abstimmungen und Klicks unmittelbare Signale, welche Stoffe Potenzial haben. Statt Test-Screenings entstehen somit treffsichere Entscheidungen aus der Community. Und: Wer mitgestimmt und investiert hat, fühlt sich verantwortlich und trägt Filme aktiv in die Welt, über Mundpropaganda, virale Kampagnen oder sogenannte Pay-it-forward-Tickets (Tickets zum verschenken). So entsteht ein geschlossener Kreislauf: Community finanziert, entscheidet und vermarktet, und die Wertschöpfungskette verläuft von unten nach oben. Ein Beweis gefällig? „Sound of Freedom.“ Mit rund 14 Millionen Dollar Budget produziert, spielte der Film allein in den USA über 200 Millionen Dollar ein. Seit vergangener Woche notiert Angel an der NYSE, mit einer Marktkapitalisierung von über zwei Milliarden Dollar. Die Gründer Neal, Jordan und Jeffrey Harmon haben erkannt, dass Fandom nun mal die härteste Währung in der Aufmerksamkeitsökonomie ist. Angel Studios ist damit für mich nicht einfach ein weiteres Studio, sondern ein möglicher Disruptor für das Filmgeschäft.
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Und welche Serie sollten sich nicht nur Filminteressierte anschauen?
„Call My Agent Berlin“, verfügbar bei Disney+, rund um die fiktive Schauspiel-Agentur „Stern“ als Brennglas der deutschen Filmstar-Ökonomie. Als eine weitere lokale Adaption des französischen Export-Schlagers „Dix pour cent“ (mit Weltstar-Gastauftritten von Juliette Binoche bis Jean Reno) lag die Messlatte für den geschätzten Produzenten-Kollegen Henning Kamm, Showrunner Johann Buchholz sowie die geschätzten Disney-Kolleginnen Eun-Kyung Park und Benjamina Mirnik-Voges sehr hoch. Aber, mein Gott, sind die kongenial drüber gesprungen! Es ist ihnen nicht nur gelungen, das Who’s who der deutschen Filmbranche für episodenfüllende Gastauftritte zu gewinnen. Sie haben es auch noch geschafft, sensibel in Buch und Inszenierung, diese Stars zum Teil deutlich aus der wahrgenommenen, den Zuschauern bekannten Komfortzone des eigenen Ichs hinaus zu drängen. Meine Lieblingsszene: wie Heiner Lauterbach aus der Trauerrede für den verstorbenen Agentur-Gründer eine Eloge an sich selbst macht. Und es gibt soviel lustige Momente mehr. Aber die Serie schafft es andererseits auch, in ihren stilleren, berührenden Augenblicken nicht zu tränendrüsig zu werden, auf einem schmalen, ausbalancierten Grad zu wandeln, ohne jemals in Klischee oder Klamauk abzudriften. Zweifellos ist das auch das Verdienst des toll gecasteten Agentur-Ensembles. Und, wer jetzt noch nicht überzeugt ist, der liest einfach diese sehr gute Kritik hier.