Stell dir vor, innerhalb der ganzen ARD erwarten sie von dir, dass du quasi im Alleingang den Polittalk auf neue Beine stellst und dabei auch junge Zielgruppen erreichst, die zuvor einen weiten Bogen um "Maischberger", "Caren Miosga" & Co. gemacht haben. Die Erwartungen, die schon seit geraumer Zeit auf Louis Klamroth lasten, sind zweifellos groß. Gerade erst hatte die ARD die bestehenden Talk-Formate verlängert und dabei betont, dass man mit Klamroth "neue Wege für den politischen Kurs" gehen wolle.
Mit "Press Play" ist jetzt ein neues Talk-Format in der ARD-Mediathek gestartet, mit dem Louis Klamroth verstärkt junge Menschen erreichen will. Aber am Ende sitzt dann doch nur Cem Özdemir auf einem Sofa aus der Requisitenabteilung und spricht über mögliche Altersgrenzen für die Nutzung von Social Media und seine Abneigung zur AfD.
Die Idee, die "Press Play" zugrunde liegt, ist eigentlich charmant: Klamroth lädt eine Person zu sich aufs Sofa, um sich mit ihr durch das TV-Programm zu zappen. Die Clips sollen als Ausgangspunkt dienen für einen Austausch über Haltung, Humor, Herkunft und allerlei andere Themen. "Statt eines Interviewleitfadens bestimmen in dem neuen Format Bilder und Clips aus TV und Netz das Gespräch", hieß es im Vorfeld von der ARD zur Sendung. Die lockere Atmosphäre soll dafür sorgen, dass die Gesprächspartner nicht allzu sehr in ihren gelernten Rollen verharren. Produziert wird "Press Play" von Florida Factual.
In weiten Teilen kommt dann aber vor allem die erste Folge, in der Cem Özdemir zu Gast war, ziemlich klassisch und erwartbar daher. Das geht schon damit los, als der Politiker auf die Frage von Klamroth, ob er zu Hause beim Fernsehen gucken auch so auf dem Sofa sitze, antwortet, er trage dabei normalerweise keine Schuhe. Und man möchte ihn am liebsten fragen: Hemd und Sakko aber schon? Und auch wenn Özdemir später noch einmal sagt, dass er darauf achte, wie er im TV rüberkommt, kratzt das Gespräch zur Außendarstellung von Politikern allzu sehr an der Oberfläche.
Schnell wird deutlich, dass sich Klamroth und seine Gäste nicht wirklich durch das laufende TV-Programm zappen, sondern durch eine zuvor sorgsam zusammengestellte Auswahl an Sendungen. Und so sind einerseits Ausschnitte aus der "Lokalzeit" oder auch dem "Bergdoktor" zu sehen, aber auch von "Shopping Queen", "Markus Lanz" und dem "Doppelpass". Teilweise gibt’s auch Ausschnitte von bekannten Influencern. Dass Klamroth "Wer stiehlt mir die Show" als "wirklich gute Show" bezeichnet, ist vor allem aufgrund seiner Nähe zur Produktionsfirma Florida etwas seltsam.
Generell wurde Klamroth über das TV-Programm offenbar nur so halb gebrieft. Als ein Ausschnitt des längst eingestellten "ARD Buffets" gezeigt wird, schwärmt der Moderator: "Das kann man sich schön vormittags anschauen", nur um dann einzuräumen, dass er zu der Tageszeit meist eigentlich im Büro sei.
TV-Clips dienen als Interviewleitfaden
Generell ist das Gespräch mit Özdemir, der im kommenden Jahr Ministerpräsident von Baden-Württemberg werden will, nicht so spontan und locker, wie es vermutlich der Plan war. Die Stimmung ist aufgrund des Settings natürlich eine andere als bei "Hart aber fair" - und trotzdem dienen die eingespielten Clips vor allem als Rampe für Klamroth, um sich gewissen Themen zu nähern. Als Ausschnitte aus "Promis unter Palmen" gezeigt werden (Özdemir: "Ich weiß nicht, ob es die Menschheit voranbringt, wenn man zuschaut, wie sich Leute anbrüllen."), fragt Klamroth, ob Özdemir es aus der Politik kenne, wenn sich Menschen plötzlich anders verhalten, wenn eine Kamera läuft. Das ist alles noch sehr steif.
Als die beiden ein Video der jungen TikTokerin Zahide sehen, geht’s um Altersbegrenzungen für Social Media. Hier gibt es einen der seltenen ehrlichen Momente: Als Klamroth feststellt, dass Zahide die Videos nicht mehr so machen dürfte, wenn Özdemirs Altersbegrenzung kommen würde, antwortet der nur: "Das ist ihr Problem, nicht meins". Es sind Momente wie diese, in denen "Press Play" richtig gut ist. Einen Interviewleitfaden gibt es aber natürlich trotzdem, der sieht nur etwas anders aus.
Einen runderen Eindruck macht da schon die zweite Folge von "Press Play", in der die Linken-Politikerin Heidi Reichinnek zu Gast war. Während sie zu Ausschnitten des ESC noch ihren Musikgeschmack erläutert, war schon klar, worum es geht: Israels möglicher Ausschluss im kommenden Jahr. Und auch hier dient Reality wieder als Gesprächsrampe. Zu Ausschnitten von "Das Sommerhaus der Stars" fragt Klamroth, ob sie auch aus der Politik toxische Beziehungen kenne, woraufhin die Politikerin antwortet, dass das ganze System doch irgendwie toxisch sei.
"Maxton Hall"? "Ach, ja klar…"
Bei der Wehrpflicht argumentiert Reichinnek fast schon emotional und auch bei der Beschreibung ihrer (Nicht-)Beziehung zur Union gibt es einige schöne Einblicke in ihre Sichtweisen. Die Sendung ist aber nicht nur deshalb besser, weil Reichinnek eloquenter antwortet als Özdemir, sondern auch weil Klamroth mehr Ansatzpunkte hat, um ungläubige Nachfragen zu stellen und so zumindest teilweise eine Auseinandersetzung entsteht.
Interessant ist aber vor allem oft das, was Klamroths Gäste zum TV-Programm zu sagen haben. Heidi Reichinnek schaut etwa gerne "Bares für Rares", den ESC und "Elefant, Tiger & Co.". Als Klamroth ihr den Plot von "Maxton Hall" zusammenfasst, antwortet sie mit einem müden: "Ach, ja klar…". Cem Özdemir hat nach eigenen Angaben noch nie Reality-TV gesehen und als ein Mann in einem "Lokalzeit"-Beitrag weint, verrät auch der Politiker, wann bei ihm zuletzt Tränen geflossen sind (Spoiler: Beim Geburtstag der SPD).
Sowohl Reichinnek als auch Özdemir eint, dass sie kaum mehr Fernsehen schauen. Ob das bei Michel Friedman anders ist, werden die Zuschauerinnen und Zuschauer bald sehen. Er ist der vorerst letzte Gast von Louis Klamroth bei "Press Play", die Folge mit dem Publizisten wird am 4. Oktober veröffentlicht.
Das neue Gesprächsformat dürfte der ARD in jedem Fall wichtige Erkenntnisse für die künftige Entwicklung geben: Auch eine vermeintlich lockere Gesprächsatmosphäre auf einem Sofa kann nicht verhindern, dass Situationen eher künstlich als authentisch wahrgenommen werden. Beim Versuch, Polittalks neu und für ein junges Publikum zu denken, kann "Press Play" jedenfalls noch nicht die finale Antwort sein.
Zwei Ausgaben von "Press Play" sind bereits in der ARD-Mediathek abrufbar.