Experimentierflächen gibt es nur noch wenige im deutschen Fernsehen. Und sicher ist keine davon so prominent besetzt wie das Vorabendprogramm im Ersten. "Gottschalk Live" wurde in seinen ersten Wochen bereits zur Genüge analysiert. Das Feuilleton, die Mediendienste und auch die Boulevardpresse hat sich an dem Format abgearbeitet. Moment, nein. In erster Linie wurde Thomas Gottschalk persönlich zum Gegenstand der meist latent gehässigen Kommentare, die oft nur Selbstbestätigung der Kritiker waren, die es ja natürlich genauso haben kommen sehen. Das ist an sich schon mal eine Erklärung dafür, warum es Experimente im deutschen Fernsehen so schwer haben. Da drehen sich die Kritiker im Kreis: Sie fordern mal Perfektion und dann wieder mehr Mut zu Neuem. Doch Neues ist selten auf Anhieb perfekt.

Aus gutem Grund haben wir bei DWDL.de deshalb nach der Startwoche auf inhaltliche Bewertungen von "Gottschalk Live" bis zum einmonatigen Jubiläum vergangene Woche verzichtet. Weil eine fast tägliche Sendung ja immer wieder die Chance bietet, sich zu verändern und damit zu verbessern. Weiterhin gilt: Es gibt keinen Grund, dem Format ein Scheitern zu wünschen. Es mag Genugtuung für manchen Journalisten sein, den Mythos Gottschalk zu demontieren. Jene Journalisten würden jetzt anmerken, dass er sich längst selbst demontiert. Doch das halte ich für falsch und kontraproduktiv in den Debatten um das deutsche Fernsehen. Weil mit der dahinter stehenden Erwartungshaltung, dass jemand Großes nur noch Größeres machen darf, weil alles andere automatisch als Rückschritt gewertet wird, befeuert man nur den Teufelskreis der Perfektion des deutschen Fernsehens.

Dabei mangelt es genau am Gegenteil: An den Experimentierflächen. Früher wurden Formate für den Zuschauer sichtbar on air entwickelt. Doch das dafür nötige Durchhaltevermögen, diese Leidenschaft und Flexibilität wurden abgelöst von Marktforschungen, die bessere Plan- und Berechenbarkeit versprechen. So gesehen ist "Gottschalk Live" Fernsehen, wie wir es eben lange nicht mehr gewöhnt waren: Eine Formathülle mit einem Fixpunkt und viel Gestaltungsmöglichkeiten. Nicht durchgetestet, nicht adaptiert oder kopiert. Das ist begrüßenswert und Thomas Gottschalk, auch wenn sich mancher an ihm abgearbeitet hat, ist auch nicht das Problem der Sendung. Gottschalk bleibt eben Gottschalk. Ich amüsiere mich seit Wochen darüber, in wie vielen blumigen Worten man diese völlig überraschende Erkenntnis verpacken kann. Nein, das Problem von "Gottschalk Live" sitzt nicht vor der Kamera.

Das Problem liegt hinter der Kamera. Ein vergleichsweise großes Team hat also in den Wochen vor dem Sendestart nicht gemerkt, dass man eine Sendung plant, die so nicht zum Protagonisten passt und die, so wie es beispielsweise in der ersten Sendewoche zu erleben war, auch nicht in den zeitlichen Rahmen passt. Mag das Feuilleton sich an Thomas Gottschalk abarbeiten, doch die Fernsehbranche rätselt über etwas ganz Anderes: Wie konnte das so erfahrenen Fernsehmachern passieren? Große Namen sind am Werk - Grundy Light Entertainment und der WDR - und dann kommt nicht mehr dabei heraus? Das schockiert. Von Woche zu Woche drängt sich daher eine Frage immer mehr auf: Was treibt eigentlich dieses riesige Team? Man sieht der Sendung jedenfalls keinen großen Aufwand an.