Am Ende ist zumindest das Team von ZDFneo davon überzeugt, ganze Arbeit geleistet zu haben. "Wir waren zwei Millimeter davor, das abbrechen zu müssen!", sagt Versuchsleiter Christopher Lesko mit stolzem Blick in die Kamera. Moderator Jochen Schropp meint: "Wir haben sogar Verletzte!" Im Produktionsraum herrscht scheinbar Einigkeit: "Was wir gesehen haben, sind dieselben Mechanismen und Reaktionen, die zu Kriegen führen." Und Schropp gesteht: "Für mich war das jetzt 'ne harte Nummer, daneben zu stehen."

Die "harte Nummer" ist der Versuch, an den Erfolg des sehenswerten Sozialexperiments "Der Rassist in uns" anzuknüpfen, das ZDFneo im vergangenen Jahr zeigte (DWDL.de berichtete). Diesmal wollte der Sender noch eine Schippe drauflegen: Fünf Tage hat die Produktionsfirma doc lights zwölf Menschen auf dem Gelände eines verfallenen Stasi-Krankenhauses in der Nähe von Berlin isoliert und mit Kameras beobachtet. Unterteilt in zwei Gruppen sollten sie zu Teams zusammenwachsen und dann zu Rivalen werden, die gegeneinander in einer Spielarena antreten.

"Sie werden gleich erleben, wie erschreckend einfach es ist, anerkannte und gelernte Regeln unserer Zivilisation zu brechen", kündigt Schropp den Versuch mit dem Titel "Plötzlich Krieg?" zu Beginn an und nennt ihn "eine Mischung aus Gameshow und Sozialexperiment". Der Zuschauer erfährt, dass sich der provozierte "Ausnahmezustand" am wissenschaftlichen Robbers-Cave-Experiment aus den 50er Jahren orientiert. (Aber nicht, dass dabei zwölfjährige Pfadfinder die Akteure waren, und der Versuch nicht für sich in Anspruch nahm, Kriegsentstehung erklären zu können.)

"So schnell funktioniert Krieg?"

Aufgepeppt hat der Sender seinen Versuch im Jahr 2015 mit unübersehbaren Referenzen an die Roman- und Film-Dystopie "The Hunger Games", in der ein irres Regime Menschen zu Unterhaltungszwecken in tödlichen Wettkämpfen aufeinander hetzt. Zu Beginn jedes Spiels bei "Plötzlich Krieg?" läuft sogar die Musik aus den "Hunger Games" – eine merkürdige Referenz.

Dabei sind die Spiele an sich harmlos: In einem Kräftemessen müssen die Teams eine verschiebbare Wand in das Feld ihrer Kontrahenten drücken; ausgerüstet mit Pumpen soll den Herausforderern Wasser aus deren Tanks geklaut werden; und das Schlussspiel ist eine Art American Football im Sand. Allerdings greift die Produktion immer wieder heimlich ins Geschehen ein und manipuliert, um die Stimmung aufzuheizen.

Plötzlich Krieg? Ein Experiment© ZDF/Antje Dittmann

Letzteres gelingt wie vorhergesehen. Innerhalb kürzester Zeit steigern sich die Gruppen so sehr in den Wettstreit hinein, dass die Begegnungen auf dem Spielfeld stetig aggressiver werden: "Team Rot ist tot!", skandiert Team Blau, "Das gibt Rache!", sagen die einen, die anderen drohen: "Wir kämpfen jetzt mit allen Mitteln!" Und Lesko sitzt in der Produktionszentrale vor dem Monitor, um sich selbst zu bestätigen: "Die fühlen sich, als hätten sie eine Schlacht verloren", "Die haben den Feind gesehen!", "Wir sind an einer Superstelle!" – "So schnell funktioniert Krieg?", fragt Schropp brav nach. Und Lesko antwortet: "Ja, leider." Unfug.

Eindrucksvoll dokumentiert zu haben, wie drastisch Menschen reagieren, wenn sie sich provoziert, benachteiligt oder eingeengt fühlen, kann ZDFneo durchaus für sich beanspruchen. Daraus aber die Schlussfolgerung abzuleiten, dass daraus unweigerlich Kriege entstehen, ist problematisch.

Plötzliche "Big Brother"-Amnesie

Konsequent zu Ende gedacht würde das bedeuten, dass nach der Ausstrahlung dieser Sendung große Teile des Unterhaltungsfernsehens eingestellt und das ZDF auf die Übertragung des nächsten Teamsport-Großereignisses verzichten müsste. Denn "Plötzlich Krieg?" bedient sich in vielen Situationen exakt der Mechanismen, mit denen auch Fußball-Mannschaften vor wichtigen Spielen aufeinander (und gegen den Gegner) eingeschworen werden. Dass deswegen nachher auf dem Platz hart gekämpft wird, ist unbestritten. Wüssten die Menschen diese kalkulierten Adrenalinschübe aber nicht zu kontrollieren, müsste jede Weltmeisterschaft unweigerlich in der Katastrophe enden.

Darüber hinaus sollte gerade Schropp wissen, dass das Fernsehen sonst deutlich weiter geht als sein Team bei diesem Experiment. Er steht ja jedes Jahr zwei Wochen dabei, wenn Sat.1 den Teilnehmern von "Promi Big Brother" Essen, Privatsphäre und Freiraum nimmt und sie zwischen Luxusbereich und Keller hin- und herschickt, um zu sehen, wann sie deswegen zusammenbrechen oder explodieren. Mit dem kleinen Unterschied, dass der Moderator dabei kein betroffenes Gesicht macht, sondern sich über die Kandidaten lustig.

Es ist schon kurios, dass man bei ZDFneo der Ansicht ist, ausgerechnet Schropp könne mit plötzlicher Amnesie für seine Jobs beim Privatfernsehen das Ziel dieses Sozialexperiments glaubwürdig vermitteln. Zumal anfangs tatsächlich vieles an "Big Brother" erinnert (was von den Kandidaten selbst thematisiert wird).

Plötzlich Krieg? Ein Experiment© ZDF/Thomas Ernst

"Wir sind die Guten, die sind die Bösen, und die nehmen uns was weg", ist die einfache Formel, auf die Lesko die Entstehung eines Kriegs zu bringen versucht. "Krieg ist simpel", glaubt er. Und rechnet am Ende des Versuchs vor: "In realen Kriegssituationen kann man 800, 900 Prozent draufrechnen. Und dann, Jochen, wird's ganz fürchterlich."

Krieg ist also wie ZDFneo, nur 800 Prozent schlimmer? An dieser Stelle hat sich Lesko endgültig in seine selbst zurecht gelegten Interpretationen verstrickt. Es ist eine gefährliche Illusion, zu glauben, Kriege seien berechenbar und nichts anderes als dumme Missverständnisse, die sich nachher im Stuhlkreis lösen lassen, wie es in der Sendung so unkompliziert vonstatten geht. Weil sich die Teams dann doch ganz zivilisiert austauschen, als sie sich gegenüber sitzen. (Im Robbers-Cave-Experiment stellte sich dagegen heraus, dass Friedensstiftung nur funktioniert, wenn die verfeindeten Parteien gemeinsame Ziele haben.)

Aber wenn das wirklich so einfach ist, kriegt's ZDFneo bestimmt hin, bis zur nächsten Woche den Nahost-Konflikt zu lösen.

"Plötzlich Krieg? Ein Experiment" läuft am Dienstag und Mittwoch jeweils ab 21.45 Uhr bei ZDFneo und ist bereits in der ZDF-Mediathek verfügbar.