An seinem ersten Tag im Kölner Sender brachte er die Idee zur Sprache. Sowas - eine eigene Fernsehserie - mache man hier nicht, war die erste Reaktion. Aber Reichart tickt anders. Im Zuge der Premierenfeiern für "Club der roten Bänder" in den vergangenen Wochen erklärte er seine Herangehensweise: "Wir haben einen Sender. Wir haben Geld. Also könnten wir", habe er sich gedacht und hätte es beinahe auch gemacht - schon damals im Frühjahr 2014. Doch Reichart plagte ein prominentes Dilemma namens Steven Spielberg. Der produzierte gerade eine US-Adaption. Dieser Ritterschlag aus Hollywood könnte alle die am spanischen Original beteiligt waren eigentlich erfreuen, doch für den leidenschaftlichen Pragmatiker Bernd Reichart und seine Idee einer deutschen Adaption war es ein Bremsklotz.

Wird "Red Band Society" in den USA ein Hit, würde niemand mehr eine deutsche Fassung verlangen. Es würde im Gegenteil als spätes Aufspringen auf einen längst fahrenden Zug empfunden. Noch dazu würden die Ausstrahlungsrechte für Spielbergs Serie durch einen langjährigen Output-Deal ausgerechnet bei der Mediengruppe RTL Deutschland liegen. Hätte man einen US-Hit im Keller liegen lassen, nur um eine eigene deutsche Fassung nicht zu kompromittieren? Kaum vorstellbar. Doch die US-Adaption - umgesetzt von ABC Studios für Fox - hat den Kern der berührenden Geschichte von Albert Espinosa nicht verstanden. Wie in allen anderen Krankenhausserien standen plötzlich die Ärzte und ihre Beziehungen im Mittelpunkt. Die Serie floppte beim US-Publikum und in Köln jubelte man (leise).

Im Scheitern stecken auch Chancen, heißt es. Nun, der Kölner Sender hat diese Chance ergriffen, die sich bot, als Steven Spielberg scheiterte. Im Herbst 2014 verriet Reichart im DWDL-Interview das ambitionierte Projekt. Im Juni starteten die Dreharbeiten und keine sechs Monate später folgt die Ausstrahlung von "Club der roten Bänder". Möglich wurde das, weil es eine Produktion der kurzen Wege war. Angesichts des Ergebnisses muss man im Vergleich zur US-Version sagen: Zusammen mit der Produktionsfirma Bantry Bay zeigt Vox Hollywood, wie man besseres Fernsehen macht. Dieses Urteil ist einhellig. Selten zuvor waren sich die Fernsehkritiker so einig und in ihrem Urteil so begeistert von einer neuen deutschen Serie.

Club der roten Bänder© Vox/Martin Rottenkolber

"Sie haben bei Vox alles getan, was nötig war. Die Diagnose ist richtig: Dem deutschen Fernsehen fehlt so eine Serie. Auch die Umsetzung lässt wenig zu wünschen übrig. Jetzt muss die Therapie beim Zuschauer nur noch anschlagen", schreibt Hans Hoff in der "Süddeutschen". "Da dreht Vox endlich einmal eine eigene Serie, und dann ist die auch noch ergreifend gut", schreibt Heike Hupertz am Montag in der "FAZ".  "Unsentimental, gelegentlich witzig, voller Galgenhumor und ohne die Nöte Heranwachsender zu verraten, bringt 'Club der roten Bänder' tatsächlich eine gänzlich neue Farbe in die Serienlandschaft des deutschen Fernsehens", urteilt Hupertz. Und Christian Meier formuliert es in der "Welt" so: "Der 'Club der roten Bänder hätte es verdient, allermindestens ein Blockbuster der Herzen zu werden."

Da schwingt die bekannte Sorge mit, dass das Publikum versagt. Niemand kann Bernd Reichart und seinem Team sowie der Produktionsfirma und allen Beteiligten die Ungewissheit nehmen, ob das Publikum heute Abend auch finden wird, was Vox anbietet. Selten aber hat man es einer Produktion, einem Sender und auch der deutschen Branche so gewünscht. Unabhängig davon, dass "Club der roten Bänder" einfach eine unglaublich berührende Serie mit bösem Humor und einer Achterbahnfahrt der Gefühle ist, hat die Produktion die große Chance, das Schubladendenken im deutschen Fernsehen in doppelter Hinsicht zu beenden - wenn es um festgefahrene Serien-Genres geht und um die Frage, wie groß ein Sender eigentlich sein muss, um ein Programm zu machen, auf das man so stolz sein kann.