Es ist noch keine Ewigkeit her: Wenn Thomas Gottschalk die "Wetten, dass..?"-Bühne betrat, dann lag ihm die Nation einst zu Füßen - vielleicht auch, weil er über viele Jahre hinweg nur selten echte Konkurrenz zu befürchten hatte. Eben dieser Mann ist es, der heute am Sonntagabend um 21:45 Uhr am liebsten jeden "Tatort"-Zuschauer persönlich begrüßen würde und aus Ehrfurcht vor dem übermächtigen Krimi-Gegner schon nach wenigen Minuten in seiner neuen RTL-Show verrät, dass die Mörderin im parallel laufenden Krimi Paula heißt. Es scheint, als müsse sich der 66-Jährige erst noch an die Rolle des Underdogs gewöhnen. Dabei gab es dafür seit seinem Abschied von "Wetten, dass..?" schon so manche Gelegenheit dazu - allen voran durch sein spektakuläres Scheitern im ARD-Vorabendprogramm.

Tatsächlich ist "Mensch Gottschalk", wie sein neuester Neustart im Privatfernsehen heißt, der Idee von "Gottschalk Live" gar nicht unähnlich. Im Mittelpunkt steht hier wie da der mittlerweile nicht mehr ganz so blond-gelockte Moderator, der durch ein buntes Potpourri an mehr oder weniger aktuellen Themen führt und es in beinahe jeder Situation schafft, einen Bezug zu sich herzustellen - ganz gleich, ob es um große Politik geht oder bloß um Hunde, die in einer Art "Saalwette" Kunststückchen vorführen. Beim Auftritt Samuel Kochs sowieso. Selbst das im Retro-Stil gehaltene Studio weist übrigens so manche Parallele zu "Gottschalk Live" auf. Anders als einst im Ersten darf Gottschalk diesmal jedoch seine Stärken ausspielen. Das gelingt schon alleine dadurch, dass einige Zuschauer ins recht intim anmutende Fernsehstudio nach Adlershof gekarrt wurden, die bereits beim Warm-Up ganz guter Laune waren. Das hat RTL kurioserweise nämlich auch gezeigt, obwohl es schon längst 20:15 Uhr war.

Wer nicht erst nach dem "Tatort" rüberwechselte, sondern sich zu diesem frühen Zeitpunkt bereits zu RTL verirrte, wurde allerdings Zeuge eines etwas langatmigen Starts. So begrüßte Gottschalk zunächst den typischen Deutschen ("Thomas Müller heißt er – und schaut jetzt leider 'Tatort'") und plauderte anschließend recht belanglos mit jenen Kids, die in einer Woche beim ersten EM-Spiel der deutschen Fußball-Nationalelf an der Seite der Starkicker den Platz betreten werden ("Du bist das Eskortenkind, aber kein Retortenbaby"). Dann endlich kam erstmals so etwas wie Relevanz auf. Zusammen mit einem Terror-Experten, dem "Sportschau"-Moderator Matthias Opdenhövel und dem früheren Nationaltorwart Timo Hildebrand ging's um die Sicherheit beim unmittelbar bevorstehenden Turnier in Frankreich.

Später zauberte Gottschalk mit den Ehrlich Brothers, interviewte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ("Wie ist der Putin?" - "Sie sind netter.") und sagte die Pet Shop Boys an, die ebenso wenig ans Aufhören denken wie der alternde Moderator. Ein wilder Ritt also, der zwangsläufig an jene Mischung erinnerte, die man - na sowas - inzwischen für gewöhnlich von handelsüblichen Jahresrückblicken kennt. Daran änderte sich auch nach dem "Tatort"-Umschaltzeitpunkt um 21:45 Uhr wenig, als Mercedes-Boss Dieter "Didi" Zetsche zunächst gemeinsam mit Niki Lauda gefühlt etwas zu viel Zeit bekam, um seine selbstfahrenden Autos ins rechte Licht zu rücken. Immerhin geriet der Einspieler, der einen aufgeregten Gottschalk beim freihändigen Fahren auf der Autobahn zeigte, ganz amüsant.

Mensch Gottschalk© RTL

Viel Zeit zum Verschnaufen blieb nicht, weil dann auch schon Günther Jauchs jüngster Millionen-Gewinner auf der Matte stand, um den geneigten RTL-Zuschauer über seine weiteren Lebenspläne in Kenntnis zu setzen. Für ein kurzes Telefonat mit seinem Buddy Gottschalk über die bald anstehende Taufe der "MS Günther" ließ Kollege Jauch sogar "Anne Will" kurzzeitig links liegen. Ein Glück, wäre er andernfalls doch Gefahr gelaufen, Gottschalks zurechtgelegtes Witzchen ("Ich hab' schon mal bei einer Taufe geschifft") zu verpassen. Mit der Zeit entwickelte sich dadurch eine recht kurzweilige Show, die eine beachtliche Mischung aus unterhaltenden Elementen und ernsten Themen bot. Da fand sich irgendwo zwischen Pet Shop Boys und veganem Metzer sogar Platz, um über Leukämie zu sprechen.

Nicht jedes Thema mag Deutschland bewegen, so wie es der Untertitel der Sendung suggeriert - und doch passte das alles irgendwie zusammen, weil der einst unantastbare Samstagabend-Held seiner Rolle als Conferencier stets gerecht wurde und den gesamten Abend über erstaunlich aufgeräumt daherkam. Natürlich wäre Gottschalk nicht Gottschalk, würde er nicht auch für ein paar Fremdschäm-Momente sorgen. Doch das Gesamt-Paket stimmt in seiner neuen Show, die fast schon öffentlich-rechtlich anmutet. Dafür sorgt nicht nur der Moderator, sondern auch die Produktionsfirma Spiegel TV, die dank cleverer Interpretation der Drittsendelizenz den prominenten Primetime-Sendeplatz bei RTL ergatterte. Mit fast vier Stunden ist "Mensch Gottschalk" allerdings dann doch etwas zu lang geraten – was in erster Linie der Hoffnung auf eine steigende Quoten-Kurve geschuldet sein dürfte.

Womit wir wieder bei den Unterschieden zu früher angelangt wären. Sein Versprechen, es werde sich ziehen, hielt er ohne Zweifel. Doch überzog Thomas Gottschalk einst aus reiner Narrenfreiheit, so geschieht dies heute wohl vor allem aus Kalkül um die Quote. Er ist inzwischen eben Underdog. Wetten, dass?

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