Wenn man diesen Film mögen will, muss man ein bisschen umdenken. Man muss sich begnügen mit einer hanebüchenen Geschichte, maßlos überzeichneten Figuren und einer die Darsteller kaum wirklich fordernden Regie. Schafft man das und kann Spaß haben an ausgelutschten Gags wie „Ladies first, James last“, dann darf man sich freuen auf einen sehr besonderen Film, der in seinen guten Momenten ganz kurz mal den Gedanken aufblitzen lässt, dass Jacques Tati, würde er noch leben, heute vielleicht genau solch einen Film gedreht hätte.

Im Mittelpunkt steht Jürgen, ein glückloser Hamburger Parkhauswächter, dem das Leben vor allem eine große Tristesse geschenkt hat. Nichts klappt, und alle Wege, die sich anbieten, entpuppen sich als Sackgassen. Befreundet ist Jürgen mit Bernd, einem Rollstuhlfahrer, der sein Schicksal durch gezielt eingesetzte Miesepeterigkeit erträglich macht. Gemeinsam lassen sich die beiden Volltrottel von einem schmierigen Unternehmer zu einer Reise nach Polen überreden. Dort sollen sie paarungswillige Frauen treffen, also endlich mal eine abbekommen. Dass das nicht gut gehen kann, sieht jeder Zuschauer sehr früh, aber, wie gesagt, man muss sich einlassen.

Heinz Strunk hat die Geschichte geschrieben und spielt gleich auch die Titelfigur. Das hat einen Vor- und viele Nachteile. Der Vorteil ist, dass Strunk schreiben kann und eine sehr ausufernde Phantasie hat. Der Nachteil ist, dass Strunk alles sein mag, ein Schauspieler ist er nicht. Er verfügt über lediglich einen Gesichtsausdruck und kann seine Stimme kein bisschen modulieren. Jeder Satz, den sein Jürgen sagt, klingt derart aufgesagt, dass es graust. Auch Charly Hübner, der den Rollifreund Bernd spielt, kann da nicht viel rausreißen. Unter normalen Umständen müsste man den Film also eher meiden.

Jürgen - Heute wird gelebt© WDR/Georges Pauly

Hat man indes ein bisschen Lust, in die Strunk-Welt einzutauchen und hat gerade viel Eierlikör oder andere bewusstseinsverändernde Grundstoffe zur Hand, dann kann man dieses Chaos natürlich auch als große Kunst deuten, kann die hinlänglich bekannte hanseatische Blase aus Strunk, Olli Schulz, Rocko Schmaoni und dem in einer Gastrolle auftauchenden Klaas Heufer-Umlauf mögen lernen. Wer „Fraktus“ mochte, kann an dieser Verkettung von komischer Tragik und tragischer Komik durchaus Freude haben, kann eintauchen in diesen von Regisseur Lars Jessen kaum ernsthaft dirigierten Wahnsinn und sich für anderthalb Stunden vorstellen, die Welt sei derart aus den Fugen geraten, wie es sich Strunk vorstellt. Da herrscht dann die Lakonie neben dem Tagtraum, verschwimmen die Realitäten mehrfach, und keine Pointe ist so abgelutscht, dass sie in dieser Geschichte voller verstörter Prototypen nicht noch Verwendung finden könnte.

So kann man sogar hier und da herzhaft lachen und sich freuen, dass die ARD an einem Mittwoch um 20:15 Uhr ausnahmsweise mal keine große Problemgeschichte aufreißt, sondern einfach nur skurrilen Quatsch erzählen lässt. Das tut weh oder unterhält ganz großartig. Man hat als Zuschauer die Wahl. Alles eine Frage der Einstellung.

Das Erste zeigt "Jürgen - Heute wird gelebt" am Mittwoch um 20:15 Uhr.