Ein bisschen Wehmut lässt sich nicht verleugnen beim Anschauen der ersten paar Episoden der dritten Staffel vom "Club". Leider ist es die unwiderruflich letzte Staffel der Erfolgsserie. Oder sollte man besser sagen: Gott sei Dank? Mit dem einstimmigen Beschluss aller Verantwortlichen, auf dem Höhepunkt Schluss zu machen, geht die deutsche Version des katalanischen Originals als Ausbund an kreativer Konsequenz und Kompromisslosigkeit in die TV-Geschichte ein.

Was hätte man sich nicht alles einfallen lassen können, um die Rekordquoten noch ein paar Jahre länger auszukosten? Leo, Jonas, Toni, Hugo und Emma hätten, begleitet von Alex' Geist, mehr Abenteuer außerhalb des Krankenhauses erleben und außerdem den einen oder anderen Rückfall erleiden können, was bei Krebs oder Magersucht gar nicht mal unrealistisch wäre. Oder man hätte einen neuen Zyklus mit einem neuen "Club" starten können. Die meisten Serien diesseits und jenseits des Atlantiks hätten wohl zu einer dieser Volten gegriffen. Es ist nicht ungewöhnlich, beliebte TV-Früchte von "Scandal" bis "Verliebt in Berlin" so lange auszupressen, bis kaum noch ein Tropfen herauskommt.

Es ist Vox-Chef Bernd Reichart hoch anzurechnen, dass er in diesem Fall die kreative Exzellenz über das ökonomische Interesse gestellt hat. Und es ist Bantry Bay als Produktionsfirma sowie Arne Nolting und Jan Martin Scharf als Autoren hoch anzurechnen, dass sie sich dieses Mandats einmal mehr würdig erweisen. Die dritte Staffel beginnt zwar genau da, wo die zweite endete – doch sie führt eine emotionale Farbe ein, die es so zuvor nicht gab. Auf ihrem Trip vom Meer zurück in Richtung Klinik geraten die Clubmitglieder unbeabsichtigt in ein Musikfestival und erleben dort eine enthemmte Nacht, die für einige Augenblicke jegliche Schwere aus ihren Leben nimmt. Für die einen ist es der erste Rausch, für die anderen der erste Sex, für alle ein totales Loslassen.

Das tut nicht nur den Jugendlichen gut, die für ein paar Stunden mal keine Patienten sind, sondern auch den Zuschauern, die Gelegenheit haben, den intelligenten Humor und das clevere Stimmungsmanagement der Serie zu genießen. Und natürlich durchzuatmen für die Achterbahn der Gefühle, die ab Episode 2 folgt. Leo muss sich einer erneuten Krebs-OP unterziehen, darf sich aber auch über eine unerwartete Erbschaft vom verstorbenen Benito freuen. Jonas lässt sich von Sanitäterin Iris (Isabell Polak in einer wunderbaren neuen durchgehenden Rolle) fürs Schwimmteam anwerben. Für alle Clubmitglieder geht es darum, ihre Bestimmung im Leben zu finden.

Den "Club"-Machern ist es damit gelungen, nicht nur neue packende Storylines ohne jede Redundanz zu erzählen, sondern auch die Palette der Emotionen so zu variieren, dass zum Abschluss noch einmal eine bemerkenswert frische Mischung entsteht. Die Drehbücher und deren Umsetzung profitieren spürbar davon, dass alle Mitwirkenden vor und hinter der Kamera ihren selbstgeschaffenen Kosmos inzwischen komplett verinnerlicht haben. Dadurch begeben sie sich in etliche Momente noch intuitiver hinein als in den ersten beiden Staffeln. Wollte man auf hohem Niveau meckern, so ließen sich in Staffel 2 einige Momente mit zu gewollt produzierten anstelle von intuitiv herbeigeführten Emotionen auffinden. In dieser Hinsicht erlangen die neuen Folgen nun das höchste Meisterschaftslevel.

Wenn der "Club der roten Bänder" Mitte Dezember seine Erstausstrahlungen im linearen TV ein für allemal beendet, hat er etwas erreicht, das vielen deutschen Serien versagt bleibt: ein selbstbestimmtes Ende nach einer ebenso qualitativ hochwertigen wie quantitativ erfolgreichen Laufzeit. Der "Club" ist vor allem in jüngeren Ziel- und Fangruppen zum popkulturellen Allgemeingut geworden.

Was kann das Fernsehen daraus lernen? Die Lehren sind eigentlich simpel – und werden mutmaßlich doch nicht allzu viele Nachahmer finden: Kein vermeintliches Problemthema ist zu schwierig, wenn man nur die richtige Erzählhaltung herausschält. Keine jahrzehntealte Genre-Regel ist in Stein gemeißelt, wenn man sie mit Mut zur Originalität aufbricht. Und kein linearer TV-Sender ist zum Reichweiten-Siechtum verdammt, wenn er beherzt neue Wege geht statt alte Pfade platt zu trampeln.

Sich selbst hat Vox damit übrigens die Latte am höchsten gelegt. Ob die für Herbst 2018 geplante Adaption der israelischen Dramedy-Serie "Milk & Honey" an den Erfolg des "Clubs" anknüpfen kann, muss sich erst noch erweisen. Es war nur zur Hälfte ein Scherz, als Senderchef Bernd Reichart bei der Vorabpremiere der dritten Staffel seinem seit April amtierenden Fiction-Chef Hauke Bartel zurief: "Das musst du erstmal toppen!" Zumindest die Richtung macht dem "Club" alle Ehre: Erwartungen abstreifen und dahin gehen, wo einen bislang keiner vermutet.

Vox strahlt die dritte und letzte Staffel von "Club der roten Bänder" ab sofort montags um 20:15 Uhr in Doppelfolgen aus.