Rüdiger Böss hat eine enorme Leidenschaft für US-Serien - ein Genre, das zuletzt allerdings eher Leiden schafft. Niemand grantelt darüber so derbe aber herzlich wie er. Böss ist Executive Vice President Group Programming Acquisitions bei der ProSiebenSat.1 Media SE. Weniger förmlich: Der Rüdi, der kauft die Serien ein fürs ProSieben (und all die anderen Sender der Gruppe) - und das schon seit mehr als 25 Jahren. Das über die Jahre geprägte Hollywood-Image des Senders. es trägt seine Handschrift.



In den letzten zwei, drei Jahren jedoch haben so manche US-Serienerfolge beim Deutschlandstart Kopfschmerzen bereitet: Die Hip-Hop-Saga „Empire“ oder die gefeierte Familienserie „This is us“ funktionierten nicht wie erhofft. Balsam auf der Seele des Programmeinkäufers war da Anfang diesen Jahres der große Erfolg von „Young Sheldon“. Auch für „Will & Grace“ schlägt das Herz des Rüdiger Böss, doch der heutige Serienstart ist weitaus riskanter als das „Big Bang Theory“-Spinoff - und das Sommerwetter vorm Feiertag tut noch seinen Teil dazu.

Die vergangenes Jahr neu aufgelegte NBC-Sitcom über Will, seine beste Freundin Grace und ihre unausstehliche Assistentin Karen sowie seinen schwulen besten Freund Jack, lief in den USA ursprünglich von 1998 bis 2005 und war in Deutschland zunächst bei ProSieben, später bei Sat.1 zu sehen, wo die letzten Folgen der aufgrund schwacher Quoten zu nächtlicher Uhrzeit versendet wurden. In den USA wirkte die Ankündigung eines Comebacks der früheren Kultsitcom im vergangenen Jahr wie ein lange erhofftes Ventil für all jene, die in einem Land unter Präsident Donald Trump jeden Strohhalm ergreifen, um Dampf abzulassen. Das Comeback einer Sitcom war beinahe ein Politikum.

Mit so viel Bedeutung ist „Will & Grace“ bei uns nicht aufgeladen. Es wäre aber furchtbar schade, wenn das Publikum einmal mehr eine US-Serie verschmähen würde. „WIll & Grace“ ist erschreckend aktuell und schrecklich gut. Warum erschreckend? Nun, das Empörungspotential der Comedyserie im Jahr 2017 bzw. 2018 scheint nicht weniger groß ist als damals bei den ersten Staffeln. Einerseits hat sich gesellschaftlich bei der Akzeptanz von Homosexualität rund um den Globus viel getan in den vergangenen zwanzig Jahren, doch andererseits ist auch jemand wie Donald Trump US-Präsident geworden. Putin verbietet „Homo-Propaganda“ und Regenbogen-Symbol - und in Deutschland klagt z.B. Moderator Jürgen Domian in einem Kommentar über wieder zunehmende Homophobie.

Als hätte es die Pause nie gegeben

Das Feindbild von „Will & Grace“ ist aber klar der US-Präsident. An ihm und dem von ihm geprägten politischen Klima arbeiten sich die Autorinnen und Autoren von „Will & Grace“ mit einer aktuellen Wonne ab, die in der deutschen Fassung vielleicht ein bisschen verloren geht, weil mancher bei US-Erstausstrahlung erstaunlich zeitnahe Seitenhieb gut sieben Monate später nicht mehr so frech wirkt. Ein ähnliches „Übersetzungsproblem“ haben viele popkulturelle aber auch politische Referenzen. Doch von dem Transfer einmal abgesehen: Wie gut ist die Neuauflage nun?

Nach Sichtung der kompletten ersten Staffel lässt sich sagen: Es ist, als wenn es nie zwölf Jahre Pause gegeben hätte. Das ist äußerst bemerkenswert und wunderbar, wenn man damals schon Fan der Serie war. Einzig die erste Folge der Neuauflage wirkt ungewohnt fremd, weil die Story nach Washington ins Weiße Haus führt. Das funktioniert, aber lässt unter Umständen erst nach ein paar weiteren Folgen das gewohnte Gefühl in den altbekannten Sets aufkommen.

Will & Grace© 2017 NBCUniversal Media, LLC / Chris Haston

Die Dynamik zwischen den vier Hauptdarstellern ist unverändert und gewinnt durch das Altern der Charaktere sogar noch an Dramatik, schließlich ist - oberflächlich betrachtet - nichts so schlimm wie das Altern, ob für die beiden Damen oder die beiden schwulen Herren. Klischees wie diese bricht die Sitcom immer wieder. Mal derbe, mal spitz. Das Tempo der Dialoge schickt liebe Grüße an „Gilmore Girls“. Wo die erfolgreichsten Sitcoms sich nach Kräften um Zeitlosigkeit bemühen, um nicht nur bei Erstausstrahlung sondern auch später in Syndication oder im Ausland zu funktionieren - eine Qualität, die nicht nur ProSieben an den großen Serienerfolgen des Genres schätzt - beisst sich „Will & Grace“ am aktuellen Zeitgeist fest und reitet mit Vergnügen darauf rum.

Heimlicher Star der Serie ist und bleibt Graces reiche Assistentin Karen Walker, gespielt unverändert einzigartig von Megan Mullally. Sie hat in den früheren Staffeln der Sitcom schon im Minutentakt Meme-fähige Sprüche geliefert bevor es Social Media und Memes überhaupt gab. Die Rolle der Karen Walker war quasi der weibliche Vorläufer für Neill Patrick Harris’ Rolle des Barney Stinson: Ein vor Selbstbewusstsein strotzendes, wandelndes Lexikon für unvernünftige Lebensweisheiten. Und doch sind es nicht nur die Punchlines, über die sie und das Publikum (und Jack) dann wie wild gackern.

Die vielleicht bemerkenswerteste Folge der Neuauflage trägt den Titel “The Beefcake & the Cake Beef“. Es ist die 14. Folge der ersten neuen Staffel, höchst unklar also, ob das deutsche Publikum sie zu sehen bekommen wird, wenn zu wenige dem Angebot von ProSieben folgen und einschalten. In jener Folge will besagte Karen Walker einen besonderen Kuchen für die Geburtstagsfeier von Donald Trump anfertigen lassen. Doch die Konditorei verweigert ihr den Service. Die Thematik ist den schon mehrfach in den USA berichteten Fällen entlehnt, bei denen sich konservative Konditoren wiederum weigerten Hochzeitstorten für homosexuelle Paare zu gestalten - und verdreht sie so, dass tatsächlich eine Debatte darüber entstanden ist, wo die Grenze zwischen persönlicher Haltung und Diskriminierungsfreiheit verläuft.

Mit solchen Akzenten, klarer politischer Haltung und vielen aktuellen Referenzen ist es eine Sitcom mit Relevanz, die aber in erster Linie dank des Casts und guter Bücher das ist, was sie früher war: Ein großer Spaß mit einer unverändert hohen Portion von Witzen unterhalb der Gürtellinie. Als wären sie nie weg gewesen.

ProSieben zeigt "Will & Grace" mittwochs um 21:15 Uhr. Zum Start laufen gleich vier Folgen am Stück.