Die Konvergenz ist eines der Lieblingsthemen vieler Mediengattungen. Wenn sich Nutzung dauerhaft verlagert - ob von Print zu Online oder linearem TV zu Online - soll die viel beschworene Konvergenz versichern: Uns beunruhigt das nicht; wir sind dafür gewappnet. Das deutsche Privatfernsehen hält sich für konvergent - und belügt sich damit selbst. In ganz wesentlichen Punkten existiert keine Konvergenz. Es gibt drei große Herausforderungen, die in den kommenden Monaten und Jahren elementar werden für die Branche, wenn sie sich nicht selbst ihr Grab schaufeln will. In mehr als 16 Jahren DWDL.de gab es selten dramatischere Zeiten für das werbefinanzierte Fernsehen - und sie werden nicht besser, wenn man Probleme vertagt oder gar verkennt. Es sind Wahrheiten, die ausgesprochen werden müssen.



Dazu gehört die Schlachtung einer heiligen Kuh: Niemand kann noch glauben, dass die von der GfK im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Videoforschung (AGF) ermittelten Einschaltquoten eine glaubwürdige Größe für die Reichweite von Bewegtbild-Content sein kann. Das ist übrigens keine Behauptung von Medienjournalisten. Es ist hinter vorgehaltener Hand die Haltung vieler Sendervertreter, die sich als Mitglieder der AGF öffentlich aber nicht über die Glaubwürdigkeit der Reichweitendaten äußern wollen. Immer und immer wieder klagen Senderchefs seit zwei Jahren über dieses Problem. Nur in der Sparte wurde schon öffentlich rebelliert, denn je fragmentierter der Medienmarkt und seine Nutzung wird, desto weniger geeignet ist das begrenzte Panel der GfK für die Hochrechnung von Reichweiten kleinerer Spartensender.

Das viel größere Problem aber liegt in einem anderen Aspekt: Seit Jahren bastelt die AGF an einer Konvergenzwährung, um lineare und non-lineare Reichweiten zu kombinieren. Das ist unbestritten eine Mammut-Aufgabe, bei der man leider in zu kleinen Schritten vorwärts kommt. Bis heute wird keine konvergente Reichweite offen ausgewiesen - und das im 11. Jahr nach dem das ZDF 2007 mit der Einführung seiner Mediathek die non-linearen Nutzung befeuert hat. Gerade für Sender, deren Zielgruppen netzaffin sind, sind die AGF-Einschaltquoten inzwischen geschäftsschädigend, weil ein Großteil der Nutzung nicht erfasst bzw. veröffentlicht wird. „Love Island“ war beispielsweise für RTL II dank der OnDemand-Nutzung ein großer Erfolg - nicht aber laut veröffentlichten AGF-Daten.

Aus purer Verzweiflung kommunizieren diverse Marktteilnehmer längst auf eigene Faust teils allerdings abenteuerliche Online-Reichweiten, bei denen die Sender auf Nachfrage oft nicht einmal wissen, ob es gewichtete Reichweiten oder nur gezählte Videoviews sind. Es wird gefährlich für die Glaubwürdigkeit, wenn mit Zahlen jongliert wird wie auf dem Jahrmarkt. Nicht vergleichbare Zahlen erweisen dem Ziel einen Bärendienst. Während eine konvergente Reichweite der AGF vorerst noch ein kühner Traum bleibt, wäre die Einigung auf eine einheitliche Zählweise der Video-Nutzung im Netz ein erreichbares Minimalziel, um Vertrauen in die veröffentlichten Zahlen wiederherzustellen.

Die zweite Konvergenz, die noch nicht existiert, betrifft den Wert eines Zuschauers bzw. einer Zuschauerin: Wenn das deutsche Privatfernsehen regelmäßig mit einer gewissen Lässigkeit den Eindruck zu vermitteln versucht, es sei inzwischen egal ob man einen Zuschauer nun bei der linearen Ausstrahlung erreicht oder zeitversetzt über On-Demand-Angebote, belügt man sich selbst. ProSieben bzw. SevenOne Media kann beispielsweise Zuschauerinnen von Heidi Klums Modelsuche im Netz nicht annähernd so hochpreisig vermarkten wie lineare Zuschauerinnen. Die TKPs des linearen Fernsehens liegen auf einem weiter sehr stolzen Niveau (wie gerade auch erst die OWM beklagte), an das Werbung im Netz nicht heranreicht.

Aus strategischer Sicht noch dramatischer ist die fehlende Konvergenz der Marken. Kein Interview, keine Podiumsdiskussion, kein Hintergrundgespräch der vergangenen Monate verging, ohne dass ich mich mit den führenden Köpfen der beiden kommerziellen Sendergruppen in Deutschland über den Transfer ihrer Marken in die digitale Welt unterhalten habe. Es mag völlig anachronistisch erscheinen, im Jahr 2018 darüber zu sprechen. Sind die Mediengruppe RTL Deutschland und die ProSiebenSat.1 Media SE nicht längst im Netz? Irgendwie schon. Es gab auch schon allerlei Konzepte und so manche Kehrtwende. Eine schlüssige Strategie fehlt allerdings bis heute.

Zuletzt haben beide kommerziellen Sendergruppen im Digitalen neue Marken geschaffen, die die bestehenden linearen Angebote bündeln und um On-Demand-Angebote ergänzen sollen: In Unterföhring setzt man auf die Marke 7TV und hat mit Discovery sogar einen externen Partner, der sich - aus welchem Grund auch immer - mit der schon dem Namen nach ProSiebenSat.1-nahen Marke 7TV identifiziert. In Köln heißt das Pendant TV Now - ein generischer Name, so beliebig als wäre es eine dieser permanent auftauchenden illegalen Smartphone-Apps für TV-Streaming.

Sowohl 7TV als auch TV Now sind das Feigenblatt in jeder Diskussion über die Zukunftsfähigkeit des linearen Fernsehens. Mit den Apps sei man gerüstet und habe noch dazu die in der Tat aufregende Chance, sich direkt und ohne Provider an die Zielgruppe zu wenden. Viel dramatischer aber ist eine andere Konsequenz: Die über Jahrzehnte gepflegten Marken RTL, Vox, Sat.1 und ProSieben werden irrelevant - und das mit voller Absicht. In Köln und Unterföhring befindet man sich markentechnisch auf einem irren Kamikaze-Kurs. Die einst noch als so wichtig erachteten Sendermarken werden im Netz durch Dachmarken ersetzt, die keiner kennt.

Nehmen Sie doch einmal ihr Smartphone in die Hand und schauen sich die installierten Apps an. Die Chancen stehen gut, dass dort z.B. Netflix, Prime Video oder Sky installiert sind. Markennamen, die bei jeder einzelnen Handynutzung oder auch zuhause auf dem Smart TV immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Man braucht keinen Vortrag zur Wirkung um zu wissen: So entsteht Nähe zu Medienmarken. Wir alle können Netflix, Amazon oder Sky in unserer Hosentasche haben - konvergente Marken, die auf allen Screens unter der gleichen Marke agieren. Mit den Marken aus Köln und Unterföhring geht das nicht. Sie wurden mit Ansage degradiert.

Die Fragmentierung frisst ihre Kinder: Beide Sendergruppen haben in den vergangenen Jahren so viele Submarken im noch vergleichsweise begrenzten Wettbewerb des linearen Fernsehens gestartet, dass es nun die Frage zu beantworten gilt, wie sich diese Marken in den viel intensiveren Wettbewerb der non-linearen Nutzung transferieren lassen. Man könnte sich auf die wichtigsten Marken fokussieren oder aber unter neuen Dachmarken alles sammeln, so wie jetzt mit 7TV und TV Now geschehen. Dann bräuchte es aber größere Anstrengungen, diese noch unbekannten Marken auch zu ähnlicher Popularität zu führen wie einst die Sendermarken. Sonst sorgt man selbst dafür, dass die Konkurenz der Zielgruppe nicht nur sprichwörtlich näher ist.

Die Marken, die Wertigkeit, die Reichweite. Die Branche hat wichtige Hausaufgaben vor sich, um bei den kommenden Screenforce Days stets ein Stückchen konvergenter zu sein.

Am Mittwoch und Donnerstag stehen die Inhalte im Mittelpunkt: Das Medienmagazin DWDL.de wird live von den Screenforce Days 2018 in Köln berichten, hier auf der Website und via Social Media. Eindrücke der Präsentationen und exklusive Interviews werden die Vorstellungen der Programmhighlights ergänzen.