Für Millionen Schülerinnen und Schüler war am Freitag Zeugnis-Tag – und als sei das noch nicht genug, stellte RTL am Abend auch gleich noch ein "Zeugnis für Deutschland" aus. Oder besser gesagt: Das Publikum durfte bewerten, wie's zwischen Nordsee und Alpen, zwischen Grevenbroich und Görlitz so läuft mit Umwelt, Gesundheitssystem oder dem Miteinander im Land. Das erklärte Ziel: Zu wissen, "wo wir stehen in Deutschland", wie Moderatorin Barbara Schöneberger erklärt. Weil sich aber mit einer schnellen Abstimmung alleine noch keine Primetime-Show füllen lässt, hat der "Bildungssender" (Schöneberger) sicherheitshalber ein sechsköpfiges Promi-Panel wahlweise in die Ossendorfer "Pietro-Lombardi-Grundschule" oder die "Thorsten-Legat-Universität" (nochmal Schöneberger) gekarrt.

Und so sitzen nun also Günther Jauch, die Leichtathletin Malaika Mihambo, Nachrichten-Rentner Jan Hofer und die Spaßvögel Ilka Bessin, Oliver Pocher und Thomas Hermanns am überdimensionierten Pult und diskutieren über die verschiedenen Themengebiete, die ihnen die Redaktion vorgegeben hat – ganz so, als seien sie Gäste in einer "Hart aber fair"-Ausgabe im Schnelldurchlauf. Dabei hat jeder zu allem eine Meinung. Außer Thomas Hermanns, der der Nationalmannschaft die Bestnote vergibt, weil er, wie er sagt, "keine Ahnung von Fußball" hat. Warum auch immer man das bei RTL und der Produktionsfirma i&u für ein so wichtiges Thema hält, dass es direkt nach Bildung abgefrühstückt wird.

"Ich finde es lustig, dass gerade wir die Bildung bewerten", bringt Hermanns die Absurdität dieses Abends zuvor auf den Punkt. Getoppt wird das nur durch den Einstieg in die großen Themen, in denen jeweils ein Mitglied des Panels einen Nachrichtensprecher mimen muss, um die positiven und negativen Aspekte zu beleuchten – was auch deshalb unfreiwillig komisch ist, weil mit Ex-"Mr. Tagesschau" Jan Hofer ja ein echter Profi in der Runde saß, dessen Redeanteil beim Verlesen der Good und Bad News aber letztlich nicht größer war als der von Oliver Pocher oder Ilka Bessin. 

Zeugnis für Deutschland © Screenshot RTL

Grund zur Freude gibt es aus Sicht Deutschlands zunächst kaum. "Bisher liegen wir nicht gut hier", fasst Barbara Schöneberger nach fast einer Stunde die bis dahin vergebenen Zensuren zusammen. Kaum mehr als ein Ausreichend ist für Bildung und Nationalelf drin, und auch die Corona-Politik wird von den Beteiligten vor dem Fernseher und im Studio nicht gerade positiv gesehen. Nur kurz geht’s auf der Bühne kontrovers zu: Beim Thema Umwelt geraten Günther Jauch und Thomas Hermanns aneinander. Während der Quizmaster das Bemühen der Politik, umweltfreundlicher zu werden, mit einer soliden 3+ bewertet, hält der hauptberufliche Quatsch-Macher mit einer glatten 6 dagegen. Viel aufregender wird's nicht mehr.

Schönes Land, hässliche Jacken

Wie gut, dass Nachrichtensprecher Jauch kurz vor der ersten Werbepause das Augenmerk auf Urlaub in Deutschland lenkt, was geradezu überschwängliche Begeisterung auslöst. Tenor: Hach, wie schön wir es doch haben! So schleppt sich das "Zeugnis für Deutschland" also dahin – im Schweinsgalopp von Antisemitismus bis Darknet, von Krankenpflege bis W-LAN an Schulen. Positiv ist dabei, dass die Verantwortlichen der Show augenscheinlich darum bemüht sind, möglichst viele Aspekte der einzelnen Thema zu beleuchten. Dass es nicht nur eine Sicht auf ein Thema gibt, dürfte für manchen Zuschauer an diesem Abend vielleicht tatsächlich eine echte Erkenntnis sein.

Dennoch kommt das alles bisweilen erstaunlich spießig daher, und wer darauf hoffte, vor dem Dschungelshow-Finale möglichst leicht beschwingt ins Wochenende starten zu können, dürfte sich angesichts einiger ernsthafter Diskussion einigermaßen verwundert die Augen gerieben haben, ob das wirklich noch "mein RTL" ist. Wie gut, dass es kurz vor Schluss doch nochmal locker wird und Deutschlands Coolness zur Debatte steht – mit der Erkenntnis, dass wir uns mal schickere Jacken und Taschen zulegen sollten, ansonsten aber doch irgendwie ganz okay sind. 

Das gilt auch für das Endergebnis dieses Abends, den Barbara Schöneberger treffsicher als "anstrengende Lehrerkonferenz" zusammenfasst. Mit einer Durchschnittsnote von 3,3 wird das Land bewertet, und zwar sowohl das Publikum als auch die Promis. "Wir sind Durchschnitt", jubelt Schöneberger, ehe die Euphorie schnell der Ernüchterung weicht. "Da hätten wir die Sendung nicht machen müssen", ächzt die Moderatorin schließlich. Wer möchte ihr da widersprechen?