Das Jahr ist noch vergleichsweise jung, die verbliebenen Chancen dementsprechend zahlreich, aber die Primetime vom Montagabend war trotzdem eine überzeugende Bewerbung für den Tiefpunkt des Jahres bei Sat.1. Kurzfristig wollte der Sender mit der Sondersendung "Marlene Lufen: Deutschland im Lockdown" einen Debattenbeitrag zur Corona-Pandemie beisteuern, aber vergaß bei der Begeisterung über den viralen Erfolg von Marlene Lufens sachlich nicht ganz korrektem Instagram-Video doch glatt, dass es dafür auch etwas zu debattieren geben müsste.

Wenn sich Moderatorin, vier Studio-Gäste mit grundsätzlich nachvollziehbaren und ehrbaren Anliegen und dazu zahlreiche Einspieler in andächtiger Art einig sind und ein Thema erörtern, ohne dass dabei aber jene zu Wort kommen, die den täglichen Kampf gegen die Pandemie kämpfen oder den Lockdown erklären, entsteht weder eine Debatte noch eine spannende Sendung. Das ist ein Konstruktionsfehler schon vor Sendebeginn, der jeder Redaktion in der Vorbereitung hätte auffallen müssen - gut, außer vielleicht jener der "Letzten Instanz".

Den Eindruck zu erwecken, die restliche Berichterstattung der vergangenen Monate sei sonst so einseitig - um dann genau das gleiche zu tun. Darauf muss man erstmal kommen. Es ist noch dazu kein Journalismus, sondern fahrlässige Irreführung, wenn man - wie Sat.1 und die Produktionsfirma MAZ&More an diesem Montagabend - versucht, den Lockdown von der Pandemie zu trennen, als gäbe es keinen Anlass. "Welche Auswirkungen der Lockdown auf unser Leben hat", wolle sie diskutieren, erklärte Lufen, die übrigens selbst ihr wortgewaltigster Gast war.

Sie hätte die Moderation besser einer Kollegin oder einem Kollegen überlassen sollen, eben weil ihr die Thematik spürbar am Herzen liegt und sie selber mehr reden als zuhören wollte. Das ist legitim, aber eine Journalistin hätte der Sendung gut getan, auch um den "harten Lockdown" in Deutschland mal international in Relation zu setzen. Das übernahm im Verlauf des Abends dann ein User-Kommentar aus dem Netz, der Verhältnismäßigkeit mahnte. Aber dazu gleich mehr.

Immer wieder ist es in der Sendung der Lockdown, der an allem Schuld sei, nicht etwa eine Pandemie und die gemeinsame Anstrengung, sie einzudämmen. Nun: Es ist menschlich nachvollziehbar, sich für die Wut, die Ungeduld und die Verzweiflung angesichts der schwierigen und unüberschaubaren Lage einen greifbaren Feind suchen zu wollen. Einen politisch beschlossenen Lockdown kann man eben so wunderbar weg diskutieren, was bei einer Pandemie ungleich schwieriger ist, und immerhin darin waren sich alle einig: Die Pandemie ist real. 

Dem Wunschkonzert von manchen ehrbaren Forderungen aus dem Studio, Kommentaren in sozialen Netzwerken und Einspielern setzte aber niemand die banale Frage entgegen, ob temporäre Unannehmlichkeiten diverser Natur nicht dem Tod vorzuziehen seien. Es ist halt bitter: Dem Populismus wohnt das Fehlen jeder Verhältnismäßigkeit inne. So arbeitete sich die Sendung am Lockdown ab, ohne dass eine Krankenschwester, ein Pfleger oder eine Oberärztin aus den Kliniken in gleichem Maße berichten konnten, um dem Publikum die Chance zu geben, eine Verhältnismäßigkeit der Probleme herzustellen. Wäre es nicht kurz ums Impfen gegangen, hätte man denken können, das Gesundheitswesen der Republik dreht seit einem Jahr Däumchen.

Dafür versuchte man sich in Legendenbildung. Immer wieder wurde der Eindruck erweckt, es sei dieser vermeintlich mutigen Sat.1-Sendung zu verdanken, dass nun endlich einmal über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Psyche aller, auf Kinder, Familien und wirtschaftliche Existenzen habe. So als seien die wirtschaftlichen Folgen aber eben auch die Belastungen für Kinder und Eltern nicht regelmäßig. Die "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen"-Mentalität des MAZ&More-Programmgeschäftsführers Claus Strunz lässt grüßen. Opportun Nischen im Diskurs suchen und besetzen. Wer sich bislang gefragt hat, warum Seven.One Entertainment in Unterföhring eigene Redaktionen für Aktuelles aufbauen will, hat jetzt seine Antwort.

Die Krönung kam dann aber zum Schluss: Am Ende der 80-minütigen Sendung wünscht sich Marlene Lufen zur Verabschiedung, dass wir uns doch bitte gegenseitig zuhören mögen und auch anderen Meinungen Gehör schenken sollten. Ja, diese Erkenntnis hätte ihr und dieser Sendung im Vorfeld sehr gut getan, denn Vielfalt an Perspektiven fehlte dieser Sondersendung, die zur Ohrfeige für alle wurde, die an vorderster Front gegen diese Pandemie und für ihre Mitmenschen kämpfen. So empathisch Gastgeberin Lufen auch ist - mit dieser Sendung hat sie leider nicht versöhnt, sondern gespalten. 

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