Endlich wieder Screenforce Days. Nach der corona-bedingten Absage im vergangenen Jahr findet das Event der TV-Branche in diesem Jahr wieder statt. Weil die globale Pandemie es aber noch immer nicht anders zulässt, läuft 2021 alles digital ab. Und Moderator Wolfram Kons wusste bei der Opening Session der diesjährigen Screenforce Days auch gleich die Vorteile dieser Vorgehensweise zu betonen: Endlich gebe es "keine Transpiration", sagte Kons im Hinblick auf die Tatsache, dass in Normalzeiten wohl rund 3.000 Menschen im Studio gesessen hätten, um sich die Veranstaltung anzusehen - meist bei sommerlich hohen Temperaturen. 

Es würden Screenforce Days, wie es sie noch nie gegeben habe, erklärte Kons gleich zu Beginn. Übertrieben hat er damit natürlich nicht: Durch die fehlende Präsenz vor Ort fehlt das Networking und damit ein wichtiger Aspekt der Screenforce Days. Aber man muss eben das beste aus der Situation machen. Ob das tatsächlich gelingt, wird man wohl erst nach Abschluss der Screenforce Days bewerten können. Fest steht: Bei der Auftaktveranstaltung hätte es noch durchaus Luft nach oben gegeben. 

Während Wolfram Kons wie gewohnt locker und mit Witz durch den ersten Teil der Eröffnung führte, wurde es dann recht schnell zäh. Screenforce-Geschäftsführer Malte Hildebrandt bedankte sich zunächst bei seinem Vorgänger Martin Krapf und erklärte, wie die kommenden Tage aussehen werden. Was dann aber folgte war Frontalunterricht, wie ihn auch zahlreiche Schülerinnen und Schüler in den vergangenen Monaten digital erleben mussten. Hildebrandt sprach zum Thema "The Magic of Total Video" und man spürte ziemlich viel, nur keine Magie. 

Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Zehn Minuten lang erklärte der Screenforce-Geschäftsführer, wieso das Medium Fernsehen nach wie vor stark und - natürlich - für die Werbekunden kaum verzichtbar sei. Sechs Punkte sollten das verdeutlichen. Diese zeigten dann aber vor allem, wie schwierig es ist, die verschiedenen Vermarkter sinnvoll unter einen Hut zu bekommen. Als Hildebrandt über Innovationen im Programm sprach, war hinter ihm ein Foto von "Die Höhle der Löwen" zu sehen - einem Format, aus dem ohne Frage immer wieder innovative Produkte kommen. Die Sendung selbst ist aber schon sieben Jahre alt. Als der Screenforce-Geschäftsführer über gesellschaftspolitische Verantwortung der Sender sprach, war ausgerechnet das Logo von Sky Sport News eingeblendet und als Hildebrandt erklärte, TV-Sendungen würden aktuelle Geschehnisse einordnen und "verlässlich bewerten", war hinter ihm das Logo der ServusTV-Sendung "Corona Quartett" zu sehen. Dieses Format hat nun wirklich alles gemacht außer Dinge seriös einzuordnen und zu bewerten. Auf Plausibilität hat diese Präsentation wohl niemand vorab geprüft - Hauptsache alle Sender kommen einmal irgendwie drin vor. 

So wirkte dieser Teil der Opening Session merkwürdig zusammengewürfelt und die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit war riesengroß. Auch die Darbietungsform als Frontalunterricht ist vermutlich nicht der beste Weg gewesen, um die Vorteile des eigenen Mediums anzupreisen. Im Anschluss durfte dann Sascha Lobo erzählen, wieso aus seiner Sicht dem Medium Fernsehen eine Kraft innewohnt, die er selbst nicht erwartet hätte. Lobo beschrieb drei Säulen, auf denen das Potenzial von TV ruhe: Das Live-Gefühl, der Community und der Inszenierung und Eventisierung. 

 

"Die Kraft des Fernsehens liegt nicht in der Wiederholung von Inhalten, weil man in Cannes günstig Rechte geschossen hat."
Sascha Lobo

 

Lobo spracht darüber, wie wichtig Live-Events für das Fernsehen sind und die Ironie an dieser ganzen Sache ist wohl, dass dieser Talk aufgezeichnet war. Das merkt man immer dann, wenn bestimmte Schnitte besonders heftig sind. Hier machen Fernsehmacher ein Programm, das sie wohl niemals so über den eigenen Sender gehen lassen würden. Für Screenforce hat’s offensichtlich gereicht. Sascha Lobo gab sich aber nicht mit der Rolle des unabhängigen Experten zufrieden, der nur Gutes zu berichten hatte. Das Fernsehen müsse selbstbewusster die eigenen Stärken ausspielen, sagte er und verwies darauf, dass es künftig immer unwichtiger werde, bei welchem Sender Kinofilme aus dem letzten Jahr zu sehen sind. 

"Die Kraft des Fernsehens liegt nicht in der Wiederholung von Inhalten, weil man in Cannes günstig Rechte geschossen hat", so Lobo. Er glaube nicht, so der Journalist und Digital-Experte, dass Netflix mittelfristig eine Katastrophe für lineare TV-Sender sein muss. Dazu müssten sich aber eben auch die Sender bewegen. Lobo vergleicht die Situation des Fernsehens mit denen von Geschäften an einer Straße. "Die allermeisten Menschen finden gut, dass es sie gibt und gehen auch rein. Früher aber brauchte es einen Grund, um im Internet zu bestellen. Heute wird alles im Internet bestellt." Aber auch heute würden Menschen, auch Jugendliche, noch in Geschäfte gehen. Man müsse weiterhin etwas Besonderes bieten, so Lobo. 

Vermarkter-Talk hätte mit Gästen gut werden können

Zum Abschluss der Opening Session der diesjährigen Screenforce Days gab es einen Talk mit den Vermarktern Matthias Dang (Ad Alliance), Thomas Wagner (Seven.One Media) und Elke Schneiderbanger (AS&S). Doch auch hier nutzte man nicht das Momentum, das in der Branche derzeit Land auf und Land ab beschworen wird: Das Live-Momentum. Stattdessen gab es einen voraufgezeichneten Talk, bei dem hüftsteif über die Vorteile des Mediums gesprochen wurde und bei dem jeder erzählen kann, wieso gerade das eigene Angebot unschlagbar ist. Wie spannend das Gespräch hätte werden können, zeigte sich, als man Fragen von OWM-Geschäftsführerin Susanne Kunz und OMG-Chef Klaus Peter Schulz einspielte. 

Warum gibt es bislang noch keine nationale Plattform für TV- und Video-Inhalte? Was setzen die Vermarktern den stark wachsenden US-Anbietern entgegen? Wann gibt’s endlich eine integrierte Reichweitenmessung, bei der alle relevanten Player an Bord sind? Und mit welcher Strategie wollen die Vermarkter dem grundlegenden Wandel des Zuschauermarktes begegnen? Es waren Fragen wie diese, über die leidenschaftlich debattiert hätte werden können. Stattdessen wurden all diese Punkte schnell abgefrühstückt, ohne dass Kunz oder Schulz die Chance hatten, an der Diskussion teilzunehmen, um möglicherweise weitere Fragen zu stellen. Sie meldeten sich lediglich vorab in einem kurzen Video zu Wort. Die Vermarkter blieben lieber unter sich. 

Leidenschaftlich wurde es unter den drei Vermarktern nur einmal kurz, als Elke Schneiderbanger auf die Vermarktung der Mediathek zu sprechen kam. Das ist ihr derzeit laut Gesetz nicht erlaubt - und deshalb muss sie dieses Feld den Privaten überlassen. "Leider Gottes" könne man die Mediathek nicht zur Vermarktung nutzen, so Schneiderbanger, der die Enttäuschung in diesem Punkt ins Gesicht geschrieben stand. Ganz im Gegensatz zu Matthias Dang, der naturgemäß die Position vertritt, dass es gut sei, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihre Mediatheken nicht vermarkten dürfen. 

Von Magie keine Spur

Am Ende waren sich sowohl Schneiderbanger und Dang als auch Thomas Wagner einig bei ihrem Ausblick in die Zukunft. Alle Vermarkter sind optimistisch und erwarten eine Wiederbelebung des Marktes. "Die Kunden scharren mit den Hufen", sagt Elke Schneiderbanger. Und auch Dang ist davon überzeugt, dass die Werbung wieder stark anziehen wird. So sei es auch schon in anderen Ländern passiert. 

Eine Bewerbung bei den Werbekunden war die Opening Session der Screenforce Days allerdings keine. Zwar wurde viel von Emotionen und Events gesprochen, gezeigt wurde aber das genaue Gegenteil. Einstudierte Sätze und Floskeln, mit denen man nicht im Ansatz das widerspiegelte, was man den Zuschauern - und damit auch den Werbekunden - eigentlich verspricht. Von "Magie" war zum Auftakt der Screenforce Days 2021 jedenfalls wenig zu spüren. Dann doch lieber wieder Transpiration mit 2.999 anderen Branchenvertretern im Studio.