Vampire haben wie die meisten Leinwandmonster kein allzu positives Image. Seit Friedrich Wilhelm Murnaus stummem Meisterwerk "Nosferatu" durften sich Dutzende Film- und Fernsehversionen von Bram Stokers Schauerroman "Dracula" in 99 Jahren zwar vom virilen Jungfrauensauger mit Samtumhang (Christopher Lee) bis zum noch virileren Jungfrauenversteher mit Sonnenbrille (Gary Oldman) auch charakterlich weiterentwickeln; im Zweifel allerdings sucht man dennoch am besten das Weite, falls die Untoten nahe sind.

Sofern das denn geht.

Flugzeuge über den Wolken nämlich sind definitiv die denkbar schlechteste Orte, um einem Vampir zu entkommen – selbst, wenn er weder viril noch männlich ist, sondern wie im Netflix-Thriller "Blood Red Sky" eine Mutter mit Kind und demnach wenig Appetit auf Jungfrauen verspürt. Die Frau heißt Nadja, und man verrät an dieser Stelle nicht zu viel, ihre Hauptrolle nach kurzer Fastenphase als ausgesprochen kunstblutdürstig zu bezeichnen – was angesichts eines Horrorfilms mit weitaus höherem Kunstblutverbrauch als jede Krankenhausserie seit "Emergency Room" schon mal bemerkenswert ist.

Nadja also, gespielt von Muriel Baumeisters sehr wandelbaren Halbschwester Peri, besteigt gemeinsam mit dem zehnjährigen Elias (Carl Koch) ein Flugzeug nach New York, das – auch hier wird im Grunde bloß angedeutetes Handlungshalbwissen der ersten fünf Filmminuten gespoilert – kurz darauf in die Hände skrupelloser Terroristen fällt. Vom Zeitpunkt seiner viel späteren Landung aus, zeigt uns Regisseur Peter Thorwarth im Rückblick nach eigenem Drehbuch, was bis dahin geschah. Und das ist, gelinde gesagt, in vielerlei Hinsicht ganz schön unverdaulich.

Gespickt mit einer Reihe internationaler Stars vom Engländer Dominic Purcell ("Prison Break") über den Schotten Graham McTavish ("Preacher") bis hin zum Dänen Roland Møller ("Sløborn"), mündet die Entführung nämlich nach gut 30 von fast 120 Minuten Laufzeit im epischen Gemetzel zwischen den noch Lebenden und der längst Toten, an dessen Ende die Maschine auf dem Rollfeld steht – und hier wird jetzt aber wirklich mal nichts mehr verraten. Nur so viel: Bis dahin werden die Wesenszustände unzähliger Terroristen und Passagiere so massiv verändert, dass Nadjas Randgruppe an Bord die Mehrheitsverhältnisse sprengt.

"Blood Red Sky" ist daher ein wilder Ritt aus Tarantinos meisterhaftem Vampir-Trash "From Dusk Till Dawn" und dem mittelmäßigen Action-Unfug "Con Air", die Ende der 90er Jahre Publikumserfolge ähnlich brutaler und doch grundverschiedener Genres waren. Für optische Überzeugungsarbeit sorgen dabei vor allem der mehrfach oscarprämierte Maskenbildner Mark Coulier ("Grand Budapest Hotel") und sein Kameramann Yoshi Heimrath, der zuletzt Burhan Qurbani Fassbinder-Remake "Berlin Alexanderplatz" veredeln half. Inhaltlich dagegen, nun ja – ist es eben ein aufgeplusterter Genre-Schinken für Horror-Fans, der den Beteiligten sämtlicher Filmgewerke gewiss mordsmäßigen Spaß bereitet haben dürfte, ansonsten aber belanglos bleibt.

Und das trotz einer echten Innovation. Vampire sind hier nämlich mitnichten kaltherzige Todfeinde unfreiwilliger Blutspender in spe, sondern die irgendwie Guten. Kurz zumindest und auch nur, weil die richtig Bösen aber auch mal sowas von fies sind wie Alexander Scheers psychopathischer Terrorist Eightball, der erkennbar Lust am Quälen hat – was direkt zum größten Makel dieser Netflix-Produktion führt. Denn so brüchig der mütterliche Vampir hier gezeichnet wurde, so plakativ sind die anderen Charaktere bis hin zum sympathischen Vermittler Farid (Kais Setti).

Wer also Metaebenen finden möchte, ein wenig von der sprichwörtlichen Konsum- und Kapitalismuskritik zum Beispiel, die besonders das Boom-Genre Zombie-Apokalypse vielfach durchweht, vom erotischen Suspense der frühen Vampirstoffe ganz zu schweigen, sucht hier (leider) vergebens. Hochaufgelöst und perfekt choreografiert, verpasst Regisseur Thorwarth die Chance, aus diesem Clash of Civilizations ein dystopisches Kammerspiel zu machen. Stattdessen gerät "Blood Red Sky" allenfalls zum Schlachtengemälde auf engstem Raum, dessen klaustrophobische Aura allerdings allzu oft in Shutter-Technik und Monster-Gebrüll erstickt.

Da waren Dracula-Adaptionen bei allem Feminismus dieser Fassung auch hierzulande schon mal weiter. 1970 zum Beispiel als der "Lindenstraßen"-Schöpfer Hans W. Geißendörfer die Studentenbewegung jener Tage ins Blutsauer-Kunstwerk "Jonathan" überführte. Oder auch Werner Herzogs "Nosferatu"-Remake, in dem Klaus Kinski seinem Graf Dracula neun Jahre später eine so fiebrige Nervosität verliehen hatte, dass sie Francis Ford Coppola als Vorbild der kommerziell erfolgreichsten Fassung von 1992 diente.

Von Metaebenen dieser Art ist der von RatPack produzierte Film "Blood Red Sky" hektoliterweise Kunstblut entfernt – allerdings vor allem deshalb, weil Netflix daran ersichtlich null Interesse zeigt. Das ist okay; wer soliden Horror auf höchstem Produktionsniveau ohne Tiefgang wünscht, wird hier absolut instinktsicher bedient. Wem die gesammelten Klischees aus Terrorismusthriller und Gruselschocker hingegen zu oberflächlich sind, sollte die Originale schauen.

"Blood Red Sky" steht ab Freitag, 23. Juli bei Netflix zum Abruf bereit.