In der aktuellen "Spiegel"-Ausgabe sorgen sich Anja Rützel und Christian Buß um das deutsche Privatfernsehen. "Auf lange Sicht schaffen sich RTL, Sat.1 und ProSieben selbst ab", schreiben sie am Ende ihres langen Artikels, der sich mit der Retro-Welle befasst, die aktuell die Programme flutet. Jüngstes Beispiel ist die ebenso gelungene wie liebevolle Neuauflage von "Der Preis ist heiß", die an diesem Mittwoch bei RTL in direkter Konkurrenz zu "TV total" lief, das wiederum schon einige Monate zuvor von ProSieben auf den Bildschirm zurückgeholt wurde.

Ein Fernsehen, das manisch in die Vergangenheit blicke, werde den Weg in die Zukunft nicht finden, mahnen Rützel und Buß und berichten von der Generation 50 plus, die das Medium für Werbekunden attraktiv halten soll. Da ist vom "Boomer-Melken" die Rede oder von "Entmumifizierungen" altbekannter Formate, weil das TV-Publikum immer älter werde und jüngere Menschen im Gegensatz dazu lieber streamen. 

Tatsächlich muss der Blick auf die Reichweiten in der einst so begehrten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen die TV-Verantwortlichen nachdenklich stimmen. Selbst Quoten-Hits wie "The Masked Singer" tun sich inzwischen schwer, eine Millionen-Reichweite zu erzielen, und am Dienstag gelang es neben der "Tagesschau" einzig "Joko & Klaas gegen ProSieben", mehr als eine Million Menschen unter 50 anzusprechen. Dass die Privatsender also zunehmend auf die Älteren schielen, erscheint vor diesem Hintergrund nur konsequent.

Es ist ja zweifelsohne richtig, dass RTL & Co. nicht aufhören sollten, sich innovative Formate zu auszudenken. "Wer stiehlt mir die Show?" etwa stellte im vorigen Jahr eindrucksvoll unter Beweis, wie eine zeitgemäße Weiterentwicklung des Quizshow-Genres aussehen kann. Und doch muss es kein Widerspruch sein, wenn sich das Fernsehen parallel dazu auch auf bewährte Konzepte besinnt. "Der Preis ist heiß" sei letztlich "wie Monopoly in der Spielesammlung", sagte Thorsten Schorn, der in der Gewinnshow den Announcer gibt, gerade erst im DWDL.de-Interview. "Es sind nun mal doch die Klassiker, die alle begeistern."

Geh aufs Ganze © Sat.1/Frank Hempel Nach dem erfolgreichen Comeback hat Sat.1 bereits weitere Folgen von "Geh aufs Ganze!" mit Jörg Draeger bestellt.

Die Frage ist daher vielmehr: Warum sind zahlreiche, beim Publikum beliebte Formate überhaupt aus dem Programm genommen worden, obwohl Millionen zusahen, wenn am Glücksrad gedreht wurde oder sich Familien duellierten. Dass es auch anders geht, zeigt der Blick über den Fernseh-Tellerrand: "The Price is right" etwa, das US-Original von "Der Preis ist heiß", läuft gerade im 50. Jahr in Folge, und "Jeopardy" wird seit 1984 täglich ausgestrahlt. Anders als die deutschen Fernsehmacher waren sich die Amerikaner also nie zu schade, in der Daytime ein Programm anzubieten für jene, die den größten Teil des Publikums ausmachen: Eine ältere Zuschauerschaft.

Macht sich nun auch hierzulande ein Umdenken breit? Möglich - denn es scheint, als befänden sich die hiesigen Privatsender aktuell auf einer Art Sinnsuche. Mit "Der Preis ist heiß" und "Geh aufs Ganze!" haben RTL und Sat.1 gerade zwei TV-Klassiker frisch poliert zur Primetime-Show aufgeblasen. Was jedoch noch fehlt, ist der Mut, diese Sendungen auch tagsüber wieder auszuprobieren, also auf jenen Zeitschienen, auf denen sie streng genommen am besten aufgehoben wären. Denn so schön das Wiedersehen mit Jörg Draeger und Harry Wijnvoord auch ist: Als große Abendsendungen taugen die kleinen, aber feinen Dauerwerbesendungen eigentlich nur bedingt.

Was als Halb- oder Einstünder am Vormittag oder Vorabend funktioniert, wirkt in XXL-Versionen um 20:15 Uhr stellenweise langatmig, auch wenn insbesondere "Der Preis ist heiß" dank schneller Schnitte Tempo hat und über weite Strecken hinweg zu unterhalten weiß. Doch nach zwölf Spielen, drei Runden am Rad, einem Finale und unzähligen Produktvorstellungen könnte sich im heimischen Wohnzimmer auf Dauer Erschöpfung breit machen. Warum also keine Rückkehr ins Tagesprogramm? Gut möglich, dass es eine Frage der Kosten ist. An potenziellen Sendeplätzen würde es jedenfalls nicht mangeln, denn wahr ist angesichts so mancher Quoten-Todeszone in der Daytime eben auch: Auf vielen Zeitschienen haben sich die großen Kanäle schon jetzt gefühlt abgeschafft.

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