Deutsche Helden haben es schwer. Nicht erst im Zeitalter des Postheroismus lässt sie das Publikum gern mit fast gotteslästerlicher Innbrunst fallen. Und selbst der Sport, mangels Dichter, Denker, Krieger das letzte Reservoir massentauglicher Idole, begräbt seine Stars bei anhaltendem Misserfolg schneller, als sie „unsterblich“ sagen können. Nur eine Fanbase hält ihnen unverbrüchlich die Treue: Verantwortliche handelsüblicher Biopics.

Max Schmeling, anders als viele denken niemals Weltmeister, wird in der gleichnamigen Kinoschnulze mit Henry Maske vom Faust- zum Widerstandskämpfer. David Kross spielt den entnazifizierten Fußballtorwart Bert Trautmann als antifaschistischen Romantiker. Boris Beckers Filmporträt „Der Rebell“ endet netterweise nach zwei Wimbledon-Siegen, also vor Besenkammer-, gar Knastbesuchen. Und Thomas Schadt schaffte es, Franz Beckenbauer frei von Korruption oder Katar-Blindheit dokumentarisch zu huldigen. Was ein Sky-Original nun fiktional fortsetzt.

Hier wird „Der Kaiser“ nicht zur makellosen, aber mustergültigen Chiffre fußballerischer Träume zweier Generationen, an der Autor Martin Rauhaus und Regisseur Tim Tragesser in 100 Minuten nur dann kein gutes Haar lassen, wenn es sich im Geheimratseck ihrer Titelfigur mehr und mehr lichtet. Bis dahin aber feiern sie ihr Biopic-Objekt mit einer bairisch-katholischen Bereitschaft zum fiktionalen Ablasshandel, die es Beckenbauers Kritiker:innen zu Berge stehen ließe.

Nach einleitendem Abstecher als Trainer zur italienischen WM, an deren Ende er mit sich und dem Titel mutterseelenallein übers Grün schreitet, fliegt dieses Biopic 27 Jahre rückwärts zum 18-jährigen Azubi, der dem Allianz-Kollegium beim Balancieren einer Zigarettenschachtel sein Ballgefühl präsentiert. Ein Künstler ist er halt, der Franz, so lernen wir hier. Ein Träumer ebenso, das lehrt uns ein anschließender Schwenk ins Mutters Küche, wo er Beckenbauer sen. vergebens vom Berufswunsch Fußballer überzeugen will.

Beim Kicken, Balzen, Siegen zeigt der Junior sodann in quietschbunter Sechziger- bis Siebzigersaftigkeit, dass er auch ein Schlawiner ist, ein Charmeur, ein traditionsbewusster Regelbrecher auf dem steilen Weg nach oben – so erleben wir ihn vom Augenblick an, da „Der Kaiser“ im Olympiastadion 1990 die vierte Wand durchbricht und zum Sky-Publikum 2022 spricht, um mit den Worten „zweimal Weltmeister, amoi als Spieler, amoi als Trainer, aber fast wärs nix g’woadn“ ins Jahr 1963 zeitreist, wo alles begann. Und wie es erst weitergeht!

Beckenbauers fiktionaler Ritt durch einen Parcours verbriefter Weltsportereignisse ist Historytainment der üppigsten Art. Hauptdarsteller nominell: Klaus Steinbacher als Franz in Jung plus Alt im Kreise dekorativer Frauen von Terese Rizos (Brigitte Schiller) bis Christine Eixenberger (Sybille Beckenbauer), mit denen er insgesamt fünf Kinder hat und jede Menge Trennungsscherereien. Im Herzen ein Filou, der Franz, aber welch ein Genie am Ball faszinierender Fußballzeiten! Weshalb die wichtigsten Charaktere auch nicht vor der Kamera agieren, sondern dahinter.

Allen voran der Kostümbildner Matthias Vöcking und die Requisiteure von Propscom (Kleidung) oder Sonnewald (Dinge). Sie machen den Kaiser selbst im oberflächenverliebten Zeitgeschichtsfernsehen deutscher Prägung außergewöhnlich museal. Perücken und Polyesterpullis, Wandschmuck und Mittelklassewagen, Sekretärinnen und Seeler/Breitner/Maier – alle(s) wurde(n) auf Vintage gebürstet, bis die Archivaufnahmen zentraler Spiele (Wembley! München!! Rom!!!) moderner wirken als ihre Nachstellungen.

„Wer 110 Szenen dreht, bei denen fast immer Beckenbauer zu sehen ist, bringt es nie zur Deckungsgleichheit mit dem Original“, sagt Martin Rauhaus im DWDL-Gespräch, „aber mein Anspruch ist es, bei aller Unterhaltsamkeit genau zu sein“. Leider hat sein Regisseur die Sache mit der Genauigkeit offenbar so verstanden, dass er Frisuren und Sets oft wie Bauerntheater dekoriert – was allerdings nicht halb so streng riecht wie die Entscheidung, alle Arbeiten am Filmdenkmal ausgerechnet dann einzustellen, als es sich selbst zerkratzte.

Weil er bis 1990 nie hingefallen sei, nennt Tim Trageser das Porträt im Zoom-Doppel mit dem Autor zwar „mehr Heldengeschichte als Sportlerdrama“ und erklärt das Happyend auch damit, die Hauptfigur nicht weitere zehn Jahre altern lassen zu können, ohne sie auszuwechseln; dass für das gekaufte Sommermärchen oder menschenverachtende Katar-Kommentare kein Platz mehr war, ist jedoch weit mehr als ein Makel auf dem Mantel dieser kurzweiligen Filmbiografie. Da hilft es auch nichts, dass Trageser und Rauhaus Fehl und Tadel ihres Jugendidols – beide sind oder waren Bayernfans – durchaus Raum bieten.

Der Kommerzialisierung etwa, verkörpert durch des Kaisers Adjutant Robert Schwan (Stefan Murr), der ihn zur Steuerflucht animierte und die Geldgier im braven Franz wachrief, obwohl der doch – das legt Steinbachers Lausbubenlächeln nahe – nur spielen will. Nur: wenn es gut läuft, ist er das Subjekt eigener Stärke, wenn nicht, das Objekt fremder Schliche. Über den Graubereich hätte Trageser zwar gern persönlich mit ihm geredet, „aber er wollte seine Ruhe“. Also beschränkt sich auch dieses Biopic auf Maskeraden, die realer sein wollen als die Realität und damit so tiefgründig sind wie ein Panini-Album. Aber gut, auch darin fehlen letztlich immer einige Bilder, und meistens jene, die man sich besonders wünscht…

"Der Kaiser" läuft am Freitag, 16.12. um 20:15 Uhr auf Sky Cinema Premieren und ist auf Abruf bei SkyQ/Wow verfügbar.