Mit dem langen Atem ist das manchmal so eine Sache. Im Fernsehen wird häufig über ihn gesprochen, aber wenn er wirklich benötigt wird, geht den Verantwortlichen nicht selten schneller die Puste aus als sie es selbst für möglich gehalten hätten. In bester Erinnerung ist noch die Aussage des früheren Vox-Chefredakteurs Kai Sturm, der 2009 anlässlich des neuen Klatschtalks "Frauenzimmer" erklärte: "Das ist keine Programmierung, die man nach zehn Tagen wieder umschmeißt. Das ist etwas, was langfristig etabliert werden muss." Am Ende hielt der Sender immerhin vier Wochen durch, ehe die Show wegen schlechter Quoten abgesetzt wurde.

Heute, 14 Jahre später, jubelt Vox über zahlreiche Erfolge im Nachmittagsprogramm - und so bitter die Enttäuschung über das damalige Aus gewesen sein mag, so glücklich können sich Sturms Nachfolger heute schätzen, das "Frauenzimmer" einst hinter sich gelassen zu haben. Natürlich gibt es Gegenbeispiele: Die "heute-show" etwa entwickelte sich erst Schritt für Schritt zu dem Hit, der sie heute ist, und bevor "Berlin - Tag & Nacht" bei RTLzwei zwischenzeitlich zum Überflieger avancierte, fielen die Quoten anfangs arg ernüchternd aus. Wie lange der Atem sein muss, um Formate doch noch zum Erfolg zu führen, gilt es daher sorgsam abzuwägen. 

Daniel Rosemann © Seven.One Daniel Rosemann ist sowohl für ProSieben als auch Sat.1 verantwortlich.
Von einer ausgesprochen ansehnlichen Länge ist Daniel Rosemanns Atem. Mit "Zervakis & Opdenhövel. Live" und "Volles Haus!" hat der Doppel-Senderchef sowohl bei ProSieben als auch Sat.1 zwei Formate gestartet, bei denen schon von Beginn an davon ausgegangen werden musste, dass sich der Erfolg nicht auf Anhieb einstellen würde. Hier ein zweistündiges Live-Journal mit Doppelmoderation in der Primetime, das Moderator Matthias Opdenhövel einst mit den Worten "Alles ist möglich" ankündigte, dort eine dreistündige Live-Strecke mit Doppelmoderation im Nachmittagsprogramm, die ominös als "Alles-in-einer-Show" beworben wurde.

Die Bilanz ist ernüchternd, nicht nur, weil die Quoten enttäuschend bis verheerend sind. Tatsächlich eint Rosemanns Prestige-Projekte noch mehr: In beiden Fällen dauerte es nur wenige Wochen, bis mehr oder weniger große Veränderungen vorgenommen wurden. Den Sendeplatz etwa mussten Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel bei ProSieben schon nach einem Vierteljahr wechseln, "Volles Haus!" hielt in Sat.1 sogar nicht einmal drei Monate durch, ehe die letzte Stunde gestrichen wurde - vorerst, wie es heißt. "ZOL" konnte sich jüngst zwar auf mehr als acht Prozent steigern, halbierte jedoch erst an diesem Mittwoch wieder den starken "TV total"-Marktanteil - und das, obwohl die Sendung in den meisten Fällen kaum noch länger als 45 Minuten dauert. Das wiederum wirft allmählich die Frage auf, ob es dafür tatsächlich zwei prominente Menschen braucht, die Beiträge ansagen und Interviews führen.

Dazu kommt, dass das vollmundig angekündigte Journal nur selten für Aufsehen sorgt. Die großen Schlagzeilen liefern andere und Rosemanns anfängliche Hoffnung, wonach sich "Zervakis & Opdenhövel. Live" zu einer "Institution" mausern soll, erfüllte sich bislang nicht. Im Gegenteil: Mit im Schnitt kaum mehr als sechs Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen erweist sich die Sendung selbst in gestraffter Form nach dem Zugpferd "TV total" regelmäßig als Abschalter. "Volles Haus!" wiederum ist ebenfalls kein Einschalter: Hier sind die Nöte nach mehr als 50 Folgen noch größer, denn im Schnitt verzeichnete die XXL-Sendestrecke seit Ende im Februar im Schnitt nicht mal einen Marktanteil von drei Prozent in der klassischen Zielgruppe. Und nachdem am Montag immerhin mal fast fünf Prozent erzielt wurden, setzte es nur zwei Tage später mit 1,2 Prozent einen neuerlichen Tiefpunkt - trotz verkürzter Sendezeit.

Ist das den Aufwand wirklich wert?

Wen ein Format ansprechen soll, in dem alles und nichts passieren kann, bleibt bis heute ein Rätsel. Galt bislang in der Daytime vor allem Konstanz als Schlüssel zum Erfolg, so liefert "Volles Haus!" bis heute eine krude Mischung aus Dokuserien, Talk, Prominews und Kochtipps - und vom Versprechen, das Publikum mit einer Live-Ansprache durch den Tag zu begleiten, blieb zuletzt gefühlt immer weniger übrig. Neuerdings füllt Sat.1 die erste Stunde mit einer beliebigen Lebensretter-Doku, bei der allenfalls der unten links eingeblendete Sendungstitel Aufschluss darüber gibt, dass man sich gerade ins "volle Haus" verirrt hat. Die "Live"-Einblendung neben dem Sat.1-Logo wirkt vor diesem Hintergrund geradezu grotesk.

Rechnet man nun die letzte halbe Stunde der Sendung ab, die parallel zu den Regionalmagazinen ausgestrahlt wird und dementsprechend von vielen gar nicht gesehen werden kann, dann bleibt nach einem Vierteljahr erstaunlich wenig übrig von dem, was tatsächlich live im Studio geschieht. Da stellt sich unweigerlich die Frage: Ist das den Aufwand wirklich wert? Und auch bei "Zervakis & Opdenhövel. Live" lässt sich - über eineinhalb Jahre nach dem Start - mehr denn je daran zweifeln, ob es diese Sendung, bei allem Herzblut, das in ihr stecken mag, wirklich braucht. Erst recht, wenn viele der Themen eher belanglos sind: In dieser Woche ging's beispielsweise um Oudoor-Küchen und das Band-Jubiläum von The BossHoss.

"Schon vor dem Start unserer Sat.1-Nachmittagsshow 'Volles Haus!' haben wir gesagt, dass wir in der Entwicklung on air einen langen Atem beweisen werden", erklärte Sat.1-Chefredakteurin Juliane Eßling kürzlich. "Wir werden 'Volles Haus!' mit den Erkenntnissen der ersten zehn Wochen weiter optimieren." Ähnlich klang die Durchhalteparole auch im Falle von "ZOL". "Das Etablieren eines neuen Journals ist kein Sprint, sondern ein Marathon", ließ ProSieben im Februar 2022 ausrichten. Nun, 15 Monate später, steht "ZOL" kaum besser da und es wirkt, als sei längst die Kehrmaschine in Sicht. Der lange Atem mag löblich sein, aber zur Wahrheit gehört eben auch: Nicht jeder Läufer schafft es beim Marathon durchs Ziel.