Katharina Schlüter ist eine erfolgreiche Fernsehmoderatorin. In ihrer TV-Talkshow schauen regelmäßig die mächtigsten Politiker und die wichtigsten Vertreter der Wirtschaft vorbei. Eine "strahlende, starke Frau", wie es ihr Verteidiger in seinem Plädoyer ausdrückt. Doch seit Schlüter den Manager Christian Thiede nach einer langjährigen Affäre wegen Vergewaltigung angezeigt hat, ist nichts mehr in ihrem Leben wie es einmal war.

Mehrfach pro Woche lässt sie sich behandeln und ihre Karriere ist ebenso zerstört wie ihr Familienleben. Ganz zu schweigen von all den hässlichen Schlagzeilen der Boulevardpresse und dem Hass, der ihr in den sozialen Netzwerken entgegenschlägt.

Aber ist Katharina Schlüter wirklich vergewaltigt worden?

Es ist die Frage, die über Ferdinand von Schirachs Gerichtsdrama "Sie sagt. Er sagt." schwebt, mit deren Beantwortung der Bestseller-Autor das Publikum jedoch am Ende alleine lässt. Kein Urteil, keine Klärung der Schuld. Dafür viel Ratlosigkeit – erst recht, weil der ZDF-Film, produziert von OIiver Berbens Moovie, auf sämtliche Rückblenden verzichtet und man vor dem Fernseher nicht mehr erfährt als die Zuschauerinnen und Zuschauer im Gerichtssaal.

Sie sagt. Er sagt. © ZDF/Julia Terjung Der Gerichtssaal ist der Schauplatz des Spielfilms "Sie sagt. Er sagt."

Regisseur Matti Geschnonneck, schon vor zwölf Jahren für seinen thematisch ganz ähnlich gelagerten Spielfilm "Das Ende einer Nacht" mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet, inszeniert von Schirachs Werk gewollt nüchtern, ohne Partei für eine der beiden Seiten zu ergreifen. Was trocken klingt, erweist sich allerdings als Glücksfall, der "Sie sagt. Er sagt." wenn nicht zu einem Meisterwerk, dann doch mindestens zu einem herausragenden Film werden lässt, weil er seine Spannung alleine aus Blicken und Gesten zieht. Und natürlich aus dem Gesagten.

Über mehr als 100 Minuten sitzt jedes Wort, das im Saal gesprochen wird. Das liegt freilich an Ferdinand von Schirach, der, selbst erfahrener Anwalt, genau weiß, wie ein Aussage-gegen-Aussage-Prozess dieser Art funktioniert und die Handlung des Films mit seiner Stimme ein- und ausleitet. Es liegt aber auch an dem starken Ensemble, allen voran an Ina Weisse und Godehard Giese, die das einstige Liebespaar verkörpern. Weit über eine halbe Stunde nimmt alleine Katharina Schlüters Aussage in Anspruch. Sie sagt viel. Und er? Erst kurz vor dem Ende löst das Gerichtsdrama das Versprechen seines Titels ein, indem Christian Thiede das letzte Wort hat – und dieses, entgegen des Ratschlags seiner Verteidigerin, auch ergreift. Zuvor sind es allenfalls kleine Reaktionen, die darauf schließen lassen, wie es im Inneren des Managers möglicherweise aussieht. Eine große schauspielerische Leistung.

Neben Weisse und Giese überzeugt Matthias Brandt in der Rolle des ungezügelten Rechtsanwalts ebenso wie seine Gegenspielerin Henriette Confurius, die die im Ton freundliche, aber in der Sache harte Strafverteidigerin spielt. Stark auch, wie Johanna Gastdorf als neutrale Richterin die Zügel des Verfahrens in der Hand behält. Das Urteil überlässt Ferdinand von Schirach gleichwohl dem Fernsehpublikum, das nach der intensiven Verhandlung mit seinen Gedanken zum Fall alleine gelassen wird. Ein kluger Schachzug, der den Film in den Köpfen auch dann noch weiterlaufen lässt, wenn der Abspann längst vorüber ist.

"Sie sagt. Er sagt.", Montag um 20:15 Uhr im ZDF und schon jetzt in der ZDF-Mediathek