Vor einigen Tagen hat eine Meldung die Runde gemacht, von der man glauben könnte, dass es so etwas gar nicht mehr gibt. "Spielerfrau beim Stillen belästigt", berichtete die Boulevardzeitung mit den vier großen Buchstaben. Eine Frau hatte ihr Baby im Fußballstadion gestillt und einem alten Mann hat das offenbar nicht gefallen, er bedrängte die Frau. Und wenn Sie nun auch zu den Personen gehören, die es nicht verstehen können, warum eine Frau ihren elf Monate alten Sohn nun tatsächlich schon wieder füttern muss, dann sollten Sie vielleicht gar nicht weiterlesen und die neue ZDFneo-Serie "Push" weiträumig meiden. Eine deutsche Serie über drei Hebammen - und das zwölf Jahre nach dem Start von "Call the Midwife". 

Die Krankenhausserie begleitet die Hebammen Nalan (Mariam Hage), Anna (Anna Schudt) und Greta (Lydia Lehmann) bei ihrer schönen, aber oft eben auch ziemlich anstrengenden Arbeit. Da geht es um zu früh einsetzende Wehen, Selbstzweifel, geplatzte Fruchtblasen, Babys in Beckenendlage und spontane Kaiserschnitt-OPs. Und weil das alles noch nicht genug ist, haben alle drei natürlich auch mit privaten Problemen zu kämpfen - und zwei von ihnen sowie die Chef-Ärztin treibt die Klage einer jungen Familie um, die dem Team vorwirft, bei der Geburt ihres Sohnes Fehler gemacht zu haben. 

"Push" ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein Novum in der deutschen TV-Landschaft. So ist die Serie eins der ersten Projekte der europäischen Allianz New 8, an der Produktion beteiligt waren neben ZDFneo auch noch NPO, SVT, VRT, DR, NRK, YLE und RUV. Die inhaltliche Federführung lag beim ZDF - und es war eine gute Entscheidung, das so zu regeln. Viele Köche verderben bekanntlich den Brei und so ist es oft auch bei europäischen Koproduktionen, bei "Push" ist das zum Glück nicht so. 

So ist "Push" gleichermaßen radikal wie authentisch. Auch als Zuschauer, der noch keine direkten Erfahrungen mit Geburten gemacht hat, zieht die Serie schnell ins Geschehen und fesselt mit unterschiedlichen Charakteren, die alle völlig verschiedene Situationen durchleben. Situationen, die es so in deutschen Krankenhäusern wohl zuhauf gibt. Plötzliche Komplikationen, Frauen, die sich scheinbar von jetzt auf gleich übergeben müssen, Schuldzuweisungen von frisch gebackenen Eltern, Überarbeitung und Kompetenzgerangel zwischen dem Personal im Krankenhaus. "Push" lässt keine Themen aus. (Wobei man auf die angedeutete Liebelei zwischen Hebammen-Anwärterin und Oberärztin gerne hätte verzichten können). 

Push © ZDF/Richard Kranzin In "Push" werden verschiedene Geburten gezeigt, hier die von Ruby (Sylvana Seddig)

Damit hebt sich die Serie in Summe erfrischend ab vom Einerlei deutscher und internationaler Krankenhausserien. Zurückzuführen ist das auch auf Luisa Hardenberg, Schöpferin und Autorin der Serie. Sie wuchs als Tochter einer Gynäkologin und eines Gynäkologen auf, insofern war "Push" wohl nur ein folgerichtiges Projekt für sie. Im Pressematerial zur Serie erzählt sie, dass sie die erste Idee zu "Push" bereits 2019 gehabt habe. "Dann kam der erste Pitch, und ich blickte in ratlose Gesichter der überwiegend männlichen Zuhörer. Es schien kaum vorstellbar, wie man aus dem Thema eine Serie mit mehreren Folgen entwickeln kann", so die Serienmacherin. Die Zuhörer konnten sich schlicht nicht vorstellen, was man nach zwei Geburten noch erzählen will.

Radikale Authentizität als USP

Luisa Hardenberg © Hendrik Thul Luisa Hardenberg
Wenn sie jetzt die sechs Folgen bei ZDFneo bzw. in der ZDF Mediathek gesehen haben, werden sie sich vermutlich ärgern, nicht selbst zugegriffen zu haben. Dankenswerterweise hat Hardenberg an sich und ihre Idee geglaubt. "Nachdem das Konzept weiter ausgearbeitet war, habe ich die Idee bei der Bantry Bay vorgestellt und glücklicherweise wurde die Serie dort sofort verstanden und optioniert", sagt sie im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de. Mit Produzent Jochen Cremer hat ausgerechnet ein Mann an die Serie geglaubt. Sie selbst ist ein großer Fan von Medicals, sagt Hardenberg. Dennoch sei es nicht leicht, "bei so vielen bestehenden Formaten einen wirklich neuen Ansatz zu finden". Aktuell hat Hardenberg daher keine Ideen für weitere Medical-Serien. Aber: "Ich könnte mir sehr gut vorstellen, noch viele weitere Geschichten für Push zu erzählen."

Die radikale Authentizität in "Push" ist auch deshalb möglich, weil man viele Geburten, Babys und OPs sieht. Möglich wird letzteres, weil man einen Kaiserschnitt dokumentarisch hat begleiten lassen - und Ausschnitte davon auch in der Serie verwendet. Das geschieht aber so nahtlos, dass man die Unterschiede nicht bemerkt. Und auch der Cast macht einen wunderbaren Job, allen voran natürlich Mariam Hage, Anna Schudt und Lydia Lehmann, aber auch Idil Üner, Katia Fellin und die zahlreichen Episoden-Darstellerinnen, die sich vor allem durch ihre Geburten kämpfen. Gleich in der zweiten Folge stehen aber auch Männer im Mittelpunkt des Geschehens. Und während die einen selbst bei der Geburt noch denken, es drehe sich alles um sie, können die anderen aus Sicht der Frauen nichts richtig machen - und so droht die Beziehung langsam aber sicher zu zerbrechen. 

"Ich könnte mir sehr gut vorstellen, noch viele weitere Geschichten für Push zu erzählen."
Luisa Hardenberg, Schöpferin und Autorin von "Push"


Mia Maariel Meyer © Robin Kater Mia Maariel Meyer
"Mein übergeordnetes Ziel war immer so emotional und intensiv, wie möglich zu erzählen", sagt Regisseurin Mia Maariel Meyer im Gespräch mit DWDL.de und ihre Kollegin Katja Benrath ergänzt: "Indem wir einige Dinge sehr ungeschminkt und direkt erzählen, erschaffen wir hoffentlich eine Nähe und Vertrautheit zu den Protagonist*innen, wie wir sie sonst eher in nahen Beziehungen erleben. Ehrlichkeit in der Erzählung - das war der Schlüssel für die Umsetzung. Denn das sorgt für intensives Erleben - weit weg von Weichzeichner und Filtern." Das Ziel, möglichst authentisch und echt zu sein, sei aber auch eine Herausforderung gewesen, sagt Mia Maariel Meyer. Es sei nämlich aufgrund des Mutterschutzes nur teilweise möglich gewesen, mit echten Babys zu drehen und reale Geburten zu zeigen. 

Und Katja Benrath antwortet auf die Frage nach der größten Herausforderung beim Dreh: "Das Bedürfnis, dem Leben so nah und echt wie möglich über die Schulter zu gucken - ohne voyeuristisch zu sein. In jedem Moment respektvoll und mit wachem Blick auf die Momente des Lebens zu blicken - die uns vereinen und doch individueller nicht sein können - und diese erzählbar, erlebbar zu machen." Schon während der Vorbereitung und den ersten Gesprächen hätten von Beginn an eine große Tiefe und Intensität geherrscht, sagt Benrath. "Jede Spielerin und jeder Spieler hatte eine eigene Geburtsgeschichte. Sei es eigenes Erleben oder miterlebtes. Eine Zusammenarbeit, die auf diesem Level startet, kann nur intim und persönlich werden."

Man habe sich bemüht, einen "geschützten und respektvollen Rahmen für die Arbeit" mit den Schauspielerinnen und Schauspielern zu schaffen - und das besonders für die Geburtsszenen, ergänzt Maariel Meyer. "Es war ein sehr schönes, sehr intimes und persönliches Arbeiten und ich glaube das spürt man auch in der Serie."

Echte Hebamme hat die Produktion begleitet

Katja Benrath © Florian Hirschmann Katja Benrath
Mit Christiane Hammerl war an der Produktion auch eine echte Hebamme beteiligt, die als Fachberaterin mitgewirkt hat. Mia Maariel Meyer sagt, es habe bei der Umsetzung geholfen, dass sie und auch Katja Benrath Mütter seien, sie also selbst schon einmal eine Geburt miterlebt hätten. Man habe daher klare Visionen zu den Geburten gehabt, "die wir dank Christiane immer wieder überprüfen und korrigieren konnten, um möglichst echt zu bleiben". Dabei ging es dann um vermeintliche Kleinigkeiten, die einer solchen Produktion dann aber eben die nötige Glaubwürdigkeit verschaffen: Die richtige Atmung zum richtigen Zeitpunkt, die richtige Körperhaltung sowie das richtige Maß an Schmerz, Kampf und Lautstärke.

Serienschöpferin Luisa Hardenberg hofft, dass die Serie einen Teil dazu beiträgt, dass es ein stärkeres Bewusstsein dafür gibt, "was Frauen da leisten, was sie aushalten, was sie brauchen". Sie will, dass sich Frauen mit ihren Gefühlen rund um das Kinderkriegen nicht mehr so alleine gelassen fühlen oder sich gar schämen. Und was soll man sagen? Viele Kreative hoffen, dass ihre Stoffe so etwas oder Ähnliches auslösen. Selten tritt es ein. "Push" geht aber tatsächlich oft nah und zeigt ungeschönt und doch authentisch, wie Leben entsteht. Schon alleine deshalb ist die Serie ganz sicher Anwärter auf den ein oder anderen Fernsehpreis in den kommenden Monaten. 

Und wenn Sie nun tatsächlich die Sorte Mensch sind, die es nicht ertragen, dass Frauen ihre Kinder in der Öffentlichkeit stillen, hier eine Empfehlung: Vielleicht schauen Sie sich "Push" gerade deshalb doch mal an. Diese Serie zeigt das echte Leben, dafür muss sich niemand schämen. 

Alle Folgen von "Push" stehen seit dem 1. März in der ZDF Mediathek zum Abruf bereit. ZDFneo zeigt die Serie ab dem 10. März immer sonntags zur besten Sendezeit ab 20:15 Uhr in Doppelfolgen.