Herr Moszkowicz, nach Jahren des Lamentierens spürt man in der Produktionslandschaft gerade eine neue Goldgräber-Stimmung. Teilen Sie die Euphorie?

Das Lamentieren ist eine Besonderheit der deutschen Medienbranche. Wir bei der Constantin Film versuchen immer mehr Möglichkeiten zu sehen als Probleme. Umso großartiger finde ich, dass auch die eher defensive deutsche Medienlandschaft mit so viel Lust in die Offensive geht. Das ist nicht nur wirtschaftlich spannend, sondern auch inhaltlich: Wir haben eine nie gekannte Vielfalt der erzählten Geschichten sowie Formen der Erzählung. Klar fallen dabei auch Sachen weg. Das ist in unserer Branche immer wieder passiert. Ich habe in den 40 Jahren, in denen ich nun in der Branche bin, selten so aufregende Zeiten erlebt. Vielleicht in etwa noch vergleichbar mit den 90er Jahren als die noch jungen Privatsender es wissen wollten und wir im Home Entertainment den Wechsel von VHS zu DVD hatten.



Spiegelt sich in dieser positiven Haltung auch die Erleichterung über ein Ende der Auseinandersetzungen um Constantin Medien und die Tatsache, dass es künftig nur noch ein Medienhaus unter der Marke Constantin gibt, eine Rolle?

Ja, ich bin sehr zufrieden, dass das endlich geklärt ist. Bei den Auseinandersetzungen im Gesellschafterkreis von Constantin Medien ständig sozusagen in Mitleidenschaft genommen worden zu sein, hat schon Nerven gekostet. Jetzt ist jede Verwechslungsgefahr gebannt. Constantin Film, das sind wir. Und das Verhältnis zwischen Highlight Communications, Bernhard Burgener und der Constantin Film ist außerordentlich gut.

Würde ich jetzt an Ihrer Stelle auch sagen.

Sehen Sie: Wir finanzieren uns selber, wie haben bisher noch nie Geld vom Gesellschafter bekommen und erwarten auch keines. Wir haben über die letzten fünfzehn Jahre konstant Gewinn gemacht und etwa 70 Millionen Euro Dividende ausgeschüttet. Die Constantin Film hat ein Investement Grade Rating der Deutschen Bundesbank. Es gibt auch kein Cashpooling oder Vergleichbares im Gesamtkonzern, die andere machen würden. Wir können uns ganz auf Inhalte und unser Geschäft konzentrieren und freuen uns über den bald abgeschlossenen Umbau unserer Büros.

Sie bleiben demnach in Schwabing?

Ich glaube ein kreatives Haus wie die Constantin Film gehört in die Stadt, muss angebunden sein ans Leben. Wir haben ja auch viel Publikumsverkehr. Deswegen haben wir vor drei Jahren beschlossen, dass wir die nächsten 20 Jahre mit unserem Haupthaus hier in München-Schwabing bleiben und einen entsprechend langfristigen Mietvertrag unterschrieben. Wir haben unsere Büros umfassend umgebaut und jetzt eine Arbeitsgruppen-basierte Struktur eingeführt. Es gibt keine Einzelbüros mehr, was übrigens für alle gilt, auch für Geschäftsführer und Vorstände. Auch ich habe kein eigenes Büro mehr. Das macht uns viel Spaß und spiegelt ja ohnehin das veränderte Arbeitsverhalten, wo heutzutage alles von überall möglich ist. Es gibt Kommunikations-Zonen, aber auch Ruhe-Zonen. Wir sind da gerade in den letzten Zügen der Fertigstellung. Wir hoffen mit dieser Neugestaltung die Constantin Film sozusagen zur Spielwiese  der Kreativen zu machen, wo sich Spielfreude und Kreativität entwickeln kann.

Kann sich Constantin Film bei der anhaltenden Konsolidierung auf dem Produzentenmarkt die Eigenständigkeit leisten?

Klar, es gibt eine Konzentration auf dem Produktionsmarkt. Unsere Gesellschafter und wir haben aber stets die besten Erfahrungen gemacht, wenn wir unabhängig waren. Das ist auch das Erbe von Bernd Eichinger, einem der wenigen wirklich furchtlosen Produzenten Deutschlands. Bernd hatte keine Sorgen vor einem Flop, aber eine Angst hatte er: Dass ihm jemand sagt, was er zu tun hat. Und das kann in einem Konzern natürlich der Fall sein. Wir haben Übereinstimmung mit unserem Gesellschafter, daß wir unseres eigenes Glückes Schmied sind und das Schiff selbst steuern. Wenn dann was schief geht, dann hat man das auch selbst zu verantworten. Mit dieser klaren Zuordnung der Verantwortlichkeit komme ich besser klar als wenn uns jemand anderes sagt, was wir zu tun haben. Und das läuft bislang sehr gut so.

"Talent und Kreativität sind heute die wertvollsten Ressourcen. Geld lässt sich immer organisieren."

Wo lässt sich für Constantin Film mehr Geld verdienen: Im Kino, für TV oder beim Streaming?

Constantin Film erzielt zwischen 300 und 350 Millionen Euro Umsatz im Jahr, davon entfällt etwas weniger als die Hälfte aufs Kino, der große Rest zu gleichen Teilen verteilt auf klassische Fernsehsender und Streamingdienste. Wir haben im Jahr 2018 ein Produktionsvolumen von 100 Millionen Euro allein nur an Netflix geliefert, weil die Constantin nicht nur in Deutschland sondern auch international und auf Englisch produziert. Das ist unsere USP. Wir fühlen uns wohl mit dieser Positionierung. Wissen Sie, die Diskussion darüber, wie groß die Constantin sein sollte, ist so alt wie das Unternehmen. Da gab es auch immer mal unterschiedliche Meinungen, zum Beispiel mit unserem ehemaligen Kollegen Fred Kogel, der das in seiner Zeit hier anders gesehen hat. Ich denke aber, dass wir sehr viel besser fahren, wenn wir wendig und unabhängig sind. Je größer ein Verbund, desto schwerfälliger agiert man.

Weil Sie gerade Fred Kogel ansprechen. Was sagen Sie zu Leonine?

Wir wünschen Fred, den wir ja nun sehr gut kennen, und seinem uns auch bekannten Team alles Gute und drücken die Daumen beim Unternehmensaufbau.

Wir sprachen eben von der Goldgräber-Stimmung: Bedeuten neue Plattformen denn auch automatisch mehr Aufträge?

Ich fände es super, wenn es uns gelingen würde das Geschäft entsprechend den neuen Möglichkeiten weiter zu skalieren. Die Distribution ist mit Sicherheit noch skalierbar mit immer neuen Partnern und Verwertungsfenstern, aber die Produktion ist nur begrenzt skalierbar, weil der Wettbewerb um Talente härter geworden ist. Das trifft eine Sprachinsel wie den deutschen Markt besonders. Als wir damals an die Börse gegangen sind, haben Analysten von uns auch eine jährliche Erhöhung der Produktion um x Prozent verlangt, Jahr für Jahr. Nach deren Vorstellung würden wir heute vermutlich 100 Filme im Jahr produzieren. Aber so funktioniert eine Kreativbranche nicht.

Jahrelang galt das begrenzte Budget als Problem, jetzt sind es die begrenzt verfügbaren kreativen Talente…

Genau, Talent und Kreativität sind heute die wertvollsten Ressourcen. Geld lässt sich immer organisieren, aber Talent müssen wir konsequenter fördern. Nachwuchs ist ja da, aber es ist nicht genug da. Da sind wir auf verschiedene Arten aktiv, um das zu ändern. Ich selbst bin auch seit einiger Zeit nun Professor an der Münchener Filmhochschule.

Braucht es in der Ausbildung eine Verlagerung von Filmkunst hin zur pragmatischeren Vorbereitung auf die Bedürfnisse der Kreativwirtschaft, wie manche fordern?

Einen Künstler, der eine klare Vision von dem hat, was er machen will, finde ich gut. Das mag manchmal kommerziell nutzbar sein, manchmal weniger. Das stört mich nicht, aber was in Ausbildungen oft nicht klar genug gemacht wird: Man muss als Filmemacher immer im Auge behalten, für wen man diesen Film oder diese Serie macht - und was man eigentlich erzählen will. Diese beiden Fixpunkte darf man dann bei der Arbeit nicht aus den Augen verlieren, weil man sich sonst orientierungslos treiben lässt. Ich erlebe leider häufiger, dass sich junge Autoren oder Filmemacher diese beiden Fragestellungen im Vorfeld gar nicht zu Herzen nehmen. Das ist das Hauptproblem. Schauen Sie sich ein Ausnahmetalent wie Bora Dagtekin an. Der ist ja im Prinzip der klassische Autorenfilmer. Er schreibt, dreht und produziert seine eigenen Geschichten. Aber er hat eine klare Vorstellung davon, für wen er das macht. Ich glaube, davon können viele junge Filmemacher noch etwas lernen.

Bora Dagtekin, der antizyklisch vom Fernsehen zum Kino gewechselt ist als alle den umgekehrten Weg probierten…

(lacht) Ja, das stimmt. Wobei wir in Deutschland da kategorisierter denken als in den USA, wo nicht nur die großen Köpfe wie J.J. Abrams oder Steven Spielberg selbstverständlich zwischen Kino und Fernsehen und den neuen digitalen Formaten wandeln.

Gut, aber Sie selbst trennen bei Constantin Film ja auch noch organisatorisch die Kinofilm-Produktion und die TV-Produktion…

Aber die Grenzen verschwimmen zunehmend. Wir machen beispielsweise einen Film wie „Polar“ so wie früher einen Kinofilm mit einem Budget von mehr als 20 Millionen Dollar, aber eben für einen Streamingdienst. Und Bora hat im Kino fortgesetzt, was er im Fernsehen gelernt hat: Es kommt auf den Plot an. Ich habe beim Kinofilm „Türkisch für Anfänger“ erstmals mit ihm gearbeitet und zuvor noch keinen Regisseur erlebt, der so gut plotten konnte. Das wollen viele Regisseure ja auch gar nicht, weil es zwei verschiedene Welten sind. Aber für Bora war es selbstverständlich, Beides zu machen. Dazu kommt sein Talent der genauen Beobachtung des Alltäglichen, die sich in seinen Büchern spiegelt.