Ende Oktober startet mit „Das perfekte Geheimnis“ der nächste Film von Bora Dagtekin. Geht die Zusammenarbeit mit ihm danach weiter?

Die Zusammenarbeit geht weiter und sprechen schon über das nächste Projekt. Wir haben ja 2016 eine Vereinbarung für eine gewisse Anzahl von Filmen getroffen und da steht noch was aus. Aber unabhängig von dem Vertragszyklus hoffe ich, dass uns Bora noch lange erhalten bleibt. Es gibt viele verschiedene Ideen, die wir diskutieren und darunter sind auch Serienideen. Möglicherweise gibt es auch Modelle, in denen er als Executive Producer agiert aber nicht alle Aufgaben selbst übernimmt. Wenn alles gut geht, soll 2021 aber erstmal der nächste Kinofilm kommen. Das wollen wir in den nächsten Wochen fixieren.



„Das perfekte Geheimnis“ ist wieder ein Ensemble-Film, wie auch schon „Der Vorname“. German Allstars on screen, um im Wettbewerb aufzufallen. Könnte man die Kino-Strategie von Constantin Film so beschreiben?

Also es gibt da keinen geheimen Masterplan. Das hat sich so ergeben. Man kann für einen sprachlichen Binnenmarkt keinen Fantasy- oder Action-Film machen, der konkurrieren kann mit Produktionen, die für den Weltmarkt gemacht wurden. Solche Genres produzieren wir auch, aber eben englischsprachig. Die Komödie oder das Drama liegt da näher. Wir haben in Deutschland ganz großartige, wunderbare Schauspielerinnen und Schauspieler und mich freut es, einen so hochkarätigen Cast zusammenbringen zu können. Aber ich kann mir auch gut Storys mit klarer Hauptrolle vorstellen, und wenn Sie sich „Fack ju Göhte“ anschauen, dann gibt es natürlich einen prominent besetzten Cast, aber Elyas M’Barek hatte klar die Hauptrolle. Was mich an „Das perfekte Geheimnis“ reizt, ist auch die Tatsache, dass Bora Dagtekin hier erstmals einen Film für ein etwas älteres Publikum gemacht hat, der übrigens sehr viel mehr mit dem Zuschauer macht als nur 100 Minuten gut zu unterhalten.

Was meinen Sie damit?

Die Thematik von „Das perfekte Geheimnis“ - würde man seinem Partner bzw. Partnerin oder Freunden Zugang zu seinem Smartphone geben - läuft einem nach. Darüber wird geredet. Der Film kultiviert so auch die Stärke des gemeinsamen Filmerlebnisses im Kino gegenüber einer Produktion für Streamingdienste so wie „Terror“ vor zwei Jahren das gemeinsame Fernseherlebnis neu definiert hat, weil das ganze Land über die aufgeworfene Frage diskutiert hat. Das zu schaffen, ist die höchste Kunst.

Constantin Film macht kommerzielles Kino mit Akzeptanz beim Publikum. Haben Sie inzwischen Ihren Frieden damit geschlossen, dass das beim Deutschen Filmpreis nur bedingt eine Rolle spielt?

Da stechen Sie jetzt in ein Wespennest! Ich habe die Entscheidungen der Akademie in vielen Bereichen nie kapiert. Ich habe genauso wenig verstanden, warum Filmförderungen das eine Projekt fördern, das andere aber nicht. Aber vielleicht bin ich dafür auch schon zu lange dabei als dass ich mir darüber heute noch den Kopf zerbreche. Demokratie ist wunderbar, auch bei beim Deutschen Filmpreis, aber es ist eben so, dass eine Fachjury gewisse Entscheidungen anders treffen würde. Wenn man zurückdenkt, dass ein prägender Film wie „Der Untergang“ - zu dem ich durchaus auch kritische Anmerkungen habe - es beinahe nicht in die Vorauswahl geschafft hätte, ist schon bitter. Das ist eine ganz andere Filmwelt, aber wir freuen uns, wenn wir doch mal nominiert sind oder gar einen Preis gewinnen. Der beste Preis aber ist eine Goldene Leinwand, auch wenn es heute schwieriger geworden ist durch die zunehmende Bestsellerisierung des Kinos.

Ein schöner Ausdruck. Ich weiß was Sie meinen, aber den Begriff kannte ich noch nicht.

Vor zehn oder mehr noch zwanzig Jahren ist man ins Kino gegangen, um sich überraschen zu lassen. Da hat man sich auf einen Film eingelassen wie wir es heute eher bei Serien machen. Im Kino gibt es das heutzutage aber kaum noch. Heute gehen Menschen ins Kino, weil Sie bei großen Franchises genau wissen oder zu wissen glauben, was Sie erwartet. Früher haben wir kleinere Filme gerne auch bewusst im Umfeld von Blockbustern gestartet, weil wir darauf spekuliert haben, dass es einen Überlauf-Effekt gibt. Also Menschen, die für den eigentlich gewünschten Film keine Karte mehr bekamen und sich dann etwas anderes angeschaut haben. Heute aber fällt die Entscheidung für einen Film ja schon zuhause, wenn Tickets online gekauft werden. Kaum jemand fährt erstmal ins Kino um zu gucken, was läuft. Das ändert natürlich auch die Stoffauswahl, weil der Grat für Filme, die im Kino gegen US-Franchises Erfolg haben können, schmaler geworden ist. Da könnte man jetzt drüber lamentieren, aber das ist wenig zielführend. Wir nehmen die Situation als gegeben an und sehen es als Herausforderung. Wir nutzen zum Beispiel bestehende Marken der Constantin Film, die wir neu positionieren und verwerten.

Sie sprechen „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ an?

Genau, das ist ein Beispiel dafür, wie wir einen weltbekannten Film von Constantin Film aus den 80er Jahren nutzen, um sie auf der Basis des Original-Buches in diesem Fall als Serie für Amazon Prime Video neu zu interpretieren. Denken Sie an „Die Welle“, die Christian Becker und unser Tochterunternehmen Ratpack Filmproduktion als Serie für Netflix umsetzen. Und wir arbeiten bekanntlich schon länger an einer Serie zu unserem eigenen „Resident Evil“-Franchise, die wir kommendes Jahr produzieren. Und wir machen im Kino einen „Resident Evil“-Reboot. Wir haben mit Fox sehr erfolgreich die „Fantastic Four“-Filme produziert und jetzt schauen wir mal, vielleicht setzen wir die Zusammenarbeit jetzt mit Marvel und Disney fort. Aber denken Sie auch an einen deutschen Kultfilm wie „Manta, Manta“. Da überlegen wir auch, ob das Portrait dieser Zeit Stoff für eine Serie sein könnte und bei „Das Parfum“ sprechen wir mit Netflix und dem ZDF über eine zweite Staffel.

Das sind einige Serienprojekte. Sie setzen dabei aber fast ausschließlich auf bestehende IPs, sowohl eigene Reboots als auch externe IPs…

Constantin hat immer schon versucht auf bestehende Werke aufzubauen, wenn man auf unsere Historie schaut. Bernd Eichingers Produktionen basierten fast alle auf Bestsellern, Videospielen oder Graphic Novels. Manchmal war auch ein Star in der Hauptrolle sozusagen das vorbestehende Werk. Das haben wir sehr erfolgreich gemacht. Die große Ausnahme ist natürlich „Fack ju Göhte“, weil es der erste kommerzielle Erfolg dieser Größenordnung für die Constantin war, der originär fürs Kino geschaffen wurde.

"Wir freuen uns, in dem neuen Geschäft mitzumischen, aber es gehört zur Wahrheit, die man aussprechen muss: Noch hat keine der großen Streaming Plattformen Geld verdient."

Welche Zukunft hat der Film als Gattung eigentlich nachdem wir seit Jahren alle so von Serien schwärmen?

Wenn Sie fürs lineare Fernsehen erzählen, dann müssen Sie das Publikum in den ersten Minuten davon überzeugen, dran zu bleiben. Das ist eine dramaturgische Notwendigkeit, die Sie bei einem Kinofilm nicht haben. Das sitzt im Kino und kann nicht mal eben umschalten. Weil Streamingserien aber immer epischer wurden, wirkt das Kino rasanter als je zuvor. Wenn mir bei manchen Serien gesagt wird, man bräuchte zwei drei Folgen bis man drin ist, dann wäre jeder Kinofilm danach schon vorbei. Wir merken bei den Streamingdiensten aber zuletzt ein steigendes Interesse an Einzelformaten wie im Kino. Warum? Das Zeitkontingent ihrer Abonnenten ist begrenzt und es kommen jetzt bekanntlich noch weitere Streamingdienste hinzu. Wichtiger aber ist eine Entwicklung, die ich bei mir selbst beobachte: Es fällt dem Publikum im großen Angebot der Serienproduktionen immer schwerer, sich auf eine lange Staffel einzulassen. Die noch vor wenigen Jahren gefeierte Tiefe der neuen Serienwelt wirkt manchmal auch abschreckend. Mit „Polar“ und „Silence“, den wir in Deutschland ins Kino und international direkt zu Netflix gebracht haben, bedienen wir auch diese Nachfrage. Bei Erfolg ist wie früher bei Kinofilmen auch ein Sequel denkbar, aber bei Erscheinen des Films ist das Versprechen: Unterhaltung für einen Abend, ohne Verpflichtung. Darüber hinaus ist das Kinoerlebnis zu Hause nicht kopierbar. Insofern sehe ich die Zukunft des Filmes nicht gefährdet.

Letzte Frage: Total-Buyout war über Jahre hinweg ein Thema in der Branche. Produzenten wollten Rechte behalten. Jetzt kommen Streamingdienste - und machen, oft sogar international, den Total-Buyout. Vom Regen in die Traufe?

Sagen wir mal so: Als wir angefangen haben mit Streamingdiensten zu arbeiten, war es leichter Deals zu machen als heute. Da gab es einerseits eine größere Risikobereitschaft und andererseits die Bereitschaft, auf gewisse Rechte zu verzichten. Das hat sich in den letzten 12 bis 18 Monaten geändert und es wird immer schwieriger. Wir versuchen aber immer, in irgendeiner Art und Weise Rechte zu behalten. Das ist unserer Historie geschuldet. Hätten wir die Kämpfe nicht früher auch schon geführt, wäre die Constantin heute gar nix. Insofern muss man es zumindest versuchen, aber die Schrauben werden angezogen, da spürt man den einsetzenden Margendruck mancher Streamingdienste, die irgendwann auch mal Geld verdienen müssen. Man muss ja mal klar sagen: Wir freuen uns, in dem neuen Geschäft mitzumischen, aber es gehört zur Wahrheit, die man aussprechen muss: Noch hat keine der großen Streaming Plattformen Geld verdient. Vielleicht aber hilft der jetzt anziehende Wettbewerb im Streaming uns als Produzenten zumindest mittelfristig, wieder bessere Deals abschließen zu können, weil man mehr Optionen bekommt.

Herr Moszkowicz, herzlichen Dank für das Gespräch