Jetzt aber. Mit mehr als 300 bestätigen Ausstellern und einer Rückkehr der Pavillons vor dem Palais des Festivals an der Croisette in Cannes demonstriert Veranstalter RX (ehemals ReedMidem) demonstrativ Normalität: MIPCOM sei back in business. Und in der Tat: Auch unter deutschen Einkäuferinnen und Einkäufern ist die Vorfreude auf die TV-Messe in Cannes deutlich größer als vor einem Jahr als erstmals seit Ausbruch der Pandemie wieder eine physische Messe probiert wurde. Doch die Zurückhaltung war noch groß, die Masken und Temperaturmessungen Pflicht.

Dass diesmal wieder alles so wird wie früher - es zeichnet sich auch wieder an den horrenden Preisen der Hotels und Air BnBs in der Stadt und Umland ab. Das Geschäft läuft wieder an und wird an der Cote d’Azur auch dringend gebraucht: Die gesamte Region ist wirtschaftlich nicht nur wie andere Teile Europas von gestiegenen Lebenshaltungskosten getroffen, sondern als beliebtes Ziel für Urlauber und Ferienhausbesitzer doppelt betroffen. Die immer noch zurückhaltende Reiselust vieler asiatischer Touristinnen und Touristen sowie die ausbleibenden Reisenden aus Russland haben den Tourismus massiv einbrechen lassen.

Da holt man sein Geld rein, wo es reinzuholen ist. Dabei ist die TV-Branche aus zwei Gründen so kostensensibel wie seit Jahren nicht. Viele europäische Märkte kämpfen mit den enorm gestiegenen Energie-Preisen, die sich auch auf Produktionskosten von TV-Programmen durchschlagen. Noch dazu kommen Währungsschwankungen wie zuletzt sehr deutlich beim Abfall des britischen Pfund gegenüber dem US-Dollar. Doch auch der Euro ist zum US-Dollar gefallen. Egal ob man selber produziert oder einkauft: Es wird genauer aufs Geld geschaut. Ist das ein negatives Signal für die MIPCOM?

Nein, ist das einhellige Urteil der von DWDL befragten Distributoren und das wiederum hat ebenso zwei Gründe: Einerseits setzen immer mehr Plattformen neben der Highend-Fiction auch auf andere Genres, erobern also das Formatgeschäft. Auch Dokumentationen und insbesondere Doku-Serien stehen weiter hoch im Kurs. Der Appetit der Plattformen auf eine weitaus größere Bandbreite weckt natürlich Fantasien. Aber nicht nur das lässt Distributoren frohlocken. 

Auch das große Über-Thema der Branche in diesem Jahr sorgt für Optimismus: Es geht um den Aufstieg von AVoD-Diensten, also werbefinanziertem Streaming, egal ob nun individuell auf Abruf oder in Form der sogenannten FAST-Channels (Free Ad-supported Streaming TV), also digitalen linearen Sender. In dieser neuen Kategorie sehen einige Distributoren neue Erlösmöglichkeiten. Enmal mehr steht die Branche vor einer Veränderung der ohnehin zuletzt stetig in Bewegung befindlichen Windowing-Politik. Dahinter steckt die Frage, wer welche Rechte zu welchen Konditionen erwerben kann. Die banalen Zeiten von PayTV- und FreeTV-Rechten ist schließlich längst Geschichte. 

Bei so vielen wirtschaftlichen, politischen und strategischen Themen, die die am Montag startenden MIPCOM prägen werden, spielt die Corona-Pandemie kaum noch eine Rolle, auch wenn es erschreckend ist, wie manche internationale Fachmagazine gerade so tun als hätte sich die Messe durch die Corona geändert. Demnach sei es der Pandemie geschuldet, dass Programme inzwischen ganzjährig digital gescreent und verkauft werden, während das früher vor Ort geschehen sei. Dabei ist das schon seit vielen Jahren der Fall und dieser neumodischen Technologie namens Internet geschuldet.

Nein, am Sales-Business hat die Corona-Pandemie nicht viel geändert, wie man auch aus der Branche gespiegelt bekommt, wenn man sich umhört. Digitalisiert war das Geschäft schon vorher. Aber klar Drei Jahre nach der letzte MIPCOM in altbekannter Größe und Form spürt man eine Vorfreude auf Cannes und ein persönliches Wiedersehen mit Geschäftspartnern und Branche, die so groß sind wie lange nicht. Ein Zögern oder Hadern mit der Notwendigkeit einer Reise nach Südfrankreich? Nicht diesmal.

Wie sich die MIPCOM über den großen Neuanfang hinaus entwickeln wird, bleibt natürlich offen. Denn gerade durch das längst digitalisierte Geschäft suchen physische Messen nach ihrer Positionierung und Relevanz im Kalender der Branche und das eben schon vor der Pandemie. In den USA tat sich der NATPE Market zuletzt schwer, Veranstalter NATPE musste getrieben von der Pandemie Insolvenz anmelden. Und in Cannes gilt die Aufwertung der Frühjahrsmesse zur Rettung eben dieser als Herausforderung, die zuletzt mit dem erfolgreich eingeführten Festival Canneseries gelungen ist.

Mit Spannung dürften einige in der Branche auf die Entwicklung der großen US-Player schauen: Dort berauschte man sich zu Beginn der Pandemie an der Fantasie, das gesamte Geschäft inhouse zu realisieren und sich damit vertikal integriert aufzustellen. Doch zuletzt war es insbesondere Warner Bros. Discovery, die mit einem Bekenntnis zu Verwertungsfenstern und Distributionspartnerschaften unter der Führung von David Zaslav wieder abgerückt sind von der Abschottung. Sollten andere große Häuser dem folgen, weil Programmverkäufe lukrativere Einnahmen generieren als die eigene weltweite Auswertung via Streaming, dann wird das auch dem Sales-Geschäft neuen Auftrieb geben.