"Das ist ja wie früher", gehörte zu den meistgehörten Kommentaren, wenn man sich in diesem Jahr auf der MIPCOM in Cannes umhörte. Nachdem der Neustart der Fernsehmesse im Herbst vergangenen Jahres ebenso wie im Frühjahr dieses Jahres noch recht zaghaft ausfiel, stimmten die guten Buchungszahlen in diesem Herbst schon im Vorfeld optimistisch - und tatsächlich konnte die MIP diese Erwartungen locker erfüllen.

Bei prächtigem Wetter an der Côte d'Azur waren nicht nur die Stände und Pavillons in und vor dem Palais wieder ähnlich gut besucht wie vor der Pandemie, bei der Taktung der Termine von der "Entschleunigung" der letzten beiden MIPs nichts mehr zu spüren, viele Veranstaltungen verzeichneten gar Rekordzuspruch - beim traditionellen "Beta Brunch" etwa waren selbst Stehplätze nur noch schwer zu ergattern. Und auch die Cafés an der Croisette waren bei prächtigem Wetter meist bis auf den letzten Tisch besetzt - den im Vergleich zu früher noch etwas absurder gewordenen Preisen (9 Euro für eine kleine Cola, 16 Euro für einen halben Liter Bier) zum Trotz. Offiziellen Zahlen zufolge waren es knapp 11.000 Besucherinnen und Besucher aus 108 Ländern, darunter 3.100 Einkäuferinnen und Einkäufer.

Der Nachholbedarf nach den Jahren der Teams-Calls und Zoom-Meetings nach persönlichen Kontakten war greifbar und überlagerte zumindest für diese paar Tage andere Sorgen. Steigende Inflation und Rezession schienen weit weg. Und Corona? War wieder steigender Infektionszahlen zum Trotz kein Thema mehr, selbst bei Empfängen an asiatischen Ständen wurden Masken kaum mehr gesehen. Man darf also durchaus gespannt sein, wieviele eine Infektion als Mitbringsel im Gepäck haben.

Die "Mother of all Entertainment Content Markets", wie sich die MIPCOM selbst neuerdings bezeichnet, zeigte sich in diesem Herbst also tatsächlich besser in Schuss, als das viele noch vor einigen Monaten erwartet hätten. Die Frage ist nur: Bleibt das so, wenn dieser Nachholbedarf erstmal gestillt ist? Schließlich wurde schon vor Ausbruch der Pandemie die Fernsehmesse mehr als einmal totgesagt. Und die Vorzeichen hatten sich durch diese ja auf den ersten Blick noch weiter verschlechtert. Abgesehen davon, dass digitale Meetings dank Teams, Zoom & Co. weite Verbreitung gefunden haben, stellt sich ja vor allem die Frage: Wer soll schon Deals machen in einer Welt, in der jeder Konzern, der etwas auf sich hält, seinen eigenen, global ausgerichteten Streamingdienst hochzieht, um die eigenen Inhalte auf der eigenen Plattform an die eigene Kundschaft zu bringen? Schlechte Zeiten also für eine Fernsehmesse, die vom Handel mit Formaten und Produktionen lebt.

 

 "One size doesn't fit all."
Lucy Smith, Direktorin der MIPCOM

 

Doch ganz so eindeutig, wie sie zwischenzeitlich schien, ist die Zukunftsprognose längst nicht mehr, seit das Netflix-Modell an Wachstumsgrenzen stößt und man nicht nur bei Warner Bros. Discovery auch nochmal nachrechnet, ob ein althergebrachtes Distributionsmodell für manche Produktion nicht doch auch künftig als lukrativer erweisen könnte als alles auf eine Karte zu setzen und um jeden Preis den x-ten Streamingdienst in einem ohnehin schon übervollen Markt etablieren zu wollen. "One size doesn't fit all", fasste es dann auch Lucy Smith, Direktorin der MIPCOM, zusammen.

Einen öffentlichkeitswirksamen Kontrapunkt setzte in Cannes beispielsweise Fox Entertainment, dessen Chef Rob Wade die Branche in Cannes wissen ließ, dass man offensiv nach Formaten und Partnerschaften sucht, nach "schnellen und smarten" Produktionsdeals, und der anfügte: "Wir haben unser Scheckbuch dabei." Nach dem Verkauf der Studioaktivitäten an Disney muss sich der Konzern freilich auch anders aufstellen, sieht das aber als Vorteil: "Während andere versuchen, ihre Inhalte hinter Paywalls zu verstecken, machen wir das genaue Gegenteil. Wir sehen das Potenzial in der Zusammenarbeit mit anderen Sendern, Plattformen, Produzenten und Distributoren, um unsere Inhalte weiter zu verbreiten."

Und längst regt sich auch in der Produktionsbranche Unmut: Die kurze Zeit, in der die globale Auswertung bei einem großen Streamer am erstrebenswertesten erschien, sind bereits wieder vorbei. Rola Bauer, die bei der inzwischen zu Amazon gehörenden MGM "President of international TV Productions" ist, brachte in ihrer Keynote die Hoffnung zum Ausdruck, das Pendel möge möglichst bald wieder in die andere Richtung ausschlagen als die, in der ein Streamer sämtliche globale Rechte für sich beanspruche - nicht nur, weil das für eine gute Zusammenarbeit nötig sei, sondern weil es schlicht auch ein gutes Geschäftsmodell für alle Beteiligten sei. Produzenten daran zu hindern, profitabel zu arbeiten, werde der Kreativität jedenfalls nicht helfen.

In die gleiche Kerbe wie Rola Bauer schlug auch Banijay-Boss Marco Bassetti, der nicht nur darauf drängte, mehr Rechte zurückhalten zu dürfen, sondern die Streamingdienste zudem aufforderte, ihren Produktionspartnern mehr Einblicke in die Datenlage zu gewähren. Er sei aber sehr zuversichtlich, dass man dort verstehen werde, dass es auch für Kreative wichtig sei wissen, welche Inhalte welches Publikum erreichen. Doch mehr Offenheit zeichnet sich ja schon allein mit den jüngsten Ankündigungen von Netflix und Amazon ab, sich an einer unabhängigen Reichweitenmessung zu beteiligen.

Und nicht nur hier tut sich wieder etwas, tatsächlich blicken angesichts der Erkenntnis, dass das Wachstum des Streaming-Marktes endlich ist, auch viele Plattformen inzwischen selektiver darauf, in welchen Regionen ihnen welche Inhalte wirklich helfen - und welche Rechte man stattdessen nicht erwirbt, was den Produzenten und Distributoren wieder mehr Freiheiten lässt. Es bleibt also dabei, dass viele große Projekte nur dank mehrerer Partner finanziert werden können, wofür öffentliche Marktplätze wie der in Cannes hilfreich sind. Die MIPCOM hat als Reaktion darauf in diesem Jahr neu den "Seaview Producers Hub" eingerichtet, in dem es in mehreren Sessions rein um Koproduktions- und Finanzierungsfragen ging. Das zeigt auch: Es wird auf Dauer vielleicht nicht reichen, eine Messe wie früher zu veranstalten. Doch mit den richtigen Anpassungen muss das Geschäftsmodell Fernsehmesse noch lange kein Auslaufmodell sein.