Anfang des Monats wurde bekannt, dass Sie Ihre Firma an Leonine verkauft haben. Was wird dadurch anders?

Christian Beetz: Vieles verändert sich gar nicht in dem Sinne, dass wir weiter unserer Passion nachgehen, nämlich große Dokumentarfilme und dokumentarische Serien mit Leidenschaft im Team zu entwickeln und zu produzieren. Und das nach wie vor mit allen Partnern, mit denen wir auch bisher zusammengearbeitet haben – in jeglicher Konstellation. Aber natürlich verändern sich die Möglichkeiten, die wir nun durch die Leonine haben.

Wie viel Eigenständigkeit bleibt, wenn man plötzlich Teil eines großen Unternehmens ist?

Reinhardt Beetz: Ein entscheidendes Kriterium war es, dass unsere journalistische und kreative Unabhängigkeit gewahrt bleiben. Niemals wären wir Teil eines Konzerns geworden, in dem wir am Ende des Tages zu einer Werkbank degradiert worden wären, die zwischendurch noch die Umsetzung diverser Katalogformate voranbringen soll. Bei Leonine ist das anders. Wir freuen uns, Teil einer sehr dynamischen Gruppe zu sein mit all ihren kreativen Köpfen und Firmen, die schon heute in ihr vertreten sind.

Was erhoffen Sie sich davon?

Reinhardt Beetz: Der kreative Austausch ist uns sehr wichtig. Über die Jahre hinweg ist durch unseren internationalen Fokus ein riesiges Netzwerk entstanden aus Menschen, die uns vertrauen und mit denen wir gerne zusammenarbeiten. Das wird sich bei Leonine weiterspinnen lassen. Und vielleicht ergeben sich innerhalb des Hauses noch diverse Anknüpfungspunkte für fiktionale Serien oder TV-Movies, die sich mit unseren Dokumentarfilmen verbinden lassen.

Der Stellenwert des Dokumentarischen hat sich in den vergangenen Jahren spürbar verändert, weltweit ist die Nachfrage groß. Wie erklären Sie sich das?

Christian Beetz: Tatsächlich sehen wir großen Umbrüchen im Dokumentarfilmgeschäft entgegen. Auf der einen Seite findet eine Regionalisierung statt, auf der anderen Seite aber auch eine Internationalisierung, die von den Streamern getrieben ist. Es gibt weltweit ein international geprägtes junges Publikum, welches aufwendig erzählte Dokumentarfilme und -Serien liebt. Auf diese Entwicklung reagieren inzwischen auch die traditionellen Player, die nationalen Broadcaster, die sich gerade langsam mit ihren Mediatheken umstellen. Das lässt sich vielleicht ganz gut an unserer neuen Reeperbahn-Serie feststellen, die wir für die ARD Mediathek machen. Das internationale Interesse daran war schon vor einem halben Jahr auf der MIPTV groß, als wir das Projekt vorstellten, und gerade erst sind wir auf dem Filmfest Hamburg damit sogar in den Fiction-Wettbewerb aufgenommen worden und haben beim Produzentenpreis für Serien direkt gewonnen. Dies alles zeigt ein breiteres Publikumsinteresse. Die Wahrnehmung von Dokumentarfilmen hat sich verändert. Allerdings geht es dabei auch nur um eine ganz bestimmte Art von Dokumentarfilmen und Serien.

Und zwar?

Christian Beetz: Die Filme müssen das Publikum unterhalten und vielschichtig erzählt sein. 

Gibt es diesbezüglich ein Erfolgsgeheimnis?

Christian Beetz: Im Zentrum stehen das Erzählerische und Dramaturgische. Das wird häufig verkannt. Viele versuchen sich nur an einer thematischen Einordnung, aber das ist eben oft nicht ausreichend und zielführend. Es geht darum, unterhaltend, aber trotzdem mit Tiefgang zu erzählen. Das erhöht die Chance, ein internationales und breites Publikum anzusprechen.

Vermutlich verbunden mit der Bildsprache.

Christian Beetz: Absolut. Die Ansprüche sind sehr hoch geworden. Um die Sehgewohnheiten zu bedienen, braucht es eine bestimmte Bildsprache, verbunden mit dem entsprechenden Aufwand und komplexeren Produktionsstrukturen. Und da schließt sich letztlich auch der Kreis, weshalb wir uns mit Leonine zusammengeschlossen haben. Um bestehen und das Geschäft ausbauen zu können, brauchten wir einen starken Partner im Hintergrund, der den kreativen Prozess kennt und unterstützt.

 

"Wir stehen erst am Anfang, da sich Sehgewohnheiten nicht mehr zurückdrehen lassen."

 

Was leistet Leonine?

Reinhardt Beetz: Viele Teile des Tagesgeschäftes, wie IT, HR und Finance werden nun von der Leonine Holding übernommen, das bringt viel mehr Spielraum für das Kreative und die Entwicklung von neuen Stoffen.  Zudem können wir auf einen großen Development-Fund zurückgreifen, der für die nächsten Jahre gesichert ist. Das führt dazu, dass wir jährlich rund zehn bis fünfzehn Prime-Produktionen mit externen Partnern und Talenten entwickeln können. Unsere Ambitionen sind es, aus Deutschland heraus mehr Prime Dokumentarfilme und Serien für den internationalen Markt zu produzieren und dort zu reüssieren. 

Christian Beetz: Das war bislang eine extrem große Herausforderung, weil wir im Gegensatz zu unseren Mitbewerbern einen Wettbewerbsnachteil haben, z.B. für den Vertrieb nicht auf die englische Sprache zurückgreifen können, wie Engländer und Amerikaner. Vor allem aber, weil wir nicht die finanziellen Ressourcen in Deutschland haben wie beispielsweise die Franzosen oder gar die Dänen. Bei den hiesigen Sendern herrscht leider noch immer ein großer Low-Budget-Markt vor, der mit dem Produktionsrealismus nicht in Einklang zu bringen ist.

Worauf führen Sie das zurück?

Reinhardt Beetz: Wir haben durch ARD und ZDF über viele Jahre hinweg eine starke Monopolisierung im Dokumentarfilmbereich gehabt und keinerlei Interesse an vollfinanzierten Auftragsproduktionen. Das hat sich auf die Preise ausgewirkt. Durch die Streamer, aber auch durch die privaten, wie RTL hat sich der Markt aber inzwischen krass verändert. Und wir stehen erst am Anfang, da sich Sehgewohnheiten nicht mehr zurückdrehen lassen. 

Christian Beetz: Diese Entwicklung macht natürlich auch nicht vor den öffentlich-rechtlichen Sendern halt. Bei der Reeperbahn-Serie beispielsweise waren wir anfangs noch mit klassischen TV-Budgets unterwegs und weit weg von internationalen Budgets, die wir z.B. bei unserer Netflix Produktion „Rohwedder - Einigkeit und Mord und Freiheit“ zu Verfügung hatten. Durch einen großen gemeinsamen Kraftakt der ARD und viel Überzeugungsarbeit haben wir nicht nur mehrere Sender unter der Federführung des NDR, sondern auch mehrere Landesförderungen, den GMPF und den starken Vertrieb OneGate Media von der Idee überzeugen können. Gepaart mit einer erheblichen Summe an Eigenmitteln konnten wir das Budget schließen. Jetzt hoffen wir, dass die Serie beim nationalen und internationalen Publikum gut ankommt. Ein erstes sehr erfreuliches Screening hatten wir schon letzte Woche auf dem Filmfest Hamburg, international geht der Vertrieb jetzt auf der MIPCOM los. Der Zuspruch ist glücklicherweise für alle Partner sehr hoch.

Die Corona-Krise scheint überwunden, nun sind wir schon in der nächsten Krise. Wie sehen Sie sich gewappnet?

Reinhardt Beetz: Während Corona bedeutete, dass man kaum oder nur unter erschwerten Bedingungen reisen und produzieren konnte, macht sich jetzt die Energiekrise bemerkbar. Die gesamtwirtschaftliche Weltlage ist für unsere Branche eine große Herausforderung, die wir nur schwer überschauen können. Dennoch ist das Bedürfnis, gut informiert und unterhalten zu werden, nach wie vor vorhanden. Und dass in Krisen auch Chancen liegen können, haben wir selbst erfahren, als wir unsere "Rohwedder"-Dokuserie gemacht haben, die während der Corona-Zeit bei Netflix gestartet ist. Danach sind viele von den Öffentlich-Rechtlichen auf uns zugekommen, weil sie so etwas gerne auch bei sich gesehen hätten. Das führte zu Gesprächen, aus der letztlich auch die Reeperbahn-Produktion hervorgegangen ist. Das ist eine andere Art des Erzählens, unterhaltsam, aber trotzdem mit den ureigenen Marken des Öffentlich-Rechtlichen. 

Lassen Sie uns abschließend noch auf die Anfänge Ihrer Firma blicken. Was hat Sie überhaupt dazu bewogen, vor mehr als 20 Jahren eine gemeinsame Firma zu gründen?

Christian Beetz: Uns eint ein breites Interesse an der Welt. Wir waren beide im Ausland, haben die Welt bereist und früh die faszinierende Diversität gesehen. Was gibt es Schöneres, als daraus einen Beruf zu machen? Daher rührt letztlich auch das Herz fürs Internationale, für unterschiedliche Kulturen und Geschichten von Menschen, und diese Welt in Dokumentarfilme zu transferieren. 

Reinhardt Beetz: Nach meinem Regiestudium war ich knapp zwei Jahre in Amerika und habe dort viel gelernt, weil es zum damaligen Zeitpunkt zwischen Amerika und Deutschland relativ wenige Berührungspunkte gab. Bei der Produktionsfirma, für die ich gearbeitet habe, haben wir viel für Discovery oder National Geographic gemacht und waren zum Beispiel die erste Firma, die in HD Dokus produziert hatte. Entscheidender für mich war allerdings die Erfahrung, wie wichtig es ist, immer wieder über den eigenen Tellerrand zu schauen, der Teamgedanke, gepaart natürlich mit dem Spirit und dem Unternehmergeist, der dort bis in die kleinste Haarspitze ausstrahlte. Mit diesem Wissen und dem Wissen, das Christian hatte, haben wir uns damals zusammengefunden und einfach mal damit begonnen, unsere ersten Projekte auszuprobieren. Klar, jedes Probieren hat auch ganz viel mit Scheitern zu tun, denn es wartet ja niemanden auf einen. Aber glücklicherweise hat es in der Rückbetrachtung funktioniert. Und so schließt sich nun auch der Kreis zu unserem neuen Partner Leonine. Wir schätzen den kreativen Austausch, den Teamgeist und möchten noch lange Zeit das machen, was uns am Herzen liegt.

Vielen Dank für das Gespräch.

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