Der TV-Werbemarkt unter Druck und immer mehr Streamer überdenken ihre Programm-Investitionen: Gut oder schlecht für das Formatgeschäft als vielleicht auch günstigere Alternative zu fiktionalen Programmen?

Schlecht. Sicherlich, kurzfristig können dann auch non-fiktionale Formate profitieren, aber wenns günstig gehen muss, wären auch Serien-Wiederholungen eine Alternative. Und weniger Geld bedeutet letztlich weniger Beauftragungen und auch weniger Risikobereitschaft. Fernsehsender und Streaming-Anbieter verlassen sich lieber auf ihre bewährten Hits, Franchises, langlebige Marken und Reboots. Das ist also gut für schon eingeführte Sendungen, egal ob mit oder ohne Drehbuch.

Hat der anhaltende Streik der Schauspielerinnen und Schauspieler in Hollywood einen Effekt auf die Nachfrage nach non-fiktionalen Formaten?

Theoretisch ja, der Appetit ist da, egal ob bei linearen Sendern oder Streamingdiensten, aber es gibt nicht viele Hit-Formate, die die ganz große Zuschauermenge anziehen. 

Ist Reality derzeit immer noch das meistgefragte Genre im Markt?

Die meistgefragten Genres sind derzeit Dating und Adventure. Im Grunde genommen am liebsten mehr „Traitors“ und mehr „Love Island“, um die beiden Genre-definierenden Formate der letzten Jahre zu nennen. Diese beiden Arten von Shows haben den Vorteil, dass sie mehr Erfolg dabei haben, jüngere Zuschauerinnen und Zuschauer zu erreichen als es z.B. Quiz-Sendungen schaffen.

Dann kommen wir doch zur wichtigsten Frage: Sehen Sie einen neuen Trend im Bereich der Formate?

Seltsamerweise ist der neueste Trend, den wir sehen, Dating für Senioren. Bis vor kurzem setzten Sender und Streamer auf Dating, um jüngere Zielgruppen anzusprechen. Sie sahen im Dating eine mögliche Lösung dür das Problem mit den Jungen, aber das wurde jetzt erschöpfend bedient. Die neueste Wendung ist deshalb Dating für Senioren oder zumindest Dating-Formate, die auch ältere Erwachsene sich gerne angucken. Senioren sind die Zukunft des linearen Fernsehens. „The Golden Bachelor“ war bei ABC gerade ein Überraschungserfolg und wird andere inspirieren. „My Mum, your dad“ bei Vox hat ja auch ins gleiche Horn geblasen. Generell könnte das selbsternannte "Old-School-Fernsehen" ein Trend für lineare Fernsehsender sein. 

Und wie sieht es gerade vor dem Hintergrund mit der Studio-Show aus? 

Bei Studioshows bleibt das Visuelle im Fokus neuer Formate, möglichst spektakulär und leicht wiedererkennbar. Bei "The 1% Club" und "The Floor" haben Sie 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Diese Shows eignen sich gut für ältere Zielgruppen; die Kernzielgruppe für lineare Sender. Klassische Quizsendungen sind in vielen Märkten gerade sehr stark in der Daytime; manchmal auch Primetime. 

Welches sind gerade die interessantesten Märkte? Bleibt nach „The Masked Singer“ der Fokus noch auf Asien? 

Es gibt immer noch ein großes Interesse an allem, was koreanisch ist, und Südkorea unternimmt viele Anstrengungen, um westliche Käufer zu verführen. Aber im Moment gibt es kein neues Hitformat aus dieser Region. Fiction aus Korea macht starke Fortschritte, aber Non-Scripted stagniert aus internationaler Sicht seit „The Masked Singer“ und „I can see your voice“. Es gibt immer große Neugier auf das, was aus Japan kommt, aber aktuell nichts konkretes. Da sind belgische Formate für Käuferinnen und Käufer gerade zugänglicher: „Destination X“ ist eine der interessantesten Sendungen des Jahres.

Neben großen Formaten für die Primetime: Gibt es interessante neue Ideen oder Entwicklungen im Bereich der Daytime? 

Das Tagesprogramm ist in vielen Märkten seit Jahren weitgehend unverändert.  Quiz-Sendungen bleiben bei älteren Zielgruppen sehr beliebt. Das ist kein Ort für Innovationen. Die letzte Innovation in der Tageszeit war tatsächlich der Boom der Scripted Reality in Deutschland vor vielen Jahren! Was Factual Entertainment betrifft, so gibt es seit kurzem ein Comeback der Renovierungs-Formate, die sozusagen durch den Recycling-Trend aktualisiert wurden. Second Hand, Second Life. Das Hauptthema im Factual Entertainment ist jetzt: Wie kann ich ein besseres Leben führen; ein neues Leben nach meinen Werten?

In Cannes sind alle auf der Suche nach dem Neuen, aber welche altbewährten Formate haben gerade Ihrer Recherche nach ein besonders starkes Jahr?

Das hängt vom betrachteten Markt ab. „The Voice“, „Got Talent“, „Temptation Island“ und „Big Brother“ laufen großartig. Einige Reboots haben starke Ergebnisse. Wir zitieren gerne das Beispiel von „Grand Prix“, einer verrückten Old-School-Gameshow aus den 90er Jahren in Spanien, die dieses Jahr zum Hit des Sommers wurde.

Ein nachgefragtes Gimmick der vergangenen Jahre war das interaktive Element von Formaten, um das Publikum einzubinden. Ist das immer noch so relevant?

Wenn es um Interaktivität geht, gibt es wahrscheinlich nichts Besseres als Twitch. Das ist reines interaktives Fernsehen. In Spanien gibt es ein klassisches lineares Game-Show-Format, das auf Twitch getestet werden soll. Wir sind gespannt, ob es dort eine Zukunft gibt.  Ansonsten ist die Interaktivität mit Formaten im linearen Fernsehen so gut wie nicht vorhanden, sie ist aufgegeben worden.

Letzte Frage: Wie steht es mit Scripted Formats, gibt es die noch?

Dieser Markt stagniert seit vielen Jahren: weniger als fünf Prozent der neu auf den Markt gebrachten Fiktion basiert derzeit auf Scripted Formats. Das Problem ist, dass das Publikum heute offener für ausländische Produktionen ist und sich im Zweifel einfach die Originalversion angesehen wird. 

Virginia, herzlichen Dank für die Insights