Ein "Polizeiruf 110" vom MDR? Da bin ich konditioniert, frühzeitig abzuwinken. Ich habe da leidvolle Erfahrungen mit betulichen Kommissaren und langweiligen Inszenierungen. Hatte ich schon, brauch ich nicht. Aber halt! Alles ist jetzt anders. Auf einmal kommt ein MDR-Polizeiruf daher, der mit Wucht alle schlechten Erfahrungen hinwegfegt und nur einen kleinen Fehler hat.

Claudia Michelsen spielt die Neue in dieser Reihe. Sie ist Hauptkommissarin Doreen Brasch, sie ermittelt in Magdeburg. Wer Michelsen bisher vor allem als gepflegte Augenaufreißerin aus Produktionen wie „Der Turm“ kennt, kann alles vergessen. Hier ist sie anders. Sie spielt eine mehr als burschikose Ermittlerin, eine, die gerne mal Fünfe gerade sein lässt und mit atemberaubender Reflexkraft alle körperlichen Angriffe kontert. In ihrer durchschlagenden Art trägt sie beinahe schon Schimanski-hafte Züge. Allerdings lässt sie erfreulicherweise dessen Weinerlichkeit vermissen.

Dabei hätte sie allen Grund, weinerlich zu werden. Sie ermittelt in einem Mordfall. Ein Asylbewerber wird in einem Fitnessstudio tot aufgefunden. Von Kugeln durchsiebt. Hinter der Theke und im Keller sind Dopingmittel versteckt. Schnell gerät der Studiobetreiber ins Visier der Ermittler. Aber dann stellt sich heraus, dass das Opfer schon tot war, als es erschossen wurde. Die damit gelegte Spur führt Brasch ins rechtsextreme Milieu von Magdeburg. Sie platzt in die Probe einer üblen Band und nimmt den Schlagzeuger vorübergehend fest. Zwei Szenen weiter stellt sich heraus, dass der Mini-Nazi ihr Sohn ist. Der aber will von der Mutter nichts wissen, er hat schon überall herumerzählt, sie sei vor einem Jahr gestorben.

Natürlich ist das nur der Anfang der Ermittlungen, die sich in mehrfacher Hinsicht höchst spannend gestalten. Brasch muss nämlich nicht nur mit der einen Front klarkommen, nicht nur mitansehen, wie ihr Sprössling ins Unglück rennt. Sie bekommt mit dem von Sylvester Groth großartig gespielten Kollegen Jochen Drexler einen komplett anders gearteten Mitspieler an die Seite gestellt. Drexler ist in so ziemlich allen Belangen das Gegenstück zu Brasch. Drexler ist ordentlich und korrekt bis an den Rand des Verrats. Er findet natürlich heraus, dass seine Kollegin vor vielen Jahren mal etwas mit dem verdächtigen Fitnessbudenbesitzer hatte.

Die Autoren Christoph und Friedemann Fromm haben sehr viele Fäden in die Hand genommen. So viele, dass man mehrfach fürchtet, ihnen könnte der eine oder andere Handlungsstrang etwas schlaff werden. Aber dem ist nicht so. Zu verdanken ist das der Regie, die Friedemann Fromm vorsichtshalber gleich selbst übernommen hat.

Das ist ein großes Glück, denn so werden die Figuren klug geführt und Situationen so gestaltet, dass es beinahe schon weh tut. Besonders wenn ein stadtbekannter Rechtspopulist und sein aalglatter Anwalt mit eisigem Lächeln ihre rechtliche Unangreifbarkeit auskosten, kocht auch beim Zuschauer schnell die Wut. Man möchte so gerne mit Brasch auf sehr bestimmte Weise reagieren, aber man darf nicht.

Im Vorfeld hat es einiges an Protesten gegeben, weil es etliche in Magdeburg nicht gerne sehen, dass das Thema Rechtsextremismus ausgerechnet in ihrer Stadt spielen muss. Viel lieber hätten sie wohl einen der üblich betulichen MDR-Krimis gehabt. Einen Imageschaden für Magdeburg befürchtete man, so als wäre da viel zu verderben. Ein bisschen wirkten die Reaktionen wie jene, die einst in Duisburg die Diskussionen über Schimanski prägten. Im Prinzip ist das verständlich, und es wird wohl tatsächlich eine Weile dauern, bis die Magdeburger merken, was sie an einer wie der Brasch haben. Die sendet nämlich ein klares Signal in die Restrepublik: Hier schwappt es, aber hier wird etwas getan gegen die braune Brühe, und gemeint ist ausnahmsweise mal nicht das Elbehochwasser.

Claudia Michelsen ist ein Glücksgriff für diesen Polizeiruf. Sie kann sehr offensichtlich weitaus mehr als sie in ihren bisherigen Produktionen offenbaren durfte, und ihre zur Schau getragene Körperlichkeit ist geradezu atemberaubend. Nur eine Kleinigkeit stört diesen ansonsten wunderbaren Film. Wenn Kommissarin Brasch auf ihrem Motorrad durch die Stadt düst, dann irritieren die dicken Packtaschen an der Maschine. Das passt nicht zu Figur. Das sollte man bei späteren Produktionen dringend ändern. Womit aber auch schon gesagt wurde, dass spätere Produktionen folgen sollten. Dringend.