Frau Biernat, wie schwer fällt ein Abschied nach einem Vierteljahrhundert an gleicher Wirkungsstätte?
(lacht) Ich bin ja noch dabei Abschied zu nehmen, daher kann ich die Frage jetzt noch nicht abschließend beantworten. Wenn ich ehrlich bin: Es reißt mich gerade immer hin und her. Einerseits bin ich ganz fein damit, denn mit Blick auf mein Alter habe ich nie einen Hehl daraus gemacht, dass irgendwann der Moment kommt, an dem ich lieber Platz machen möchte. Lieber so, als die Person zu sein, bei der sich alle gewünscht hätten, sie wäre schon vor fünf Jahren gegangen. Andererseits fühlt es sich schon etwas komisch an, weil es kein Abschied ist, um eine neue oder weitere Aufgabe zu übernehmen. Ich habe alles – aber zum ersten Mal in meinem Leben – keinen weiteren Plan. Das ist ganz neu für mich.
Ist das denn etwas Negatives?
Genau das weiß ich eben nicht. Eigentlich ist es ganz aufregend, weil das eine Freiheit ist, die ich nicht kenne. Aber was fängt man mit sich an, wenn man aus Jahrzehnten einer 60 Stunden-Woche herausfällt? Nichts tun – das kann ich nicht. Vielleicht kann man das ja lernen.
Macht die Stimmung in der Branche den Abschied gerade eigentlich leichter?
Das versuche ich mir zwar gerade einzureden, damit diese Entscheidung noch ein Schleifchen um den Karton bekommt, und wenn man diese Branche sehr klassisch als lineares Fernsehen betrachtet, dann haben wir vielleicht den Gipfel erreicht, aber so klassisch definiert sich ja nicht mal mehr das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Eigentlich sehe ich für die Branche so viele Möglichkeiten, über die wir nur viel zu lange nie nachdenken mussten, weil immer alles so lief, wie wir es kannten. Die Not muss erst groß genug werden. Jetzt gilt es zu entdecken, was möglich ist. Nicht nur mit KI, auch in Kooperationen. Wer geht mal auf wen zu? Wer öffnet sich und wer denkt mal anders? Als leidenschaftliche Optimistin glaube ich also weiterhin fest daran, dass das Glas halb voll ist.
Ist die aktuelle Entwicklung also nur eine Wellenbewegung, wie die Branche sie schon häufiger erlebt hat?
Es ist so viel Bewegung und Veränderung in der Branche, dass ich glaube, es wird einfach anders. Wir sollten aufhören, davon zu träumen, dass wir Budgets von früher zurückbekommen. Das Geld ist längst neu verteilt und wir brauchen als kreative Branche neue Antworten, um wieder mehr davon abzubekommen. Diesen Umbruch haben wir alle kommen sehen, aber der lange schleichende Prozess hat zuletzt ganz schön Fahrt aufgenommen. Wenn wir doch alle der Meinung sind, „Weiter so“ gehe nicht mehr – dann lasst uns doch auch nicht weiter so machen.
Haben Sie die Hoffnung, dass die Branche aus der Bequemlichkeit erwacht?
Wir sind am Ende des Sparens angekommen, irgendwann bleibt von Formaten nichts mehr übrig! Nehmen wir „DSDS“: Mit RTL diskutieren wir, wie viele Castingsendungen es braucht. Die werden natürlich pro Stück billiger, wenn wir mehr machen. Und sind sowieso günstiger als alles im Studioset. Wenn nach immer mehr Casting-Folgen aber gar keine Live-Show mehr kommt, kippt das Format. Dann reden wir im Grunde auch von einer ganz anderen Idee. Gemeinsam mit RTL und Fremantle sowie dem Co-Owner des Formats ist es uns natürlich wichtig, immer auch eine gute Lösung für das Format zu finden.
"Das echte Leben besteht auch nicht aus Schnitt, Gegenschnitt."
Aber über „DSDS“ sind Sie, anders als mit dem „Supertalent“, weiter im Austausch mit RTL?
Unbedingt. Das „Supertalent“ macht jetzt erstmal Pause. Bei „DSDS“ sprechen wir über eine neue Staffel in der kommenden Saison. Da sind wir mit den Timings zuletzt innerhalb des Jahres mehrfach gewechselt. Wir sind in Gesprächen mit RTL, wie man die kommende Staffel ausgestaltet. Ich persönlich glaube, dass wir uns auf die Kandidat*innen fokussieren sollten, weil wir bei Form und Effekten wirklich viel schon ausprobiert haben bei den Castings. Wir haben uns als Branche mit manchem Überproduzieren vielleicht auch ein Glaubwürdigkeitsproblem eingehandelt. Das echte Leben besteht auch nicht aus Schnitt, Gegenschnitt. Wenn wir uns anschauen, was funktioniert beispielsweise bei TikTok: Alles, was sich authentisch anfühlt. Da existierten oft keine großen Settings. Man könnte sich doch davon mal was abgucken.
Kann oder muss das Fernsehen von TikTok lernen?
Wir müssen auf jeden Fall ein anderes Auftreten finden. Es empfiehlt sich, das eigene Podest zu verlassen und sich nicht für etwas Besonderes zu halten, weil wir das für eine neue Generation von Creatorn nicht mehr sind. Sie brauchen keine Produktionsfirmen, um allein Content zu erstellen. Sie sind auch gewohnt, dass ihnen niemand reinredet. Deswegen können wir auch nicht einfach nach unseren Regeln mit ihnen arbeiten wollen. Wir können fragen, ob wir helfen können. Anders siehts aus, wenn es um Formate geht. Es gibt im Grunde nur zwei Optionen: Entweder die ganz große Produktion, für die es die nötige Expertise braucht. Wobei ich auch da mit dem Zeitgeist gehen würde, also lieber ein Live-Event on Location als eine große Studioshow. Oder, die andere Option, man lernt von dem, was für wenig Geld auf TikTok begeistert.
Aber ausgerechnet internationale Streamingdienste entdecken gerade z.B. die Gameshow für sich…
Ist doch klar. Die müssen auch nach neuen Zuschauer*innen suchen, haben jetzt alle besonders streaming-affinen Menschen erreicht und gehen auf die zu, von denen es noch sehr viele gibt: Die Fernsehzuschauer*innen. Das ist doch völlig berechtigt. Aber umso wichtiger wäre für die Sender jetzt, Experimentierflächen zu haben, damit sie auch mal was Neues finden. Und nicht immer wieder das Gleiche in neuer Farbe zu probieren. Wir haben da auch mitgemischt, aber ich kann „Retro“ und „Back to the roots“ nicht mehr hören. Und dass die Unterhaltung oder das Fernsehen tot ist – das glaube ich erst, wenn es soweit ist. TV ist schon so oft totgesagt worden während der letzten Jahrzehnte und siehe da: es hat immer noch seine Berechtigung und die wird es noch eine lange Zeit haben.
"Raus aus den Studios. Weil Shiny Floor für manche Zuschauer*innen schon „Achtung Fake“ schreit."
Womit könnte UFA Show & Factual auch nach ihrem Ausscheiden denn gerade im Markt punkten?
Mehr mit Factual als mit Show, glaube ich. Da ist noch viel möglich, wenn man die richtigen Themen erzählt. Es ist vor allem auch eine Kostenfrage in der aktuellen Marktsituation. Mit On Location lässt sich oft ein Drittel der Kosten sparen. On Location könnte man auch mal für Gameshows denken. Ich glaube, derzeit gilt einfach: Raus aus den Studios. Weil Shiny Floor für manche Zuschauer*innen schon „Achtung Fake“ schreit. Im Sinne: Das ist so poliert, geglättet, geschnitten und optimiert.
Darum wird sich das Duo kümmern müssen, das Ihre Aufgabe übernimmt. Lassen Sie uns zum Schluss nochmal bilanzieren, nach so langer Zeit an gleicher Wirkungsstätte. Auf was sind Sie stolz nach den 25 Jahren bei UFA Show & Factual?
Oha. Mir fällt Stolz sein total schwer, weil ich mir eher ein Loch in den Bauch freue, wenn mir etwas gelingt. Da bin ich auch nach all den Jahren eher freudig überrascht, als dass ich dann Stolz empfinden würde, wenn was richtig gut klappt. Also würde ich lieber sagen: Ich bin sehr glücklich, dass es mir gelungen ist, die UFA Show & Factual 25 Jahre lang, wie wir es intern nennen, als „Arschloch-freie Zone“ geführt zu haben. Mir ist der Teamgeist, das Betriebsklima sehr wichtig. Und das ist eine ständige Aufgabe, das bleibt nicht so nur gut, weil man es einmal erreicht hat. Daran muss man permanent arbeiten. In dieser turbulenten Branche ist das etwas, was mich glücklich macht. Okay, auch ein bisschen stolz (lacht).
Vor einem Vierteljahrhundert, lange bevor die Branche sich Gedanke über Equality und Diversity gemacht hat, die Geschäftsführung einer Produktionsfirma zu übernehmen und durch eine damals noch deutlich Testosteron-getriebenere Branche zu steuern… darauf könnte man doch auch stolz sein, oder nicht?
Aber ich bin doch damals nur per Zufall hier gelandet. Kennen Sie die Geschichte nicht?
Wir können gerne mal 25 Jahre zurück reisen…
Wir waren damals die Fusionsmasse aus All America, Fremantle und Grundy TV und wurden zu Pearson fusioniert. In der Gemengelage gab es verschiedene Überlegungen, wie man das Unternehmen gemeinschaftlich führen könnte, aber es stellte sich heraus, dass Männer nicht gewohnt sind, Macht zu teilen. Und weil sich die Männer der verschiedenen Häuser untereinander nicht einig wurden, war der Weg frei für mich. Ich dachte mir damals: Ich mach das mal so lange es gut geht und habe die Ärmel hochgekrempelt. Wir hatten drei Sendungen und 30 Mitarbeiter*innnen. Da war das Team noch klein. Aber ich war damals nicht die erste Frau in der Branche. Es gab schon Christiane Ruff, die damals schon die Sitcom-Königin war. Also es gab vereinzelt Frauen in Führungspositionen, vorallem im Fiktionalen. In der Unterhaltung eher weniger und das ist heute immer noch so. Und dann kann ich mir heute auch nicht mehr so ganz erklären, wie es zu den 25 Jahren kommen konnte.
Gut, es kam unmittelbar danach „Deutschland sucht den Superstar“ mit Zuschauerzahlen im zweistelligen Millionenbereich und damit der große Erfolg…
Aber ich möchte das nicht verklären: Das war damals das große Hit-Format, das gerade in mehreren Ländern gestartet war und wir durften es nach Deutschland bringen. Das war jetzt kein Erfolgsrezept, das wir uns hier zuschreiben können. Dass wir weit länger erfolgreicher geblieben sind damit, das war dann unsere Stärke und unser Erfolg.
Einst also vielleicht auch deshalb ausgesucht, weil Sie fürs Buddy-Business der Männer keine Gefahr darstellten. Wann kam das Gefühl als Geschäftsführerin nicht mehr so unterschätzt zu werden?
In den Finanzsitzungen war angesichts unserer gestiegenen Umsätze schon sehr schnell klar, wie groß und wichtig unsere Arbeit ist. Und das ist die härteste Währung, in der sich Anerkennung messen lässt. Wann das war? Ach, ich weiß es nicht. Ich war zu sehr mit dem Machen beschäftigt, als dass mich die Wirkung interessiert hat. Da sind Männer vielleicht anders. Ich habe über die Jahre auch dazugelernt, bei Bedarf die Zähne zu fletschen. Deutlicher, schneller auf den Punkt zu kommen. Aber immer auf die Ute-Art. Ich wollte nie ein besserer Kerl werden, ich habe die Kleider und Stöckelschuhe nie aufgegeben.
Dann zum Abschluss die Frage: Gibt es etwas, was Sie in den 25 Jahren bereut haben?
Ach, jede Menge. Wie viel Zeit haben wir? Also… ich bereue viele Dinge, weil ich sie nicht gemacht habe.
"Ich gelobe, nicht die alte Tante zu sein, die dann immer noch kluge Ratschläge erteilt."
Das ist mir jetzt aber eine etwas zu einfache Antwort…
Ich fand die super. So schön kurz, das kennt man gar nicht von mir (lacht). Also gut, ich tue mich schwer mit dem Wort bereuen, weil das gleich ein sehr heftiges Wort ist. Aber die größte berufliche Krise hatte ich sicherlich mit „Gottschalk live“. Da wollte ich es allen recht machen. Den vier beteiligten Sendern, dem Thomas, den Autoren, dem ganzen Team. Wir haben etwas total Neues probiert, auf einem ganz neuen Sendeplatz. Da war rückblickend einfach viel zu viel neu. Ich danke Thomas heute noch für den Mut, die Idee durchzusetzen. Was ich mir aber bis heute nicht verzeihe ist, dass ich da viel zu optimistisch ran gegangen bin. Dass ich das nicht habe kommen sehen; dass die Alarmglocken nicht früher bimmelten – daran habe ich geknabbert. Ich tröste mich manchmal mit der Betrachtung, dass wir vielleicht einfach nur ein bisschen länger hätten aushalten müssen.
Und wenn bald Tag X kommt, wo ein Fernsehjunkie wie Sie erstmal raus ist…
Vor dem Tag habe ich ein bisschen Schiss, gebe ich gerne zu. Das Komische ist: Ich weiß ja, wie alt ich bin. Und dass das alles dann irgendwann auch mal gut ist. Und trotzdem geht jetzt gerade alles schneller als ich dachte. Meine beiden Nachfolger*innen stehen in den Startlöchern. Und ich gelobe, nicht die alte Tante zu sein, die dann immer noch kluge Ratschläge erteilt. Aber eine Übergabe mache ich selbstverständlich noch (lacht).
Und was macht Ute Biernat dann nach 25 Jahren UFA Show & Factual? Wird das schon der Ruhestand?
Ich habe mir schon tausend Sachen überlegt, die man machen könnte. Aber zwei Sachen werden es auf keinen Fall sein: Kochen oder Golfen lernen. Nichts für mich. Bei allem Anderen gilt: Schauen wir mal, was sich ergibt. Für so eine Entscheidung brauche ich jetzt erstmal eine Pause.
Frau Biernat, herzlichen Dank für das Gespräch.