Selten wurde die medienpolitische Realität so prägnant zusammengefasst - und das will bei einem mehr als 300-seitigen Papier etwas heißen: Die KEK, Hüterin des Wettbewerbs im Sinne der Meinungsbildung, sieht den ihr gesetzlich vorgegebenen Rahmen zur Bewertung von Vielfalt in der Meinungsbildung als überholt an und mahnt zu dringenden Änderungen, um dramatische Folgen für die Sicherung von Meinungsvielfalt abzuwenden. Entsprechend des gesetzlichen Auftrags aus § 60 Absatz 6 MStV gibt die KEK in ihrem am Dienstag vorgestellten, achten Konzentrationsbericht, einen Überblick über Konzentrationsentwicklungen sowie Maßnahmen zur Sicherung der Meinungsvielfalt im privaten Rundfunk. Titel: "Social Media, KI & Co. –Neue Gefährdungslagen für die Meinungsvielfalt."

Georgios Gounalakis © KEK
In Richtung Medienpolitik formuliert der Vorsitzende der KEK, Prof. Dr. Georgios Gounalakis, die wichtigste Forderung einer notwendigen Neufokussierung. „Vielfaltsgefährdungen bestehen längst nicht mehr nur im Zusammenhang mit der Veranstaltung von linearem Fernsehen. Im Zeitalter der Digitalisierung, global agierender digitaler Plattformen und Intermediäre sowie einer deutlich veränderten Mediennutzung kann die KEK im Rahmen ihrer Medienkonzentrationsberichte nicht die Augen vor der Medienwirklichkeit verschließen“, so die deutlichen Worte von Gounalakis. Der vorgelegte Bericht untermauert diese Forderung durch eine neue Herangehensweise.

Die Kommissionsmitglieder haben sich vor diesem Hintergrund mehrere Schwerpunktthemen vorgenommen und diese in Teams tiefergehend beleuchtet. Dabei wurden Entwicklungen dargestellt, Wirkmechanismen offengelegt, etwaige Vielfaltsgefahren benannt, rechtliche Einordnungen abgegeben, regulatorische Herausforderungen aufgezeigt und teils Lösungsansätze formuliert. Dieser bereiter aufgestellte Gefährdungsbericht ist ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Medienpolitik.

Realität unvereinbar mit kleinteiliger Vielfaltssicherung

Damit nimmt die KEK eine bemerkenswert offensive Position ein, denn auf den ersten Blick hat sich an der Konzentration im Bereich der klassischen Medienmärkte gegenüber dem vorherigen Konzentrationsbericht keine gravierende Veränderung ergeben, wenn dann im Negativen: Klassische Medienangebote wie lineares Fernsehen und noch stärker die gedruckten Tageszeitungen verlieren immer weiter an Nutzungszeit und Nutzern. Im Hörfunkmarkt gebe es „geringe Dynamik“. Doch genau diesen Eindruck der unwesentlichen Veränderungen will der Vorsitzende der KEK, Prof. Dr. Georgios Gounalakis, vermeiden. Die Realität sei unvereinbar mit „einer kleinteiligen, auf einzelne Mediengattungen begrenzten Vielfaltssicherung“.

Die neben die klassischen Medienangebote getretenen digitalen Angebote sind inzwischen nicht nur fester Bestandteil des Informationsrepertoires eines Großteils der Bevölkerung, sie haben diese teilweise bereits überholt. Inzwischen stellt das Internet den wichtigsten Zugang zu Nachrichten für die erwachsene Bevölkerung in Deutschland dar und hat zudem das größte Meinungsbildungsgewicht. Getrieben vom Mediennutzungsverhaltung insbesondere der jüngeren Generation, profitieren zunehmend Anbieter digitaler Plattformen und Intermediäre. Suchmaschinen und Social-Media-Plattformen komme inzwischen ein hoher Einfluss auf die Meinungsbildung zu.

Die spezifische Plattformökonomie und der zunehmende Einsatz von künstlicher Intelligenz haben das Potenzial, diesen Prozess noch erheblich zu beschleunigen. KI gilt dabei als Schlüsseltechnologie und „Konzentrationsbeschleuniger“, heißt es von der KEK. Die Folgen für die klassischen Medienhäuser und insbesondere den Journalismus könnten in naher Zukunft dramatisch sein. Aus diesem Grund benötige die KEK „einen zeitgemäßen Handlungsspielraum sowie Befugnisse zu wirksamen Vielfaltssicherungsmaßnahmen“.

Hoffnungsschimmer für deutsche Medienhäuser

Der Blick geht auf die europäische Ebene: Der European Media Freedom Act (EMFA) sieht eine gattungsunabhängige Bewertung von Zusammenschlüssen auf dem Medienmarkt vor. Allerdings fehlen Sanktionsmaßnahmen, kritisiert die KEK. Dennoch gebe der EMFA nach Ansicht der KEK einen weiteren wichtigen Impuls für die nötige Reform des Medienkonzentrationsrechts. Der KEK-Vorsitzende Gounalakis gibt sich optimistisch: „Nach jahrelangem Stillstand muss durch das Umsetzungserfordernis des EMFA das bestehende Medienkonzentrationsrecht endlich angepasst werden. Die europäischen Vorgaben weisen dabei eindeutig in eine klare Richtung, die unvereinbar ist mit einer kleinteiligen, auf einzelne Mediengattungen begrenzten Vielfaltssicherung.“

Eine Forderung mit zwei Konsequenzen: Einerseits die sehr komplexe Frage, wie sich Medienvielfalt und Meinungsvielfalt über diverse Medien-Gattungen und nicht in Deutschland ansäßigen Anbietern gewährleisten und im Falle eines Verstoßes sanktionieren ließe. Wesentlich unmittelbarer aber wäre die Konsequenz für die bisher singulär betrachteten Mediengattungen in Deutschland: Die KEK definiert Marktkonzentration erstmals - und anders übrigens als das Bundeskartellamt - mit einem erweiterten Blickwinkel. 

In den vergangenen 20 Jahren wurde trotz immer neuer Konkurrenzangebote aus dem Ausland die Konzentration von Mediennutzung z.B. im linearen Fernsehen singulär betrachtet. Das führte zu mehrfach untersagten Übernahmen oder Beteiligungen im deutschen Markt, weil eine Konzentration befürchtet wurde - so als würde es denn Wettbewerb mit YouTube, Netflix, Prime Video, TikTok und Co. nicht geben. Das wurde oft beklagt. Die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich hat den Hilfeschrei der Branche, wonach es Zusammenschlüsse zu ausreichend starken Playern brauche, um der internationalen Konkurrenz etwas entgegensetzen können, ganz offenbar gehört.

Der jetzt vorgelegte, achte Konzentrationsbericht der KEK schließt nach 311 Seiten mit den Worten: "Es bleibt zu hoffen, dass die Länder sich auf die durch den europäischen Gesetzgeber angestoßene notwendige Reform zur Sicherung der Meinungsvielfalt verständigen. Der EMFA gibt dazu hinreichend Anlass, Vielfaltssicherung im digitalen Zeitalter als unabdingbare Demokratiesicherung nicht nur zu begreifen, sondern auch umzusetzen und neu zu denken."

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