Mehr als neun Millionen Zuschauer erreicht der "Tatort" in diesem Jahr im Schnitt - Tendenz steigend. Allzu viel hat die ARD also offensichtlich nicht falsch gemacht. An Kritik mangelt es allerdings trotzdem nicht. In einem lesenswerten Interview mit Christian Buß hat Gebhard Henke, seines Zeichens verantwortlich für Fernsehfilme, Kino und Serien beim WDR und noch dazu "Tatort"-Koordinator der ARD, bei "Spiegel Online" seine Sicht der Dinge dargelegt. "Ich persönlich fühle mich zwar von bissigen Vergleichen von Fernsehkritikern gut unterhalten, aber Sie unterschätzen, wie schwierig es ist, einen 'Tatort' mit Brisanz anzufüllen, ohne ständig das Publikum zu überfordern", so Henke, der mit Blick auf den aus Jugendschutzgründen auf 22 Uhr verschobenen Kölner "Tatort" schon mal ankündigt, Grenzen austesten zu wollen.

Den Vorwurf, dass der Kölner "Tatort" sonst oft eintönig daherkomme, weist Henke allerdings zurück. "Was Sie als Eintönigkeit kritisieren, nenne ich Stil. Gerade der Kölner 'Tatort' mit seiner austarierten Tonalität bietet einen guten Rahmen, in dem sich leichthändig schwierige gesellschaftliche Stoffe erzählen lassen. Nicht jeder 'Tatort' muss didaktisch wie eine "Spiegel"-Reportage daherkommen. Reichlich Kritik erntete zuletzt auch der neue Erfurter "Tatort", der mit mehr als zehn Millionen Zuschauern jedoch überaus erfolgreich startete. Angesprochen auf einen unsinnigen Plot und schwache Dialoge übte sich Henke allerdings in auffallender Diplomatie. "Als 'Tatort'-Koordinator schätze ich alle 'Tatort'-Teams wie meine eigenen Kinder. Keines mehr, keines weniger. Also: kein Kommentar."

Generell gehe es aber um eine Weiterentwicklung der 43 Jahre alten Reihe. "Da müssen Sie zuweilen massive Impulse setzen, die unterschiedlichen Formate müssen Kante zeigen." Henke selbst sieht sich dabei "eher als Markenschützer", wie er sagt. Gleichzeitig sei es wichtig, Kinostars wie Til Schweiger zu engagieren. "Die Aufregung und der daraus entstehende Hype kann dem 'Tatort' nur guttun." Aus der Reihe tanzt auch der "Tatort" aus Münster, der zuletzt jedoch ungewöhnlich ernst daherkam. "Wir hatten immer den Anspruch, den Münsteraner 'Tatort' auch für ernstere Themen offenzuhalten. Wir haben häufig schwierige Fälle gedreht, die dann aber eben auch Pointen hatten. Doch zugegeben, der Humor dominierte immer stärker, das Publikum liebte die Ermittler immer mehr für ihren Witz. Irgendwann bekommt man dann Angst, mit Eiern beworfen zu werden, wenn sich da nicht Gag an Gag reiht."

Henke verweist im "Spiegel Online"-Interview auf die Vorstellungen im Freiluftkino, wo die Pointen gefeiert würden wie Tore im Fußballstadion. Doch der "Tatort"-Koordinator will das nicht weiter ausreizen. "Tatsächlich war der letzte Fall wieder ein Beispiel dafür, wie man einen relevanten Stoff in die Krimi-Komödie integrieren kann." Und dann wäre da auch noch Götz George, der sich zuletzt als "Schimanski" vom WDR vernachlässigt fühlte. Allzu ernst nimmt Gebhard Henke die Kritik seines Stars aber offensichtlich nicht. "Auch wenn Götz George gern mit uns schimpft und hadert: Nehmen Sie nicht alles für bare Münze!", so Henkes Appell. "Es ist seine spezielle Form der Zuwendung. Wir lieben ihn und seinen 'Schimanski' sehr. Und so lange er ihn drehen will, werden wir ihn als Event mit großer Lust und Freude produzieren - nach dem Goetheschen Motto: 'Hin und wieder sieht man den Alten gern!'"

Doch auch Henke übt Kritik: "Als 'Tatort'-Verantwortlicher treibt man quasi die ganze Zeit im Säurebad der politischen Korrektheit", sagte er gegenüber "Spiegel Online" und verwies etwa auf die Internetseite der Grünen, auf der juristische Ungenauigkeiten im "Tatort" aufgelistet würden. "Gerade so, als wäre der Krimi das wirkliche Leben. Es gibt diese Anspruchshaltung: Der 'Tatort' ist mit Gebührengeldern bezahlt - also hat quasi jeder Mitspracherecht. Das ist völlig nachvollziehbar. Aber mich stört Lobbyistentätigkeit: Ärzte beschweren sich, dass sie immer so negativ gezeichnet werden. Wirtschaftsbosse und Architekten kommen angeblich auch immer schlecht weg", so Henke, der in diesem Zusammenhang süffisant anmerkt: "Ich frage mich nur, wann die Bettenindustrie sich über den Imageschaden beschwert, der daraus entsteht, dass Leichen im 'Tatort' so oft in Betten liegen."

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