Es ist ein Projekt mit Widersprüchen, das aber schon jetzt einen spannenden Erkenntnisgewinn verspricht: Aus der Crowdfunding-Plattform Krautreporter.de, die weiterhin als solche bestehen bleiben soll, will Gründer Sebastian Esser zusammen mit Alexander von Streit als Chefredakteur und einem beachtlichen Team aus namhaften Journalisten ein neues journalistisches Angebot im Netz stemmen. 25 Journalisten sind zum Start der Crowdfunding-Kampagne als spätere Autoren angekündigt, die im Erfolgsfall später alle eine Story pro Woche zum neuen Angebot beisteuern sollen und dafür alle gleich - also unabhängig vom Erfolg oder Rechercheaufwand ihrer Geschichten - entlohnt werden sollen. Es klingt nach einem Modell mit latentem Konfliktpotential.



Warum lohnt sich das Wagnis aus Sicht der Macher trotzdem? „Der Online-Journalismus ist kaputt“, verrät die Startseite des ambitionierten Projekts und verspricht: „Wir kriegen das wieder hin“. In der Kritik stehen Verlage und die Generalisten unter den Online-Angeboten, die allein auf Reichweite optimieren. Peer Schader, auch Autor beim Medienmagazin DWDL.de, stellt beispielsweise fest, „dass es offensichtlich schwer geworden ist, sich als Journalist mit seiner Arbeit nur noch sehr schwer über die klassischen Verlage zu finanzieren, jedenfalls wenn ich über Themen schreiben will, die mich interessieren. Vieles davon hat in den klassischen Medien gar keinen Platz. Weil es nicht ins Ressortraster passen, nicht zur ‚Marke’ oder nicht zu einer vorgegebenen Erzählweise.“

Deswegen will Schader zusammen mit u.a. Stefan Niggemeier, Jens Weinreich, Richard Gutjahr und Thomas Wiegold selbst unter die Verleger gehen. Dazu gibt es zum Start des auf 31 Tage angelegten ersten Crowdfunding auch einen Trailer, der sich mit viel zu viel Pathos leider in der Machart zu austauschbar präsentiert. Genau das will Krautreporter ja eigentlich nicht sein. Um die Werbetrommel zu rühren, versteigen sich manche Beteiligten sowie die Rhetorik auf der Website leider in Floskeln und falschen Vergleichen, die so gar nicht zu den namhaften Autoren und ihren eigenen sonst so hohen Ansprüchen passt. Stefan Niggemeier beispielsweise formuliert in seinem Blog den natürlich überspitzten Vergleich zwischen HBO und Krautreporter.

Die These dahinter: HBO-Serien wie „True Detective“ sind so erfolgreich, weil sie nicht nach Reichweite und Werbegeldern streben müssen, da die Abonnenten sie selbst finanzieren. Der Unterschied zwischen HBO und Krautreporter ist jedoch: Bei HBO herrscht ein Zahlzwang. Das journalistische Angebot von Krautreporter soll für alle kostenlos und uneingeschränkt lesbar sein. Einzig das Kommentieren der Beiträge bleibt den Spendern vorbehalten. Bevor es aber dazu kommt, müssen jetzt erst einmal 900.000 Euro in 31 Tagen zusammen kommen. Das ist das selbstdefinierte Spendenziel, damit das neue Portal im September starten kann und sich ein Jahr lang finanziert. Angesetzt sind 60 Euro pro Spender, also 5 Euro im Monat für werbefreien Hintergrund-Journalismus aus diversen Themengebieten.

Auch in diesem Punkt ist Krautreporter ein sehr spannendes Projekt, denn finanziert werden soll ein bunter Themen-Mix aus diversen Fachrichtungen. Damit testet Krautreporter die Grenzen des Crowdfundings aus. Wer beispielsweise im vergangenen Jahr Thilo Jungs Video-Format „Jung & naiv“ unterstützt hat, der wusste ganz konkret wofür das Geld verwendet wird. Auf dieser direkten Ebene hat diese Finanzierungsform einen hohen Sympathie-Faktor. Beim neuen Krautreporter-Portal müssen die potentiellen Spender den Machern, insbesondere dem designierten Chefredakteur Alexander von Streit, einen Vertrauensvorschuss geben. Das fällt der digitalen Elite, die den sehr geschätzten Kollegen kennen, vermutlich leichter als der Masse.

Doch die ist nötig. 15.000 Menschen müssen bereit sein, Geld zu geben. Und das nicht nur einmal sondern Jahr für Jahr - denn Krautreporter verzichtet kategorisch auf jede Art von Werbefinanzierung. Das bringt Sympathie-Punkte aber macht wirtschaftlich im Regelbetrieb völlig abhängig von Spendern. Motivation für das mutige Projekt kommt u.a. aus den Niederlanden, wo das ganz ähnlich gelagerte Projekt „De Correspondent“ zum Start vor einem Jahr eine Million Euro einsammelte. Ob sich die Spendenbereitschaft auch im Regelbetrieb als konstant erweist, bleibt allerdings auch das in diesen Tagen gern zitierte Vorbild noch schuldig. Einmal mehr geht es also um das Austesten der Möglichkeiten von Crowdfunding.

Spannend ist Krautreporter damit in jedem Fall, egal ob diese faszinierende Idee die Finanzierungsrunde überlebt oder nicht. Weil es Möglichkeiten, Grenzen und Nachhaltigkeit einer in den vergangenen Jahren populär gewordenen Finanzierungsform austestet. Innerhalb eines Tages haben sich übrigens knapp 1.800 Unterstützer gefunden. Jeder, der Sebastian Esser und seine Mitstreiter unterstützt, mahnt in jedem Fall schon einmal den Einheitsbrei und die Mutlosigkeit zu längeren und sperrigen Stücken bei den großen Online-Portalen an. Ein wertvolles Mindestziel hat Krautreporter mit seinen namhaften Autoren damit schon vor dem Start erreicht: Aufmerksamkeit für einen Missstand im Online-Journalismus. Wenn auch vielleicht etwas zu plump formuliert.