Mit der Langzeitstudie Massenkommunikation im Auftrag von ARD und ZDF wird schon seit langer Zeit das Mediennutzungsverhalten der Deutschen beobachtet. Nun liegen die neuen Daten für 2020 vor - und sie zeigen: Die Zeit, die Menschen mit Bewegtbild verbrachten steigt, die Nutzung klassischer TV-Inhalte bleibt weiterhin mit großem Vorspring dominierend - allerdings nur bei den über 30-Jährigen. Denn in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen erodieren die Marktanteile der klassischen TV-Anbieter zusehends. Im Jahr 2020 verbrachten die 14- bis 29-Jährigen sogar erstmals mehr Zeit mit Inhalten von Streaming-Anbietern als mit jenen der klasisschen TV-Anbieter - und zwar auch, wenn man deren Mediatheken und die Nutzung von TV-Inhalten via YouTube mit einberechnet.

Doch der Reihe nach: Der Studie zufolge verbringt die deutschsprachige Bevölkerung über 14 Jahren, die in dieser Studie betrachtet wird, im Schnitt täglich 424 Minuten mit Medien, 213 davon mit Bewegtbild. Das waren neun Minuten Video-Nutzung mehr als im Vorjahr, getrieben nicht zuletzt auch durch die Corona-Einschränkungen, die im Gegenzug etwas auf die Audio-Nutzung drückte, weil für viele das tägliche Pendeln zur Arbeitsstelle wegfiel, wo sonst eben häufig das Autoradio läuft. Und 73 Prozent dieser Bewegtbild-Nutzungszeit entfällt immer noch aufs lineare Fernsehen, ob live oder aufgenommen, nur 14 Prozent auf Videos bei Streamingdiensten wie Netflix, Prime Video, Joyn oder TVNow. Es gibt hier zwar eine Verschiebung hin zum Streaming, sie vollzieht sich aber nur langsam: Im Vorjahr betrug das Verhältnis noch 78 zu 10 Prozent. Die TV-Sender profitieren dabei davon, dass Streaming bei der älteren Bevölkerung nach wie vor eine Randerscheinung ist. In der Altersgruppe 50-69 entfällt nur 4 Prozent der Nutzungszeit auf Netflix & Co, 88 Prozent aber auf lineares Fernsehen. Bei den Über-70-Jährigen sind die Anteile mit 1 zu 95 Prozent noch eindeutiger verteilt.

Ganz anders sieht es aber aus, wenn man auf die jüngere Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen blickt. Hier entfielen der Studie zufolge nur noch 29 Prozent der täglichen Bewegtbild-Nutzungsdauer auf lineares Fernsehen, ein Rückgang um gleich sechs Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Weitere vier Prozent der täglichen Nutzungszeit sammelt das klassische Fernsehen mit seinen Mediatheken oder seinen Inhalten auf YouTube ein - eine Halbierung im Vergleich zum Vorjahr. Damit sank der TV-Anteil gesamt von 43 auf 33 Prozent. Auf Streamingdienste wie Netflix entfallen hingegen nun 39 Prozent der täglichen Bewegtbild-Nutzungszeit, ein Plus von fünf Prozentpunkten. Noch stärker gewachsen ist die Zeit, die die 14- bis 29-jährigen mit "Videos bei wetieren Angeboten im Internet" verbringen. Hier findet sich Youtube abseits der Inhalte klassischer TV-Sender ebenso wieder wie etwa soziale Medien von TikTok bis Instagram. Schon mehr als ein Viertel der täglichen Bewegtbild-Nutzung entfällt nun auf diesen Bereich, 2019 waren es nur 19 Prozent.

Langzeitstudie Massenkommunikation © ARD/ZDF Während alles in allem das lineare Fernsehen dominiert, haben sich bei den 14- bis 29-Jährigen die Verhältnisse inzwischen komplett umgekehrt

Kleiner Trost auch für die TV-Sender: Sie bekommen vom Kuchen nun zwar einen erheblich kleineren Anteil als noch im Vorjahr ab, dafür ist der Kuchen insgesamt deutlich größer geworden: 186 Minuten pro Tag verbrachten die 14- bis 29-Jährigen mit Videos - das waren ganze 35 Minuten mehr als noch im Jahr zuvor. Auch hier war es sicherlich nicht zuletzt die Corona-Krise und die damit verbundenen Ausgangsbeschränkungen, die die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mehr Zeit sowohl in sozialen Medien als auch bei Netflix & Co. verbringen ließ. Und damit gab's noch eine weitere Zeitenwende: Erstmals in der Geschichte  der Studie, die seit 1964 durchgeführt wird, ist Bewegtbild auch bei den 14- bis 29-Jährigen die Mediennutzungsform, auf die am meisten Zeit entfällt. Bislang waren hier stets die Audio-Inhalte vorn gewesen.

Apropos Audio: Dort vollzieht sich in der jungen Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen analog der gleiche Wandel wie beim Bewegtbild. Zwar dominiert bei der Gesamtbevölkerung das klassische Radio mit einem Nutzungsanteil von 74 Prozent weiterhin, allerdings war das ein Rückgang um fünf Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Und bei den 14- bis 29-Jährigen entfällt nun nur noch 36 Prozent der Nutzungsdauer auf klassisches Radio, 44 Prozent aber auf Musik-Streamingdienste. Im Vorjahr fiel das Verhältnis mit 42 zu 32 Prozent noch zugunsten des klassischen Radios aus.

Fragt man danach, warum bestimmte Angebote genutzt werden, dann lautet die Antwort bei den Streamingdiensten vor allem Spaß, Entspannung und "weil ich dort selbst bestimmen kann, wann ich was nutze" und "weil es dort Inhalte gibt, die ich nur dort finde. Lineares Fernsehen steht in diesen Punkten zwar etwas zurück, bietet aber insgesamt ein deutlich ausgewogeneres Profil - über 80 Prozent geben nämlich hier auch an, dort nach "Informationen" zu suchen. Immerhin 78 Prozent der Befragten, die das Angebot zumindest manchmal nutzen, attestieren den öffentlich-rechltichen TV-Sendern, "glaubwürdige Inhalte" anzubieten - was im Umkehrschluss allerdings auch bedeutet, dass bei Lichte betrachtet doch eher alarmierende 22 Prozent diese Aussage verneinen. Bei den privaten TV-Anbietern sind es sogar nur 35 Prozent, die die Inhalte für glaubwürdig halten. Damit rangieren sie in Sachen Glaubwürdigkeit nur knapp vor Sozialen Netzwerken, die auf 27 Prozent kommen. Ganz vorne liegen hier öffentlich-rechtliche Radioanbieter knapp vor Zeitungen und Zeitschriften.

Langzeitstudie Massenkommunikation 2 © ARD/ZDF Während Streamingdienste vor allem zur Zerstreuung genutzt werden, ist das Nutzungsprofil beim Fernsehen ausgeglichener

Ganz generell geben 72 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung an, dass das von Medien vermittelte Bild davon, was derzeit in Deutschland und der Welt passiert, mit ihrem eigenen Bild übereinstimmt. Etwa ein Viertel zweifelt das an, fünf Prozent antworten auf diese Frage sogar "überhaupt nicht". Diese Wahrnehmung ist generell in allen Altersgruppen, egal ob Männer oder Frauen, Ost- oder Westdeutschland recht ähnlich. Der "Lügenpresse"-Vorwurf gegen die "Mainstream-Medien" ist weiter verbreitet, als es den Medienmachern lieb sein kann. Hier mehr Glaubwürdigkeit aufzubauen bleibt somit eine der wichtigsten Aufgaben.