In den vergangenen Jahren ist in der Branche viel über Diversity gesprochen worden. Sei es bei der Darstellung von Vielfalt auf dem Bildschirm, aber auch hinter den Kulissen. Einen großen Anschub für die Debatte lieferte 2017 eine Studie von ARD, ZDF, RTL und ProSiebenSat.1 sowie Film- und Medienstiftung NRW, der nationalen Filmförderung FFA und dem FilmFernsehFonds Bayern, die auf Initiative von Maria Furtwänglers MaLisa-Stiftung erstellt wurde. Damals beschäftigte man sich mit der Darstellung von Frauen im Fernsehen - und die Ergebnisse waren ernüchternd

Nun gibt es eine Nachfolgestudie, durchgeführt von Elizabeth Prommer von der Uni Rostock. Unter dem Titel "Sichtbarkeit und Vielfalt: Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität" geht es nicht nur um Frauen, sondern auch um die Darstellung von Menschen mit Behinderungen, ethnische Herkünfte, Personen mit Migrationshintergrund sowie Menschen aus dem Bereich LGBTQ. Und auch 2021 zeigt sich: Die Branche hat einen weiten Weg vor sich, um tatsächlich in allen Bereichen vielfältig zu sein. 

Zunächst die Geschlechtergerechtigkeit: Nach wie vor kamen auf eine Frau im Fernsehen 2020 zwei Männer. Das ist zunächst einmal ernüchternd, doch ein Blick in die verschiedenen Bereiche lohnt sich. In der Fiktion etwa lag der Frauenanteil schon bei 45 Prozent, im Vergleich zur letzten Studie war das ein kleines Plus. Auch in den Bereichen Non-Fiktionale Unterhaltung und Information sind die Frauenanteile leicht gestiegen, hier lagen sie aber nur bei rund einem Drittel. 

Während die Sender in der Information im Vergleich zur letzten Studie von vor vier Jahren vor allem bei den Journalistinnen und Journalisten sowie den Reporterinnen und Reportern, die auf dem Bildschirm zu sehen sind, zugelegt haben (45 statt 36 Prozent), lag der Anteil der weiblichen Moderatoren schon bei 49 Prozent. Einen großen Nachholbedarf gibt es allerdings bei den Sprecherinnen, deren Anteil nur bei 28 Prozent liegt und damit unverändert niedrig war. 

In zwei von drei Informations-Bereichen, in denen die Sender tatsächlich gut selbst ansetzen können, hat man sich also verbessert. Bei den externen Personen sieht das ganz anders aus: Auch 2020 waren nur 26 Prozent der Experten weiblich. Auch in Bereichen wie der Pflege oder der Bildung, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten, kommen in den Medien meist Männer zu Wort. 

In der non-fiktionalen Unterhaltung ist das Missverhältnis von Männern und Frauen vor allem bei Quiz- und Unterhaltungsshows eklatant. Das hier Frauen fehlen, ist spätestens seit Volkes Herres im kollektiven Verständnis angekommen. Der ehemalige ARD-Programmdirektor hatte 2020 gesagt, er kenne einfach keine Frau, die eine Samstagabendshow so gut präsentieren könne wie Kai Pflaume (DWDL.de berichtete). Laut der neuen Studie lag der Anteil an weiblichen Protagonistinnen in entsprechenden Shows bei nur 13 Prozent - das waren sogar weniger als vor vier Jahren. Auch im Bereich Comedy/Late Night ist ihr Anteil mit 23 Prozent sehr gering. In Dokusoaps (45 Prozent) und Kochshows (46 Prozent) ist der Anteil höher. 

In der Fiktion lag der Frauenanteil wie oben schon erwähnt bei 45 Prozent. Bei Filmen und Serien, die 2020 produziert wurden, waren es sogar 47 Prozent. Deutlich vorangekommen ist man auch bei der Geschlechterverteilung nach Alter. So zeigt die neue Studie, dass inzwischen auch ältere Frauen ab 40 Jahren deutlich sichtbarer sind als noch vor vier Jahren. Auffällig: Einen spürbaren Abriss gibt es nach wie vor bei Frauen ab 60 Jahren. Hier ging es von 37 auf 29 Prozent nach unten. Grundsätzlich aber hat sich der Altersgap verkleinert. "Frauen durften durchaus altern und sind nicht verschwunden", fasste Elizabeth Prommer die Ergebnisse zusammen. 

Auch im Kinderfernsehen ist das Geschlechterverhältnis insgesamt noch sehr unausgeglichen, gemessen wurden 2020 lediglich 30 Prozent weibliche Personen. Deutlich verbessert haben sich die Sender aber bei eigenen, fiktionalen Produktionen. Hier ging der Anteil an weiblichen Protagonistinnen von 34 auf 44 Prozent nach oben. Nach unten gezogen wird der Schnitt hier durch eingekaufte Formate. 

Während die Studie bei der Geschlechtergerechtigkeit kleine Fortschritte feststellt, sind nun erstmals auch andere Vielfaltsmerkmale gemessen worden - und hier gibt es wahrlich ernüchternde Ergebnisse. Nur rund 2 Prozent der im Beobachtungszeitraum erfassten Personen waren nicht hetereosexuell - in der Bevölkerung liegt der Anteil dieser Gruppe bei rund 10 Prozent. Ebenso unterrepräsentiert sind Menschen mit sichtbaren, schweren Behinderungen: Sie machten laut der Studie nur 0,4 Prozent der Personen aus, während es gemessen an der Realität eigentlich 5 bis 6 Prozent sein müssten. 

Und auch in Sachen Migrationshintergrund und ethnische Herkunft hinkt das Fernsehen der Realität noch weit hinterher. So hatten 2020 rund 11 Prozent der erfassten Personen auf dem Bildschirm einen Migrationshintergrund, tatsächlich sind es aber mehr als doppelt so viele in der Bevölkerung. Der Anteil von schwarzen Personen und PoC lag laut der Studie bei 5 Prozent. Geschätzt müsste dieser Wert auch in etwa doppelt so hoch liegen, wollte man die Realität abbilden. 

"Wir sind nicht divers genug"

Nachdem Elizabeth Prommer von der Uni Rostock die Ergebnisse ihrer neuen Studie vorgestellt hatte, diskutierten unter anderem ZDF-Intendant Thomas Bellut, RBB-Chefin Patricia Schlesinger, RTL-Boss Henning Tewes und Henrik Pabst, Chief Content Officer und Geschäftsführer der Seven.One Entertainment Group, darüber. Tewes räumte auf dem Podium ein gedacht zu haben, dass die Branche schon weiter sei. "Aber die Zahlen geben das nicht her", so der RTL-Chef. Die Studie sei insofern gut, um zu checken, ob das, was man tue, auch tatsächlich Wirkung entfalte. Nachhaltige Veränderungen würden dennoch Zeit benötigen, so Tewes. Gefühlt sei man besser geworden, erklärte Henrik Pabst, dennoch sei man in Sachen Diversität noch weit entfernt von dem, wo man sein wolle.

Thomas Bellut sieht unterdessen die größten Herausforderungen bei den Shows, in denen vor allem Frauen sehr wenig stattfinden. Zuletzt startete das ZDF unter anderem ja eine Quizshow mit Sabine Heinrich (DWDL.de berichtete). Bei der Fiction mache er sich in Sachen Geschlechtergerechtigkeit dagegen weniger Sorgen, so der ZDF-Intendant. Die anderen Diversitätskriterien entdecke man "immer mehr", so Bellut. Grundsätzlich wolle man mit dem, was man tue und zeige, die Wirklichkeit abdecken und abbilden, waren sich Bellut und Schlesinger einig. Die RBB-Intendantin zeigte sich auch "positiv überrascht" von dem, was sich seit der letzten Studie getan habe. Inzwischen schwinge das Thema Diversity bei allen Besetzungen, die man vornehme, mit. Das sei früher nicht so gewesen. Dennoch sagt Schlesinger auch: "Wir sind nicht divers genug". Um dem entgegenzuwirken, lasse man gerade ein Tool entwickeln, das messen soll, was wo gezeigt wird. Regelmäßige Analysen sollen dann ein Instrument sein, um bei Fehlentwicklungen frühzeitig gegensteuern zu können. 

Studie soll fortgesetzt werden

Am Ende waren sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig, dass die Studie fortgesetzt werden soll. Wann und in welchem Umfang, das muss sich erst noch zeigen. Elizabeth Prommer warf aber eine 24-stündige Abbildung des Programms in den Raum. Bei der jetzigen Studie wurden aus finanziellen Gründen lediglich Sendungen einberechnet, die zwischen 14 und 24 Uhr gesendet wurden. Insgesamt hat man für die Erhebung das Programm von 17 Sendern (ARD, ZDF, alle Dritten, RTL, Sat.1, ProSieben, Vox, Kabel Eins, RTLzwei und weitere) aus zwei zufällig ausgesuchte Wochen unter die Lupe genommen. Gezählt wurden Personen, die sichtbar im Zentrum einer Handlung standen bzw. in der Information solche Personen, deren Namen genannt wurden und die auch gesprochen haben bzw. zu sehen waren. 

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