Im Juni dieses Jahres platzte dem Verleger Horst Pirker der Kragen. Nachdem das ÖVP-geführte Finanzministerium angeblich wegen unliebsamer Berichterstattung nicht mehr in den Titeln der VGN Medien Holding werben wollte, sprach Pirker von einer "Spielart der Orbanisierung" und davon, dass man sich um das demokratische Gefüge der Republik Österreich sorgen müsse (DWDL.de berichtete). 

Seit Jahren wird kritisiert, das die öffentliche Hand in Österreich massiv Inseratengelder an Zeitungen und Zeitschriften vergibt - allen voran an die großen Boulevardmedien im Land. Insgesamt hat die öffentliche Hand in Österreich 2020 Buchungen von 222,5 Millionen Euro getätigt und damit so viel wie nie zuvor. Laut der Medienbehörde KommAustria schaltete die Bundesregierung im vergangenen Jahr Inserate um 47 Millionen Euro, alleine aus dem Bundeskanzleramt kamen 21 Millionen Euro. Ein Vergleich mit Deutschland, das rund zehnmal so groß ist wie Österreich ist, zeigt, wie exorbitant hoch diese Zahlen sind. Hierzulande gab die Bundesregierung im vergangenen Jahr schätzungsweise 150 Millionen Euro für Werbung in verschiedenen Medien aus.

"Mit Geben und Entziehen von aus Steuergeld finanzierten Inseraten werden Medienunternehmen belohnt, sediert oder bestraft", sagte Verleger Horst Pirker im Juni. Seit Jahren hat sich dieses System in Österreich verschärft - doch nun könnte sich die Politik, konkret Sebastian Kurz und sein engstes Umfeld, strafbar gemacht haben. Am Mittwoch hatte es Hausdurchsuchungen durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Bundeskanzleramt, in der ÖVP-Parteizentrale, im Finanzministerium - und bei der Mediengruppe Österreich gegeben. Letztere verantwortet die Gratis-Zeitung oe24 sowie den gleichnamigen TV-Sender. 

Manipulierte Umfragen, gekaufte Berichterstattung

Wolfgang Fellner © oe24.TV Wolfgang Fellner
Gegen insgesamt zehn Verdächtige, darunter auch Sebastian Kurz und die beiden Verleger-Brüder Wolfgang und Helmuth Fellner sowie eine Meinungsforscherin, stehen verschiedene Vorwürfe im Raum. Es geht um den Verdacht von Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Im Kern geht es darum, dass zwischen 2016 und 2018 finanzielle Mittel aus dem Finanzministerium genutzt worden sein sollen, um ausschließlich den parteipolitischen Interessen der ÖVP - und hier besonders denen von Sebastian Kurz - zu dienen. Dabei geht es um angeblich manipulierte Umfragen eines Meinungsforschungsunternehmens, die dann später in den Medien der Mediengruppe Österreich erschienen sind.

"Diese Umfrageergebnisse wurden (ohne als Anzeige deklariert worden zu sein) im redaktionellen Teil einer österreichischen Tageszeitung und anderen zu dieser Gruppe gehörenden Medien veröffentlicht. Im Gegenzug wurden – nach der Verdachtslage – seitens der befassten Amtsträger im Rahmen von Medien- und Inseratenkooperationen Zahlungen an das Medienunternehmen geleistet", heißt es von der WKStA. Nun steht der Verdacht im Raum, dass die Zahlungen für diese Kooperationen verdeckte Gegenleistungen "für die den Beschuldigten tatsächlich eingeräumten Einflussmöglichkeiten auf die redaktionelle Berichterstattung in diesem Medienunternehmen" gewesen seien. 

Die betroffenen Umfragen zeigten, wie schlecht die ÖVP unter ihrem damaligen Vorsitzenden Reinhold Mitterlehner dastand - und wie viel besser es mit Sebastian Kurz an der Parteispitze laufen würde. Kurz war damals noch Außenminister. Die entsprechenden Umfragen sollen angeblich per Scheinrechnungen als Leistungen für Studien des Finanzministeriums abgerechnet worden sein. Die Gesamtsumme der Inserate, die angeblich keinen Bezug zur Tätigkeit des Finanzministeriums gehabt haben, soll bei mehr als einer Million Euro liegen. 

"Wir sind echt sauer!!!! Mega sauer"

Doch es geht nicht nur um Umfragen. Die WKStA glaubt auch, dass sich das Umfeld von Kurz durch verschiedene Kooperationen mit den Fellners positive Berichterstattung erkauft habe. Dass das engste Umfeld von Sebastian Kurz offenbar Einfluss hatte auf das, was in den Medien von oe24 steht, legen Chats nahe, die nun öffentlich geworden sind. In einem dieser Chats schreibt Thomas Schmid, damals Kabinettschef und Generalsekretär im Finanzministerium, an Wolfgang Fellner, welche Berichterstattung geplant war (die dann aber nicht erschienen ist). "Das ist echt eine Frechheit und nicht vertrauensbildend. Wir sind echt sauer!!!! Mega sauer". Fellner antwortet daraufhin: "Versteh ich voll – melde mich in 30 minuten – mache jetzt volle doppelseite über umfrage am Mittwoch. Okay?"

Alle Beteiligten, für die die Unschuldsvermutung gilt, weisen die Vorwürfe zurück. Sebastian Kurz eilte am Mittwochabend in die "ZiB 2" des ORF. Dort erklärte er unter anderem, dass er den Verfahren gelassen entgegen sehe. Er selbst habe nie Scheinrechnungen gestellt oder erhalten. Als damaliger Außenminister habe er mit den Aktivitäten des Finanzministeriums nichts zu tun gehabt. Selbst wenn sich herausstelle, dass ÖVP-Umfragen aus Geldern des Finanzministeriums bezahlt worden sind und Berichterstattung bei oe24 gekauft worden ist, gebe es "kein Indiz", dass er das gesteuert habe. Mehrfach versuchte Kurz auch auf SPÖ-geführte Bundesländer zu verweisen, in denen ebenfalls viel Geld für Inserate ausgegeben wird. Dass die damaligen Umfragen zu seinen Gunsten manipuliert gewesen sein sollen, weist er ebenfalls zurück. Es habe viele andere Umfragen mit einem ähnlichen Ergebnis gegeben. 

Kurz weist im ORF alle Vorwürfe zurück

Kurz versuchte sich außerdem in eine Opferrolle zu bringen. "Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, warum an jedem Unrecht immer ich schuld sein soll", so der Bundeskanzler, der an einer Stelle des Interviews tief blicken ließ. Auf die Frage, ob er von Gegenleistungen für Inserate wisse, druckste er einige Male herum, nur um dann zu sagen: "Ich hoffe sehr, dass es eine Gegenleistung gab. Nämlich Berichterstattung und ein Inserat." Größere Attacken gegen die ermittelnde WKStA unterließ Kurz aber - ganz im Gegensatz zu seinen Parteifreunden in den Tagen davor. ÖVP-Politiker Andreas Hangar etwa ortete einen Tag vor den Hausdurchsuchungen "linke Zellen" bei der WKStA und warf ihr vor, politisch motiviert zu agieren. 

oe24 sieht "schwere Missverständnisse"

Auch die Mediengruppe Österreich weist alle Vorwürfe zurück und spricht von "schweren Missverständnissen" auf Seiten der Staatsanwaltschaft. Man führe seit jeher Umfragen durch und diese würden nach "marktüblichen Preisen" bezahlt. Zu keinem Zeitpunkt habe es eine Vereinbarung zwischen Verlag und Finanzministerium "über eine Bezahlung von Umfragen durch Inserate" gegeben. "Wir legen wert auf die Feststellung, dass niemals Inseratengelder des Finanzministeriums als Bezahlung für Umfragen an die Tageszeitung ‘Österreich’ bezahlt wurden."

Ob die Regierungskoalition aus ÖVP und Grünen in dieser Situation halten wird, ist aktuell mehr als fraglich. Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler stellte am Donnerstag die Handlungsfähigkeit von Sebastian Kurz infrage. "Der Eindruck ist verheerend, der Sachverhalt muss lückenlos aufgeklärt werden. Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen", so Kogler. Die Grünen haben nun alle im Nationalrat vertretenen Parteien zu Gesprächen "über die weitere Vorgehensweise" eingeladen - ein äußerst ungewöhnlicher Schritt in der Politik. Außerdem vereinbarte Kogler ein Gespräch mit dem Bundespräsidenten - der könnte Kurz oder gleich die gesamte Regierung entlassen. Am Mittwoch in der "ZiB 2" gab sich Sebastian Kurz noch selbstbewusst. "Selbstverständlich" werde er Kanzler bleiben.