Nachdem es Ende 2021 ein Bericht der "New York Times" war, der Julian Reichelts Zeit als "Bild"-Chefredakteur besiegelte, ist es nun die "Financial Times", die in der Sache nachlegt. In einem langen Text berichtet die Zeitung über den Fall Reichelt und darüber, wie Axel Springer darauf reagierte - und angeblich versucht hat, die ganze Sache so zu vertuschen, dass Reichelt im Amt bleiben kann. 

So heißt es in dem Bericht der "FT" etwa, dass Springer bereits vor den eingeleiteten Untersuchungen von den Verfehlungen des Chefredakteurs gewusst haben soll. Öffentlich hielt Springer und Konzernboss Mathias Döpfner lange zu Julian Reichelt, man setzte den "Bild"-Chef nach einer kurzzeitigen Auszeit während eines Compliance Verfahrens wieder ein. Die Trennung erfolgte erst Monate später, nachdem in der "New York Times" über weitere Details berichtet wurde. Beim Compliance Verfahren ging es unter anderem um den Vorwurf des Machtmissbrauchs im Zusammenhang mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen. 

Mathias Döpfner © Axel Springer Mathias Döpfner
Nach der Trennung von Reichelt geriet vor allem CEO Döpfner in die Schlagzeilen. Eine SMS wurde bekannt, in der er Reichelt als den "letzten und einzigen Journalisten in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR Obrigkeitsstaat aufbegehrt" bezeichnete. Döpfner machte auch mit einem Video von sich reden, in der er nach dem Reichelt-Rausschmiss von Männern sprach, "die erkennbar das Vorgehen organisieren" würden. Die "FT" hat nach eigenen Angaben mit mehr als 30 Personen gesprochen, die Teil der Untersuchung gegen Reichelt waren. Alle würden bestätigen, dass hinter ihnen keine Männer stünden, die die ganze Sache organisieren. 

Nach Angaben der "FT" soll Döpfner auch eine eigene Untersuchung eingeleitet haben, um eine mögliche Verschwörung aufzudecken. Demnach sprach der Springer-CEO immer mal wieder von einer "Verschwörung". So wollte Döpfner nach "FT"-Angaben offenbar Informationen über eine Ex-Freundin Reichelts, aber auch über ehemalige "Bild"-Redakteure und "zwei deutsche Satiriker", die sich über den Fall äußerten, noch bevor er öffentlich bekannt wurde. Jan Böhmermann hat sich bereits auf Twitter dazu geäußert und sein Unverständnis zum Ausdruck gebracht.

Springer: "Irreführendes Bild"

Die Recherchen der "FT" legen außerdem nahe, dass Reichelt im Verlauf der Zeit Kenntnis erlangte von einigen Untersuchungsergebnissen, die eine unabhängige Anwaltskanzlei durchgeführt hatte. Damit soll er dann betroffene Frauen unter Druck gesetzt haben, die sich wiederum hilflos fühlten, weil ihnen eigentlich Diskretion zugesichert worden sei. 

Als Springer Reichelt nach der kurzen Freistellung im Frühjahr 2021 zurückholte, sprach Döpfner von einem "Fehler", den Reichelt gemacht habe. Es ging um eine einvernehmliche Beziehung und die Vermischung von beruflichen und privaten Dingen. Der "Bild"-Chef gelobte Besserung. Wie die "FT" nun berichtet, sei die Anwaltskanzlei zu dem Schluss gekommen, dass "schwerwiegendes Fehlverhalten der Geschäftsführung" vorgelegen habe. Reichelt war damals nicht nur Chefredakteur, sondern auch Geschäftsführer. Die "FT" berichtet auch von einem leitenden Springer-Mitarbeiter, der erklärte, man könne den Bericht nicht überleben, wenn er an die Öffentlichkeit käme. Jedem, der ihn lesen würde, sei klar, dass Reichelt abgelöst gehöre. Doch der "Bild"-Chef kehrte zunächst für einige Monate auf seinen Posten zurück. 

Als die "FT" Springer Fragen zu ihren Recherchen zuschickte, antwortete man dort offenbar, die Fragen würden "falsche Tatsachen, Annahmen, Unterstellungen und Schlussfolgerungen" beinhalten. Da man Geheimhaltungsverpflichtungen unterliege, könne man nicht alle Fragen in der geforderten Ausführlichkeit beantworten. "Natürlich müssen wir im Nachhinein zugeben, dass wir nicht alles richtig gemacht haben. Unser größter Fehler war, dass wir [Reichelt] zu lange vertraut haben. Wir bedauern dies zutiefst, insbesondere im Namen der Mitarbeiter, die darunter gelitten haben", so Springer gegenüber der "FT".

DJV fordert Fakten von Döpfner

Auf Rückfrage von DWDL.de heißt es von Springer zum Bericht: "Der Artikel zeichnet ein irreführendes Bild der Compliance-Untersuchung, der daraus gezogenen Konsequenzen, des gesamten Unternehmens und seiner Führung." Auf konkrete Punkte will man bei Springer nicht eingehen. Ob das Statement aber ausreicht, um die Debatte rund um Döpfner zu beenden, erscheint fraglich. Der Deutsche Journalisten-Verband hat Springer nun dazu aufgefordert, "die ganze Wahrheit über die Reichelt-Affäre offenzulegen". Sollte es stimmen, so DJV-Chef Frank Überall, dass Döpfner Personen, die in der Sache involviert waren, habe ausforschen wollen, "steht die Frage nach der Führungskompetenz des Springer-Chefs im Raum". Döpfner müsse Fakten benennen, die Vorwürfe gegen ihnen seien sehr schwerwiegend, so Überall.

Julian Reichelt teilte gegenüber der "FT" mit, alle Vorwürfe gegen ihn seien "Lügen". Reichelt: "Die Anschuldigungen gegen mich sind falsch, die Behauptungen sind Lügen. Sie wurden von einer besessenen Ex-Freundin fabriziert und inszeniert. Eine umfassende Untersuchung ergab, dass ich keine einzige Unternehmensregel gebrochen habe."

Mehr zum Thema