Finanzexperten neigen mitunter zu nüchterner Wortwahl. Das ist bei Claus Kerkhoff nicht anders. Der Leiter der RBB-Hauptabteilung Finanzen hat eine kurze Präsentation mit der Überschrift "Analyse und Kassensturz" angefertigt. Darin steht auf der ersten Seite der Satz: "Das Kosten-Niveau des RBB steht nicht im Verhältnis zur Ertragssituation und muss deutlich abgesenkt werden." Katrin Vernau, seit zwei Monaten als Interims-Intendantin im Amt und mit der Aufräumarbeit beschäftigt, findet etwas drastischere Worte: "Der RBB hat erheblich über seine Verhältnisse gewirtschaftet. So können wir nicht weitermachen." Für das ohnehin geplagte Personal der Berlin-Brandenburger Anstalt eine weitere Hiobsbotschaft, fehlt es doch in zahlreichen Redaktionen und Abteilungen seit Jahren an allen Ecken und Enden.

Das neue Geld-Problem hat die alte RBB-Geschäftsleitung unter der abgesetzten Intendantin Patricia Schlesinger verursacht, indem sie offenbar ihren eigenen Einsparbeschlüssen jahrelang nicht folgte und wissentlich die Rücklagevorgaben der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten) missachtete. Für die laufende Beitragsperiode 2021-2024 hatten sowohl die KEF-Experten als auch ARD und ZDF selbst mit deutlich höheren Forderungsausfällen als Folge von pandemiebedingten Insolvenzen und Hartz-IV-Schicksalen gerechnet. Doch tatsächlich gestaltete sich die finanzielle Situation der Haushalte dank massiver staatlicher Hilfen im vorigen und laufenden Jahr viel besser als erwartet. Für die gesamte ARD bedeutet das unerwartete Mehrerträge von über 520 Millionen Euro, von denen 73 Millionen auf den RBB entfallen.

Weil diese Mehreinnahmen jedoch nicht Bestandteil des von der KEF kalkulierten Finanzierungsbedarfs sind, dürfen die Anstalten sie nicht einfach ausgeben. Die KEF-Vorgabe lautet stattdessen: Was auf diese Weise zwischen 2021 und 2024 zusätzlich in die Beitragskassen fließt, muss einer Rücklage für die nächste Beitragsperiode 2025-2028 zugeführt werden, um den dann fälligen Rundfunkbeitrag möglichst niedrig zu halten. Offenbar als einzige Intendantin ARD-weit widersetzte Schlesinger sich dieser Anordnung und ließ die Mehreinnahmen des RBB in voller Höhe für den allgemeinen Haushaltsausgleich ihres Senders einplanen – ein Vorgehen, das in der ARD-Finanzkommission diskutiert und dort von den anderen Anstalten kritisch bewertet wurde. Auf dem Papier konnte der RBB so trotz stark gestiegener Ausgaben – etwa 119 Millionen Euro Mehrbedarf für Personal, 101 Millionen für Honorare, 57 Millionen für Prämien an die Pensionskasse, 21 Millionen fürs "ARD-Mittagsmagazin" oder knapp 8 Millionen für den ARD-Vorsitz – eine scheinbar gesunde Liquidität für die nächsten zwei Jahre ausweisen.

 

"Ich wurde von Jahr zu Jahr unglücklicher in meiner Funktion"
Claus Kerkhoff, Leiter der HA Finanzen, RBB

 

Wie Vernau und Kerkhoff jetzt anhand ihres Zahlenwerks erläutern, ging dies in Wahrheit nur durch den Verbrauch von Reserven und Mehrerträgen, die nicht hätten angetastet werden dürfen. Ohne weitere Gegensteuerung wäre die Liquidität des RBB demnach schon zum Jahresende 2024 auf 4 Millionen Euro abgefallen, um danach – gleichbleibender Rundfunkbeitrag vorausgesetzt – ins bodenlos Negative zu stürzen: –45 Millionen zum Ende 2025, –174 Millionen zum Ende 2028. "Wir hatten seit 2017 regelmäßig finanzstrategische Klausuren mit der Geschäftsleitung, in denen ich immer wieder auf die aufklaffende Schere zwischen Ertrag und Aufwand hingewiesen habe", gibt Finanzchef Kerkhoff heute zu Protokoll. "Als Leiter der HA Finanzen ist es meine Aufgabe, die Geschäftsleitung zu beraten. Beschlüsse trifft die Geschäftsleitung und muss sie auch verantworten. Ich wurde von Jahr zu Jahr unglücklicher in meiner Funktion, da mein Rat nicht nur ignoriert wurde, sondern ich mir auch noch den Vorwurf anhören musste, die HA Finanzen plane viel zu pessimistisch."

Um der KEF-Vorgabe nachzukommen, muss der RBB nun also die komplett verplanten Mehreinnahmen wieder aus seinem Budget herausnehmen. Da der Hauptstadtsender stärker als jede andere ARD-Anstalt von Zuzugseffekten profitiert, weil Beitragszahler aus anderen Regionen ins Sendegebiet ziehen, müssen nicht die vollen 73 Millionen eingespart werden, sondern "nur" 45 Millionen. Abzüglich der 4 Millionen Liquidität bis 2024 ergibt sich eine notwendige Einsparvorgabe von 41 Millionen für 2023 und 2024.

 

"Wir müssen uns fragen, wo es unsere Nutzer nicht wirklich stören würde, wenn wir etwas nicht mehr machen"
Katrin Vernau, Interims-Indendantin, RBB

 

Wo genau will Vernau diese 41 Millionen hernehmen? Ihre Antwort fällt am Freitag zweiteilig aus: Weil die Zeit dränge und schon Anfang Dezember die mittelfristige Finanzplanung in den Verwaltungsrat eingebracht werden müsse, gehe im ersten Schritt nichts anderes als die Rasenmäher-Methode. Ein Drittel der Einsparungen soll im nächsten Jahr erfolgen, zwei Drittel dann 2024. Das jeweils größte Opfer – 7,6 Millionen in 2023 und 15,3 Millionen in 2024 – hat die Programmdirektion zu erbringen. Da der Rasenmäher jedoch "eigentlich eine dumme Lösung" sei und sie statt "überall klein-klein" lieber einen "größeren strategischen Wurf mit gezielten strukturellen Einsparungen" hätte, will Vernau bis Ende Januar nachbessern. Bis dahin soll "alles auf den Prüfstand" und in Gesprächen mit den Programmverantwortlichen festgezurrt werden, worauf man am ehesten verzichten könne. Dass der amtierende Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus mutmaßlich zum Jahresende ausscheidet (DWDL.de berichtete), macht die Sache für Vernau nicht gerade leichter.

Welchen grundsätzlichen Leitlinien sie bei den Einsparungen folgen will, wird freilich schon am heutigen Freitag deutlich: "Wir müssen stärker als je zuvor die Perspektive unserer Nutzer einnehmen und uns fragen, wo es sie nicht wirklich stören würde, wenn wir etwas nicht mehr machen", so Katrin Vernau. "Ist es noch sinnvoll, 70 Prozent des Budgets auszugeben, um 40 Prozent des Publikums zu erreichen? Ist es noch sinnvoll, das lineare RBB Fernsehen weiter zu verjüngen, wenn wir wissen, dass die Jungen ohnehin kaum noch linear gucken? Ist es noch sinnvoll, an sieben Tagen 24 Stunden lang ein Drittes Programm mit durchschnittlich 5 Prozent Marktanteil zu produzieren?" 

Dass die quotenstarke Regionalinformation am Vorabend mit "Abendschau" und "Brandenburg aktuell" für sie nicht zur Disposition steht, betont Vernau auf Nachfrage ebenso vehement, wie sie die ewig gleichen Test- und Servicebeiträge der sich doppelnden ARD-Verbrauchermagazine – beim RBB "Super.Markt" – ablehnt. Und: "Auch über das Mittagsmagazin werden wir reden müssen." Das ARD-Format hatte der RBB unter Schlesinger Anfang 2018 mit großer Geste vom Bayerischen Rundfunk übernommen. Auf betriebsbedingte Kündigungen will Vernau verzichten, frei werdende Stellen allerdings ab sofort nicht mehr nachbesetzen.

Mehr zum Thema