Es war schon weit nach Mitternacht, als Barbara Schöneberger das Ergebnis verkündete: Die Hamburger Band Lord Of The Lost wird Deutschland im Mai beim Eurovision Song Contest in Liverpool vertreten. Ihr Song "Blood & Glitter" erhielt beim Vorentscheid die meisten Punkte. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Jurys aus acht Ländern, die die ARD offenkundig als notwendig erachtete, um die Acts auf ihre internationale Tauglichkeit zu überprüfen, zunächst den Berliner Musiker Will Church favorisierte.

Doch das Voting des deutschen TV-Publikums war letztlich so eindeutig, dass es die wahrscheinlich gut gemeinte, aber letztlich absurde Unterstützung aus dem Ausland gar nicht gebraucht hätte. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sorgten übrigens dafür, dass der Ballermann-Sänger Ikke Hüftgold mit seinem "Lied mit gutem Text" noch bis auf den geteilten zweiten Platz mit Will Church nach vorne katapultiert wurde, nachdem im Jury-Voting zunächst gerade mal zehn Pünktchen für ihn abgefallen waren.

Doch mehr noch als nach Ballermann stand dem Publikum der Kopf nach Rock, wenngleich der Auftritt von Lord Of The Lost an Måneskin erinnerte, jene Band also, die vor zwei Jahren für Italien den Eurovision Song Contest gewann. Ob die Ähnlichkeit ein gutes oder schlechtes Omen ist, bleibt freilich abzuwarten. Fest steht jedoch, dass die diesjährigen deutschen ESC-Vertreter schon vor ihrer Teilnahme am Vorentscheid großes Ansehen genossen. 2022 war die Band Special Guest der Iron Maiden's "Legacy Of The Beast"-Tour - auf persönliche Einladung der Band selbst. Und im Januar schoss ihr neues Studioalbum nach nur sechs Tagen Vorverkauf sofort auf den ersten Platz der Albumcharts.

Mit Lord Of The Lost wird Deutschland in diesem Jahr nun also beim Eurovision Song Contest einen entschieden anderen Weg einschlagen als in den erfolglosen Jahren zuvor, als die Meinung des deutschen Publikums mitunter gar nicht gefragt war. Dabei konnte sich die Auswahl der Acts, die am Freitagabend in Köln auf der Bühne standen, durchaus sehen lassen: Zwischen Rock und Ballermann war bei den insgesamt acht Auftritten auch Platz für Pop-Punk, Disco und Folkmusik mit Drehleier. Bei so viel Abwechslung kam zeitweise fast schon echtes ESC-Feeling auf - auch wenn die Show letztlich kaum mehr als eine Generalprobe war.

Doch mehr Spaß hat der Vorentscheid lange nicht gemacht - was zweifelsohne auch ein Verdienst der "The Voice"-erfahrenen Produktionsfirma Bildergarten Entertainment ist, die mit guten Inszenierungen für eine stimmige Show sorgte, die noch dazu von Barbara Schöneberger und ihrem glänzenden Gespür für Humor getragen wurde. So ungezügelt und befreit sähe man sie gerne auch bei "Verstehen Sie Spaß?".

Nur schade, dass der späte Sendeplatz von "Unser Lied für Liverpool" - los ging es erst um 22:20 Uhr - wirkte, als wolle die ARD ihren Vorentscheid nach all den schwachen ESC-Jahrgängen möglichst gut vor der Öffentlichkeit verstecken. Dabei darf eine gelungene Show wie diese im nächsten Jahr gerne zur besten Sendezeit laufen.