Die vergangenen rund 30 Stunden an der Hamburger Ericusspitze muss man sich wohl ziemlich hektisch vorstellen. Nachdem das Medienmagazin DWDL.de und das Springer-Portal "Business Insider" über das nahende Aus von "Spiegel"-Chefredakteur Steffen Klusmann berichtet hatten, gab es viele in der Redaktion, die ihren Unmut zum Ausdruck brachten. Auch ein Brief an Geschäftsführung und Mitarbeiter KG wurde aufgesetzt, darin stellten sich etliche Redakteurinnen und Redakteure hinter Klusmann. Am Ende half es alles nichts: Wie der Verlag am Donnerstagabend bestätigt hat, wird Klusmann seinen Posten als Chefredakteur des Nachrichtenmagazins räumen. 

Schon als die Nachricht am Donnerstag durchsickerte, herrschte Verwunderung in der Branche: Gerade erst hatte das Unternehmen gute Geschäftszahlen für das Jahr 2022 präsentiert. Vor allem der "Spiegel" und das digitale Bezahlmodell Spiegel+ laufen gut. Klusmann hat Online- und Print-Redaktion zusammengeführt und auch sonst gab es in den vergangenen Monaten keine großen, in der Öffentlichkeit ausgetragenen Streitereien. 

In einer Pressemitteilung zur Personalie spricht der Verlag zwar von einer Trennung im "gegenseitigen Einvernehmen", dass es sich dabei aber bloß um eine hohle Phrase handelt, wird sehr deutlich. Hinter den Kulissen scheint es schon länger gebrodelt zu haben. Klusmann sagt etwa, er habe mit der Geschäftsführung zuletzt "in entscheidenden strategischen Fragen allzu oft keine Einigkeit erzielt". Das habe nun sein Ausscheiden zur Folge. "Es war mir eine große Ehre, in den vergangenen fast fünf Jahren für die ‘Spiegel’-Redaktion gearbeitet zu haben. Wir haben eine ganze Menge gemeinsam erreicht. [...] Ich wünsche der Redaktion in den kommenden Jahren viel Mut und Geschick, die nötige Kompetenz und Leidenschaft bringt sie ohnehin mit."

Bestes, gegenseitiges Einvernehmen? 

Das gegenseitige Einvernehmen besteht wohl nur darin, dass man sich zuletzt nicht besonders einig war - und sich nun trennt. Von DWDL.de am Donnerstag auf die Trennung angesprochen, sprach eine Unternehmenssprecherin noch von "Gerüchten". An dieser Informationspraxis gab es in den vergangenen rund 30 Stunden Kritik, unter anderem vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV). "Ein Magazin, dessen Botschaft seit Jahrzehnten lautet ,Sagen, was ist‘, darf Medienanfragen nicht mit dem Hinweis abbügeln, Gerüchte grundsätzlich nicht zu kommentieren."

Wir haben eine ganze Menge gemeinsam erreicht. Zuletzt haben Geschäftsführung und ich in entscheidenden strategischen Fragen allerdings allzu oft keine Einigkeit erzielt – was nun mein Ausscheiden zur Folge hat.
Steffen Klusmann


Geschäftsführer Thomas Hass sagt nun, man sei Steffen Klusmann "zu großem Dank verpflichtet", er habe "wegweisende Arbeit" geleistet. "Mit seinem Instinkt als Blattmacher und vielen journalistischen Erfolgen hat er dem ‘Spiegel’ in herausfordernden Nachrichtenzeiten das Vertrauen seiner Leserinnen und Leser gesichert. Wir hätten uns in den vergangenen Jahren keinen Besseren vorstellen können und bedauern sehr, dass es am Ende nicht gelungen ist, unsere immer sehr gute Zusammenarbeit für die Zukunft fortzusetzen. Wir wünschen Steffen nur das Beste."

Einen Nachfolger für den scheidenden "Spiegel"-Chefredakteur hat man bereits gefunden: Dirk Kurbjuweit soll ab sofort das Ruder übernehmen und wurde vom Unternehmen bereits für seinen neuen Posten bestellt. Über ihn als Nachfolger hatte "turi2" bereits am Mittwochabend berichtet. Kurbjuweit war zwischen 2015 und 2018 schon einmal stellvertretender Chefredakteur des Nachrichtenmagazins und ist seither Autor im Hauptstadtbüro des "Spiegels". Vom Verlag heißt es, bei der Nachfolge sei es wichtig gewesen, laufende Reformprojekte mit "verlässlicher Stabilität" voranzutreiben und die strategische Priorisierung von Spiegel+ "intensivieren zu können". 

"Erneuerungsprozesse aufnehmen und weiterentwickeln"

"Dirk Kurbjuweit bringt als herausragender Publizist alles mit. Wir haben ihn viele Jahre als streitbaren, durchsetzungsstarken Kollegen erlebt, und er wird die richtigen Impulse für ‘Spiegel’-Journalismus im Netz wie im Magazin setzen", sagt Geschäftsführer Thomas Hass. Co-Geschäftsführer Stefan Ottlitz ergänzt: "Dirk Kurbjuweit hat ein klares Bild davon, wie unser Journalismus im Digitalen wie in Print weiterzuentwickeln ist zwischen Tempo und Tiefe, und er hat sowohl als Autor als auch in Leitungsfunktionen vorgemacht, wie man das Profil des ‘Spiegel’ schärft. Auf eine weitere Markenprofilierung kommt es gerade in unserer Pay-Strategie an, und deren Erfolg ist für unsere journalistische wie wirtschaftliche Unabhängigkeit essenziell."  

Dirk Kurbjuweit sagt zu seiner Beförderung: "Das Vertrauen in meine Arbeit und meine Person freut und ehrt mich. In den vergangenen Jahren wurde eine großartige Grundlage geschaffen, um dem ‘Spiegel’ eine dauerhafte digitale Zukunft zu sichern und auch das Magazin noch besser zu machen. Gerade in diesen bewegten Zeiten muss der Anspruch des ‘Spiegel’ sein, im Netz jeden Tag und am Kiosk jede Woche die bestmögliche journalistische Qualität zu liefern und damit dem Vertrauen unserer Leserinnen und Leser gerecht zu werden. Ich werde die laufenden Erneuerungsprozesse der Chefredaktion aufnehmen und im intensiven Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen weiterentwickeln." Zur Chefredaktion des "Spiegels" gehören als Mitglieder auch Thorsten Dörting, der die digitalen Entwicklungen verantwortet, die Politikchefin Melanie Amann und Clemens Höges als Blattmacher mit Print-Fokus. 

Trotz der vielen netten Worte bleibt nach dem Wechsel in der Chefredaktion ein fader Beigeschmack - und das wohl vor allem bei vielen Journalistinnen und Journalisten im Haus, für die das Klusmann-Aus überraschend kam. Nach Langzeit-Chefredakteur Stefan Aust (1994-2008) haben sich seine Nachfolger jedenfalls nicht ansatzweise so lange an der Spitze des Magazins halten können. Weder Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron (2008-2013), noch Wolfgang Büchner (2013-2014), Klaus Brinkbäumer (2015-2018) oder jetzt eben Steffen Klusmann, der seit 2019 an der Spitze der Redaktion stand. 

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